ZDF-Moderator Thomas Walde traf sich dieses Mal mit Grünen-Chefin Claudia Roth am Bodensee und mit FDP-Chef Philipp Rösler auf einer Rheininsel.
Diese Sommerinterviews, die mittlerweile nicht nur öffentlich-rechtliche Sender, sondern auch die Privaten inszenieren, sind im Grunde ein schönes Format: 19 Minuten statt 90 Sekunden, also endlich Muße zum Nachdenken, Zeit für Standpunkte – und dies vor sorgfältig gewählter Kulisse. Doch leider erfahren wir in der Regel nichts Neues, obwohl sich Walde & Kollegen durchaus mühen, kritisch zu fragen.
Warum also das Ganze? Warum dümpeln so häufig Segelboote im Hintergrund? Warum sind viele dieser Interviews draußen? Wieso lässt sich Bundespräsident Christian Wulff breitschlagen, per Hubschrauber an die See zu fliegen, um „Urlauber auf Norderney“ zu spielen, obwohl er das Gespräch lieber im Schloss Bellevue geführt hätte? Warum gibt es sowohl in Redaktionen als auch in Beraterstäben Menschen, die finden, dem Publikum seien Positionen zu Chancen und Risiken Deutschlands oder zu Veränderungen in der arabischen Welt besser zu vermitteln, wenn eine leichte Brise durch das Haar des ersten Mannes im Staate streift?
Sommerinterviews gibt es seit Fernsehmenschengedenken. Gerade für Mächtige ist reizvoll, zwischendurch „mal Mensch“ zu sein, Genießer, Gelassener, Krawatten-Befreiter… Auffallend oft sind Wellen und Wasser Teil der Inszenierung – ob als Version Helmut Schmidt, aktiv an der Pinne seines Boots auf dem Brahmsee. Oder als Version Helmut Kohl am Wolfgangsee.
Kohl am See – das war großes Theater. Eins mit dem Berg hinter sich, streichelte er Jahr und Jahr bei bestem Wetter ein hüfthohes Tier mit Fell und ließ sich hernach nieder zu einem zweistündigen Interview mit dem ZDF. Wie klein wirkten dagegen damals Edmund Stoiber auf dem Brombachsee und Angela Merkel auf Rügen – der bayerische Bub und das Mädchen aus dem Osten schauten sich’s beim Alten ab, schafften aber nur Operette, nie Oper. Vielleicht hat sich’s auch der Pfälzer nur abgeschaut: Der wohl erste Freiluft-Politiker dürfte Kurt Georg Kiesinger gewesen sein. 44 Jahre ist es her, als er den Kabinettstisch in den Garten des Palais Schaumburg schleppen ließ: Luft für das Bonner Treibhaus. Leichtigkeit. Sauerstoff zum Besserdenken!
Orte verkünden Botschaften. Joschka Fischer ließ sich einst in der Toskana interviewen, Gregor Gysi in Brechts Datscha in der Märkischen Schweiz. Großartig gewählte Orte! Orte, von denen aus Gespräche von ganz eigenem, neuem Wert möglich sind, die wirklich eine andere Seite offenbaren – von einem Menschen und der Politik, für die er steht. Dies wäre der eigentliche Sinn der Sommerinterviews. Vielleicht ab nächstem Jahr.
Erstveröffentlichung: Kölner Stadtanzeiger vom 17. August 2011
Schlagwörter:Christian Wulff, Claudia Roth, Fernsehen, Helmut Kohl, Philipp Rösler, Politiker, Sommerinterviews, Thomas Walde