“Bin ein Mensch mit Herz”

10. Mai 2011 • Ressorts • von

Die europäischen Medien amüsieren sich über die Sexaffären Berlusconis – und übersehen die staatszerstörerische Strategie des Cavaliere. Ungeniert greift er die rechtsstaatliche Grundordnung an.

Italienische Journalisten und Karikaturisten gaben Karl Theodor zu Guttenberg den Rat, nach Italien zu kommen und beim italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi Nachhilfeunterricht in poli­tischer Überlebenskunst zu nehmen. Der junge Starpolitiker habe noch viel zu lernen, wenn er sein Amt wegen einer solch lächerlichen Verfehlung wie einer plagiierten Dissertation habe aufgeben müssen. Der italieni­sche Premier könnte, was die Würde des Amtes betrifft, in der Tat das Gegenbild abge­ben: als jemand, der selbst Grundlagen der rechtsstaatlichen Ordnung zerstört, wenn es seiner machtgierigen Egomanie nutzt. Anfang April, in den Tagen, während Message gedruckt und ausgeliefert wird, hat er wegen der Sexaffäre mit der jungen Marokkanerin “Ruby” vor Gericht zu stehen. Die zuständige Ermittlungsrichterin gab dem Antrag auf ein Schnellverfahren statt. Ein sol­ches Verfahren wird nur in Fällen mit erdrückender Beweislast eingeleitet.

Ungenierte Kommentare zur Reform

Aber Berlusconi denkt gar nicht daran, sein Amt solange ruhen zu lassen, im Gegenteil, er geht mit dem ihm zur Verfügung stehenden Waffenarsenal zur Attacke über. In einem “Justizreform” genannten Maßnahmenpaket sollen die Richter für Fehlurteile persönlich haftbar gemacht werden. Berlusconi kommentierte dies unge­niert: “Mit diesem Damoklesschwert über ihrem Haupt werden es sich die Justizbehörden zweimal überlegen, ob sie Ermittlungen gegen mich einleiten”.

Flankiert wird diese Strategie mit einer rhetorischen Kampagne, mit der das Rechtssystem beschimpft und entwertet wird. Noch im März bezichtigte er die Magistratur eines Komplotts. Ihr sei jedes Mittel recht, um ihn zu stürzen – wie dies ja auch verschiedene kommunistische Politiker und Medien versuchten.

Mit seiner Strategie, so kommentiert der Journalist Mariano Sabatini, der für das Wirtschaftsblatt Italia Oggi schreibt, erreiche es Berlusconi, sein Land in zwei Lager zu spalten. Die Ironie der Geschichte will es, dass zeitgleich die Nation Italien gerade ihren 150. Geburtstag feiert und damit eine Staatsgründung, die von Anfang an unter dem Menetekel der Spaltung stand.

Man erinnert sich an die Story, die in allen Medien Europas lief: Nach dem x-ten Skandal, der Ende Oktober ans Tageslicht gekommen war, erfuhr die Öffentlichkeit, dass die minderjährige Marokkanerin Karim Heyek alias Ruby Rubacuori (zu deutsch: Herzensräuberin) von der Polizei in Gewahrsam genommen worden war, weil sie verdächtigt wurde, 300 Euro gestohlen zu haben. Berlusconi persönlich hatte bei der Polizeidirektion angerufen und gefordert, das Mädchen freizulassen –mit dem Verweis, es handle sich um eine Nichte des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak. Ruby wurde auf freien Fuss gesetzt, doch die Recherchen der Medien verstärkten sich, als sie herausfanden, dass das Mädchen – im Tross mit Dutzenden weiterer Escort-Schönheiten – an sogenannten Bunga-bunga-Festivitäten in der privaten Residenz des Premiers in Arcore teilgenommen hatte. “Bunga bunga”, so erklär­te Ruby, sei ein Ritual, zu dem der Padrone einige Gäste zum Abendessen mit pikantem Nachspiel einla­de. Silvio habe ihr gesagt, er habe dieses “Zeremoniell” von Gaddafi übernommen. Es sei ein “Ritus aus dessen afrikanischem Harem”.

Die Reaktion Berlusconis in den Medien war weder überzeugend noch sonderlich gewandt, wie der Journalist Alessandro Gilioli vom Nachrichtenmagazin L‘Espresso in seinem Blog dokumentierte. Hier eine Auswahl aus seinen öffentlichen Ausflüchten: “Ich bin ein Mensch mit Herz, ich tue alles, um Menschen zu helfen, die Hilfe brauchen.” – “Ich habe gegenüber nie mandem etwas klarzustellen.” – “In mein Haus kommen nur anständige Menschen herein, und vor allem nur solche, die sich anständig benehmen.” – “Niemand wird mich in meinem Alter dazu bringen, meinen Lebensstil zu ändern, auf den ich stolz bin. Ich liebe das Leben, ich liebe die Frauen.” – “Bunga bunga – das ist eine dieser uralten Geschichten, ich kann darüber nur lachen. Auch diesmal habe ich darüber gelacht.! Man kann sich über diese “undurchsichtige, zweideutige Weise” (so Gilioli) der Selbstverteidigung wundern angesichts der vielzitierten rhetorischen und kommunikativen Fähigkeiten Berlusconis.

Tatsächlich aber ist dies dieselbe Strategie, mit der er im Jahr 2008 noch einmal die Wahlen gewann: Sich auf Kosten des Staatsansehens beim Wählervolk in der Rolle des großartiges Übervaters einschmeicheln – ein Populismus, der demjenigen vergangener italienischer Potentaten ähnelt und der 1944 mit Mussolini vorerst endete. Bislang hat die Rhetorik Berlusconis gut funktioniert, weil sie der Logik des politischen Marketing verhaftet ist: Die Reden bestehen aus Slogans der Werbesprache. Die Attribute und die Metaphern sind der Welt des Spektakels, des Show Business ent­lehnt. Seine medial verstärkten Inszenierungen folgen einer Erzählstrategie, die vom Heroen und seinem Gegenspieler handelt, vom Guten und vom Bösen –und jedes Mal, wenn sich Berlusconi in Schwierigkeiten sieht, zaubert er seine Verschwörungstheorie her­vor, die vom “Komplott”, von der “Aggression”, vom “Angriff” gegen ihn handelt, gegen seine Partei, gegen seine Familie. Und etikettiert dann gleich im Anschluss seine Partei – auch das schmierig-zweideu­tig – als die “Partei der Liebe”.

Zu seiner Kommunikationsstrategie gehört auch, im Fernsehen jede direkte Konfrontation zu vermei­den. Er selbst nimmt nie an TV-Sendungen teil, zu denen er eingeladen wird. Er schickt Leute vor, die seine Interessen verteidigen. Falls ihnen das nicht zur Zufriedenheit des Chefs gelingt, greift dieser dann per­sönlich – was öfters vorkommt – zum Telefonhörer, lässt sich in die Sendung durchschalten und vertei­digt sich als Überraschungsgast selbst. So geschehen im November in der Sendung Ballaró von RAI 3, in welcher Berlusconis nicht gehaltene Versprechen, die Müllmisere in Neapel zu beseitigen, diskutiert wurden. Der Moderator Giovanni Floris sagte, er nehme das Telefonat nur entgegen, wenn der Premier danach eine Gegenrede akzeptiere. Tatsächlich belei­digte Berlusconi dann den Moderator, beschimpfte ihn als “Betrüger”, hielt mehrere Minuten lang einen Monolog, in dem er sich verteidigte und hängte darauf­hin ein. Wenn Berlusconi entscheidet, im Fernsehen aufzutreten, dann tut er das zu seinen Konditionen. Und selbstverständlich ohne Widerrede. Anfang die­ses Jahres lehnte derselbe Giovanni Floris Berlusconis Ansinnen, neuerlich direkt in die Sendung geschaltet zu werden, mutig ab.

Religiös besetzte Klischees

In Berlusconis Populistentruppe kämpft an vorders­ter Front der Publizist Giuliano Ferrara, der schon den unterschiedlichsten Strömungen folgte, ehe er 1994 glühender Pressesprecher der ersten Regierung Berlusconis wurde. Nun trat er im Staatsfernsehen Raiuno auf, um den Italienern zu erklären, dass sie bis­her ihren Cavaliere nicht richtig verstanden hätten –und wie großartig, wie tüchtig und wie großzügig die Vaterpersönlichkeit Berlusconi tatsächlich sei.

Was Ferrara in der zweiten Sendung – das Format Qui Radio Londra wird unmittelbar nach den Hauptnachrichten zur Prime Time ausgestrahlt – dann über Berlusconis Gespielin Ruby sagte, geriet ins Absurde. Er nahm Bezug auf die Episode, als Ruby in einer weißen Luxuslimousine als Gast einer Diskothek im süditalienischen Städtchen Maglie im Salento vorge­fahren und von eini­gen Demonstranten eher unfreund­lich begrüßt wor­den war, und beschimpfte die Protestierenden: In seinem Land gebe es “Leute, die ihr Herz aus Fleisch und Blut gegen ein Herz aus Stein ein­getauscht haben. Welch ein Horror.” Offenbar habe sich die öffentliche Meinung geradezu “inquisitorisch” gegenüber einer jungen Frau verhalten, die eine schwierige Kindheit durchlebt “und von der sie sich mit ihrem eigenen Körper emanzipiert” habe. Die Umstände hätten sodann dazu geführt, dass sie zu einem Zirkel jun­ger Frauen gestoßen ist, mit denen sich Berlusconi in seinem Privatleben gerne vergnügt. Das sei eine “Art Vorbestimmung” gewesen – so immer noch O-Ton Ferrara – die nur mit “amore, carità, misericor­dia, e senso comune” zu beurteilen sei (“mit Liebe, mit Zuwendung, mit Mitleid und mit Gemeinsinn”). Dem gegenüber hätte sich das Grüppchen von Demonstranten so benommen, wie das nur “im Land der Taliban” vorkomme.

Als die wenigen Berlusconi-unabhängigen Medien mit moralischen Argumenten den Staatschef kritisier­ten, zog Ferrara die Argumente sogleich ins Lächerliche, indem er in jener Sendung des Staatsfernsehens das Callgirl Ruby mit Maria Magdalena verglich: “Es steht geschrieben, dass Jesus vor einer aufgebrach­ten Meute, die eine Ehebrecherin steinigen wollte, gesagt hat: ‘Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.’ Niemand habe einen Stein geworfen, und Maria Magdalena sei von Jesus mit der Aufforderung fortgeschickt worden, von nun an “nicht mehr zu sündigen”. Bis dato nannte sich Ferrara einen beken­nenden Atheisten.

“Ich folge meinem Instinkt”

Für Berlusconis staatszersetzende Kommunikationsstrategie – angeblich hasserfüllten Richtern die Schuld zuzuschreiben und sich selbst in der Rolle des Wohltäters zu feiern – steht ein Interview, das er jüngst seinem bittersten publizistischen Gegenspieler, der Zeitung La Repubblica konzedierte (Il Colloquio, 16. März 2011). Das Interview beginnt so: “Ich weiß, dass wir uns unterscheiden, dass wir unterschiedli­chen Lagern angehören. Aber ich spreche zu Ihnen mit der Hand auf dem Herzen. Ich folge diesmal mei­nem Instinkt, und ich möchte erklären, wo wir uns in Wirklichkeit befinden.”

Es war derselbe Tag, an dem die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen abschloss und die Anklage gegen Berlusconi wegen Begünstigung im Amt und gegen Nicole Minetti, Emilio Fede und Lele Mora wegen Beihilfe zur Prostitution bestätigt wurde. Minetti ist die lombardische Regionalpolitikerin, die Berlusconi die Mädchen zugeführt hatte. Emilio Fede der Moderator von Berlusconis wichtigstem TV-Programm TG4 und Lele Mora der Chef einer Künstler- und Modelagentur, der die Mädchen akquirierte.

Vor dem Hintergrund der global bedeutsamen Großereignisse – Umstürze und Revolten in den ara­bischen Staaten, die Fukushima-Atomkatastrophe –hat die kritische Beobachtung der Vorgänge in Italien deutlich nach­gelassen. Nur noch wenige ausländische Medien ana­lysieren den Zerstörungsprozess, den Berlusconis Kampagnen bewirken. So fehlt den weni­gen italienischen Publizisten, die vor den Folgen des Zerfalls demokratischer Werte warnen, die öffentliche Resonanz vor allem der europäischen Medien.

Ethnologie statt Politikwissenschaft

Eingeladen zum Polit-Talk Agorà des dritten öffent­lichen TV-Programms, klagten die Korrespondenten Andrea Bachstein (Süddeutsche Zeitung), Philippe Ridet (Le Monde) und die spanische Kollegin Paloma Gomez Ferrero (Cadena Cope), dass ihre Heimatredaktionen kein Interesse mehr an den inneri­talienischen Verwicklungen zeigten, weil es ja “immer um die gleichen Skandale des Premiers” gehe und niemals um eine “politische Analyse”. Ridet konsta­tierte, er sei als Politologe nach Rom gekommen, sehe sich inzwischen aber in der Rolle des Ethnologen, der Sitten und Gebräuche in einem hochkomplizierten Land studiere.

In Deutschland hat eine betrügerisch erstell­te Doktorarbeit genügt, um innerhalb von zwei Wochen den Verteidigungsminister zum Rücktritt zu zwingen. Berlusconi dagegen ergötzt – und irritiert – die Italiener mit seinen Sex-Skandalen und endlo­sen Gerichtsverfahren. Eine unendliche Geschichte, es sei denn, die Italienerinnen, die zu Tausenden am 13. Februar in praktisch allen großen Städten Italiens gegen Berlusconi demonstrierten, setzen ihre Aktionen wirkmächtig fort.

Einer der renommiertesten Italiener, der Wissenschaftler und Literat Umberto Eco, vertraute der Frankfurter Rundschau (13. Dezember 2010) an: “Sehen Sie, ich wurde unter dem Faschismus gebo­ren. Ich würde mir doch sehr wünschen, dass ich nicht unter Berlusconi sterben muss.”

Erstveröffentlichung: Message Nr. 2 / 2011

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