Der hl. Philipp

9. Januar 2012 • Ressorts • von

Der Fall Hildebrand zeigt, in welch traurigem Zustand der Recherchierjournalismus in der Schweiz ist.

Zuerst zur Dimension des Deals. Nationalbankpräsident Philipp Hildebrand verdient 995 000 Franken. In Zürich fallen dafür 375 000 Franken an Einkommenssteuern an. Seine Ehefrau Kashya zockte also mit zwei Dritteln seines verfügbaren Jahreslohns, als sie über 400 000 Franken hinter seinem Rücken in eine Dollarspekulation steckte.

Das sollen wir glauben? Wir sollen glauben, sie habe ihm von ihrem Deal kein Sterbenswort gesagt? Wir sollen glauben, ihr perfektes Timing des Deals, kurz vor der Frankenanbindung, sei reiner Zufall? Seltsam, aber alle Schweizer Journalisten glauben das felsenfest.

Man stelle sich vor, die Gattin des deutschen Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann hätte in großem Stil mit Dollars spekuliert. Von Spiegel bis Bild hätten sie ihre besten Rechercheure auf den Fall angesetzt. Sie hätten nicht geruht, bis sie alle Fakten aufgedeckt hätten, genauso, wie sie dies eben bei den dubiosen Finanzgeschäften von Bundespräsident Christian Wulff zeigten.
Die Schweizer Journaille legte im vergleichbaren Fall die Hände in den Schoß. Keiner recherchierte im Umfeld von Kashya Hildebrand und ihrer Kunstgalerie. Keiner ging der Frage nach, ob es ihr erster Devisenhandel mit derart hohem Einsatz war. Bei einem Ja wäre der Beweis für ein eheliches Insidergeschäft zweifelsfrei erbracht.

Solidarität mit dem Verdächtigen

Und vor allem fragte kein einziger Journalist, ob es sich bei der heimlichen Spekulantin Kashya womöglich um ein Tarnkonstrukt handelte, das einen anderen Täter schützen sollte.
Am dreistesten bei dieser Arbeitsverweigerung trieben es die zwei auflagestärksten Zeitungen Blick und Tages-Anzeiger. Der Blick kannte manche Details bereits an Weihnachten, weil ein Whistleblower der Redaktion vertrauliche Informationen zugetragen hatte. Doch der Blick recherchierte nicht weiter. “In der Dollar-Affäre waren zu viele Fragen offe”, begründet das Blatt sein Schweigen. Präziser und peinlicher wurde der traurige Zustand des Recherchierjournalismus in der Schweiz selten beschrieben.

Einen ebenso desolaten Auftritt legte der Tages-Anzeiger hin. Er ignorierte die Affäre nicht nur, er solidarisierte sich gleich noch innig mit dem Verdächtigen. Mitten im Fall bekannte sich das Blatt als glühender Fanklub des Nationalbankers. Wir zitieren nur kurz aus der Huldigung, die man zu Hildebrand druckte: Er sei “kompetent, souverän, seriös, cool, erhaben, konzentriert, smart”. Er sei “ein Superstar, ein Rockstar, ein Star”. So schreibt sonst die Teenager-Postille Bravo. Statt zu recherchieren, versuchte der Tages-Anzeiger, wie viele andere Redaktionen auch, die Geschichte zu einem Fall Christoph Blocher umzubiegen. Der hatte den Bundesrat vor Wochen diskret über die Vorbehalte gegen Hildebrand informiert.

Damit sind wir beim schrecklichsten Verdacht, den man rund um den Journalismus haben kann. Es ist der Verdacht, dass eine Recherche aus ideologischen Gründen unterbleibt. Journalisten graben darum nicht tiefer, weil sie fürchten, etwas zu finden. Es könnte etwas sein, das ihrer politischen Haltung zuwiderläuft.
Leider ist der Verdacht nicht unbegründet. Die SVP und Blocher haben Hildebrand früher mehrfach kritisiert. Dadurch ist er für die Journalisten zu einem Heiligen geworden. Wer von Blocher attackiert wird, wird in den Medien unangreifbar. Recherchen zur Person unterbleiben. Dieselbe Immunität wie der heilige Philipp genoss auch die heilige Eveline.
Die Obsession mit der SVP und Blocher prägt und degeneriert unsere Medien. Man kann es leider nur pietätlos sagen: Unsere Journalisten werden erst wieder normal, wenn Christoph Blocher gestorben ist.

Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 4. Januar 2012

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