Deutschsprachige Presse: Internetblase brachte die Wende

12. Juli 2005 • Ressorts • von

Il Sole – 24 Ore, 12. Dezember 2005

In den deutschsprachigen Ländern erfreut sich der Wirtschaftsjournalismus einer florierenden Presselandschaft. Dieser Boom geht heute weit über das hinaus, was man früher schon in Italien kannte. Der Wirtschaftsjournalismus verfügt in diesen Ländern nicht nur über eine grössere Anzahl an Magazinen und Zeitungen, sondern hat sich darüber hinaus auch weiter spezialisiert und ist somit in allen Marktnischen präsent.

Die Verlagshäuser sind im allgemeinen nicht von den Industriekonzernen abhängig, erklärtes Ziel der Verlagskultur ist die Abdeckung aller Marktsegmente. In seinen Inhalten steht er der Globalisierung weitgehend offen gegenüber und setzt sich intensiver mit den Entwicklungen in der Industrie- und Finanzwelt auseinander als das die italienische Presse gewöhnlich tut.

In Deutschland teilen sich das Handelsblatt und Financial Times Deutschland (FTD), zwei landesweit erscheinende Wirtschaftstageszeitungen, die Leserschaft der Business Community mit den drei grossen Tageszeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung und Die Welt, die wirtschaftlichen Themen allesamt ebenfalls ein breites und vertieftes Interesse zollen. Die FTD ist die erste neu verlegte Tageszeitung seit Jahrzehnten, die sich auf dem Markt mit Erfolg behaupten konnte. Als sie vor fünf Jahren aus der Taufe gehoben wurde, räumten ihr nur wenige Fachleute eine reelle Überlebenschance ein.

Während die Tageszeitungen ein breites und allgemeineres Spektrum abdecken, zeichnet sich der Markt der Wochen- und Monatsmagazine durch Segmentierung und Differenzierung aus. Zu Zeiten des Booms der New Economy sprossen insbesondere Magazine aus dem Boden, die auch der breiten Öffentlichkeit bei der Wahl der richtigen Geldanlage beratend zur Seite stehen wollten. Sämtliche deutsche Verlagsriesen, angefangen von Gruner+Jahr über Burda und Springer bis zu Holtzbrinck, Eigentümer der Handelsblatt-Gruppe und grösster Akteur des deutschen Wirtschaftsjournalismus, haben den neuen vielversprechenden Absatzmarkt für sich entdeckt. So wurden mit Focus Money, Geldidee, Euro am Sonntag neue Magazine aus der Taufe gehoben und alt-ehrwürdigen Blättern wie etwa DM, Capital oder der Wirtschaftswoche neue Schubkraft verliehen.

Nach dem Zusammenbruch der New Economy wurde die breite Öffentlichkeit gegenüber fragwürdigen Anlagetipps, die sich oftmals auf die PR-Aktivitäten von Finanzanalysten und deren eigene Interessen oder die Arbeit von Investor Relations-Abteilungen stützten, selbstverständlich misstrauischer. Auch der Werbeboom im Zusammenhang mit Börsengängen wie etwa dem der Telekom oder Übernahmeschlachten wie beim Take-over von Mannesmann durch Vodafone, der dem Aufschwung der Wirtschaftspresse Vorschub geleistet hatte, ebbte ab. Die Folge war ein redimensionierter Markt: Einige der neuen Magazine wurden eingestellt, andere fuhren ihre Auflagen schneller wieder zurück als sie sie hochgefahren hatten. Seitdem besteht weiterhin ein harter Wettbewerb. Die Zeitungen, die überlebt haben, scheinen nun allerdings über eine etwas solidere wirtschaftliche Grundlage zu verfügen.

In der Schweiz floriert die Wirtschaftspresse auf Grund der wichtigen Rolle des Banken- und Finanzbereichs ebenfalls und erfreut sich, verglichen mit der Situation in Deutschland, einer höheren Stabilität. Die liberal-konservative Neue Zürcher Zeitung, die renommierteste Zeitung der Schweiz, deckt wirtschaftliche Themen sehr umfassend ab. Nichtsdestotrotz bleibt in der deutschsprachigen Schweiz (mit ihren lediglich 4.8 Millionen Einwohnern) Raum für gleich drei Wirtschaftszeitungen: Das wöchentlich erscheinende Magazin Cash, das an sich eine weitere Erfolgsgeschichte darstellt und die traditionellere HandelsZeitung sowie Finanz und Wirtschaft eingeholt hat. Darüber hinaus gibt es das monatlich erscheinende Wirtschaftsmagazin Bilanz sowie das an Anleger gewandte Stocks, das, im Gegensatz zu einigen Konkurrenten aus Deutschland, den Börsen-Crash Anfang des Jahrtausends überlebt hat. Obwohl Wien ein wichtiges Zentrum des Ost-West-Handels in Europa geworden ist, ist die Landschaft der österreichischen Wirtschaftspresse nicht so diversifiziert wie in Deutschland oder der Schweiz. Allerdings bieten die beiden grössten qualitativ hoch stehenden Tageszeitungen Die Presse und Der Standard einen allgemeinen Überblick. Darüber hinaus liefern die Wirtschaftstageszeitung Wirtschaftblatt und das Wochenmagazin Format detailliertere Wirtschaftsinformationen aus und für die Business Community des Landes. Das Wirtschaftsblatt verfolgt auch die Lage in Italien sehr genau. Eine der letzten Reportagen trug den Titel «Die Stunde der Wahrheit bei Fiat».

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