Romantiker und Pragmatiker

30. März 2015 • Redaktionsmanagement • von

Die Jahresabschlüsse von Tamedia und NZZ. Auf so engem Raum zwei so völlig verschiedene Kulturen.

Man glaubt es kaum. Aber es ist nur zwanzig Jahre her. Vor zwanzig Jahren war die NZZ-Gruppe das erfolgreichste Medienhaus der Schweiz.

Das Erfolgskriterium war schon damals die Umsatzrendite. Diese Kennzahl sagt aus, wie viel Prozent vom Umsatz als Profit hängenbleibt. Die NZZ schaffte beachtliche 14 Prozent.

„Bei der Rendite etabliert sich die NZZ als Spitzenreiter“, schrieb bewundernd die Handelszeitung im Jahr 1995. Tamedia lag klar dahinter auf Platz zwei.

Wie sich die Zeiten ändern. Heute ist die NZZ-Gruppe das erfolgloseste Medienhaus der Schweiz. Sie machte 2014 einen Reinverlust von 30 Millionen. Rivale Tamedia hingegen verdiente 160 Millionen.

Es muss in den letzten zwanzig Jahren also einiges passiert sein. Tatsächlich. Vor zwanzig Jahren hatten die zwei Häuser eine vergleichbare Kultur. Heute ist sie diametral.

Soeben stellte die NZZ ihren neuen Chefredakteur vor. Eric Gujers Wahl war ein monatelanger Disput über Blattlinie, Liberalismus und Freisinn vorausgegangen. Gujer sei „ein intellektueller Leuchtturm“, jubilierte das hauseigene Communiqué schließlich über den neuen Messias im Chefbüro.

Kurz zuvor hatte auch der Tages-Anzeiger den neuen Chefredakteur vorgestellt. Arthur Rutishausers Wahl war nicht eine Sekunde an Disput vorausgegangen. Der bisherige Chef der Sonntagszeitung wird die beiden Blätter nun zusammenführen. Er wurde im hauseigenen Communiqué nicht als Messias, sondern als Manager angekündigt.

Das ist der Unterschied. Bei der NZZ sind Romantiker am Werk. Bei Tamedia sind es Pragmatiker.

Romantik bedeutet: Journalismus ist alles in einem Verlagshaus. Erfolg hat man, wenn man in der Höhe des Leuchtturms strahlt.

Pragmatik bedeutet: Journalismus ist nur ein Teil in einem Verlagshaus. Erfolg hat man, wenn man in der Tiefe des Bergwerks wühlt.

Vor zwanzig Jahren war das anders. Die zwei Firmenkulturen kamen sich damals sehr nahe. Hier wie dort zählte nur der Journalismus. Beide wollten die publizistische Flughoheit im Land. Der Tages-Anzeiger unter seinem ambitionierten Chef Roger de Weck griff die NZZ als nationales Leitmedium an.

Beide Seiten konnten sich die geistige Rivalität locker leisten. Denn das Geld floss automatisch in ihre Kassen. Die Kleinanzeigen aus dem Stellen-, Auto- und Immobilienmarkt brachten jährliche Erträge von Dutzenden von Millionen.

Doch dann verschwanden die Kleinanzeigen für immer aus den Zeitungsspalten.

Bei Tamedia übernahmen nun die Pragmatiker das Ruder. Sie wussten, dass Journalismus nicht alles ist. Sie investierten massiv in Kleinanzeigen-Portale im Internet. Sie verdienen heute darum wieder kräftig Geld. Sie können ihren Journalismus noch lange finanzieren.

Bei der NZZ blieben die Romantiker am Ruder. Sie glaubten weiterhin, dass Journalismus alles ist. Sie sahen dem Verschwinden der Kleinanzeigen tatenlos zu und investierten nicht im Internet. Darum schreiben sie heute kräftig rot. Wenn es so weitergeht, gehen ihrem Journalismus eines Tages die Mittel aus.

Die NZZ-Gruppe setzte auf eine reine Bewahrungsstrategie. Ihr Umsatz wuchs in den letzten zwanzig Jahren nur um 120 Millionen. Tamedia, mit ihrer Wachstumsstrategie, legte derweil um 520 Millionen an Umsatz zu.

Die unterschiedliche Kultur wurde sehr schön sichtbar, als die Chefs der beiden Unternehmen soeben ihre Jahresschlüsse kommentierten.

„Das Wichtigste sind die Inhalte“, sagte NZZ-CEO Veit Dengler. So redet ein Journalist. „Wir investieren konsequent in unsere Online-Angebote“, sagte Tamedia-CEO Christoph Tonini. So redet ein Kapitalist.

Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 19. März 2015, S. 29

 

Bildquelle: Nevil Zaveri/flickr.com

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