Für eine bessere Berichterstattung über Flüchtlingskinder in Italien

30. April 2021 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

Flüchtlingskinder werden in der Berichterstattung italienischer Medien über die jüngste Migrationsbewegung, bei der die Geflüchteten versuchen, Europa über die östlichen und zentralen Mittelmeerrouten zu erreichen, weitgehend ausgeblendet. Die Aufmerksamkeit der Medien konzentriert sich typischerweise auf geopolitische Fakten über ihre Herkunftsländer, die Härte ihrer Reise und Kriminalität.

Mehrere Studien haben sich mit der komplexen medialen Darstellung von Migranten in europäischen Gemeinschaften beschäftigt. Dabei wurde als Methode meist eine Inhaltsanalyse von Nachrichtenartikeln über Migration gewählt.

Besonders hervorzuheben ist die Studie von Myria Georgiou und Rafal Zaborowski, die sie 2017 für den Europarat durchgeführten. Ihre Inhaltsanalyse führender Medien in acht europäischen Ländern (Tschechien, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Irland, Serbien, Großbritannien und Griechenland) im Laufe des Jahres 2015 zeigt, dass Flüchtlinge nur sehr begrenzte Möglichkeiten hatten, ihre Geschichten in den Medien zu erzählen, und in erster Linie als Opfer und stumme Akteure dargestellt wurden.

Die Berichterstattung vermittelte keine Informationen über ihre Kulturen oder andere Aspekte ihres Lebens – wodurch die Öffentlichkeit ein sehr eindimensionales Bild erhielt. Die Studie fand außerdem heraus, dass Journalisten dazu tendieren, den kausalen Zusammenhang zwischen der Notlage von Geflüchteten und dem Wohlergehen der europäischen Länder zu betonen.

Ein Großteil der Artikel (zwei Drittel) beschrieb negative Aspekte der Flucht. Artikel mit positiven Darstellungen bezogen sich vor allem auf die Solidarität der europäischen Bevölkerung, nicht auf die Geflüchteten selbst. Besorgniserregend ist auch, dass Flüchtlinge in den Medien überwiegend als Staatsangehörige eines bestimmten Landes beschrieben wurden, ohne weiter zu differenzieren.

Nur 35 Prozent der Artikel unterschieden zwischen Männern und Frauen, und weniger als ein Drittel verwies auf ihr Alter. Nur in 16 Prozent der Artikel wurden die Namen der Geflüchteten genannt, und von nur sieben Prozent ihre Berufe. Dieser Mangel an individuellen Merkmalen fördert falsche Annahmen wie die, dass es sich bei den Flüchtlingen hauptsächlich um junge Männer handelt, die nach neuen Möglichkeiten in Europa suchen. Im Wesentlichen stellt dies eine Form der Entmenschlichung und Entindividualisierung von Geflüchteten dar, die einen Mangel an Empathie in der europäischen Bevölkerung hervorrufen kann.

Eine neue Perspektive

Aufgrund dieser Studienlage habe ich mich 2018 dazu entschlossen, Pressesprecher, Kommunikationsleiter und Referenten von sechs Organisationen zu befragten, die in Italien Flüchtlingsarbeit leisten – UNICEF, InterSos, Ärzte ohne Grenzen, Emergency, International Organization for Migration und Oxfam.

Mein Ziel war es, ihre Eindrücke sichtbar zu machen und ihre Empfehlungen zur Berichterstattung über Flüchtlingskinder zusammenzutragen, um eine zusätzliche Linse zu bieten, durch die man die mediale Darstellung von Migration betrachten kann. Damit wollte ich eine nützliche Ressource sowohl für Medien und andere Organisationen schaffen.

In den Gesprächen mit meinen Interviewpartnern wurde deutlich, dass das Problem nicht an einem mangelnden Interesse der Medien an der Berichterstattung über Kinder liegt. Im Gegenteil, minderjährige Geflüchtete wecken bei vielen Journalisten, die über Migration berichten, sogar oft ein größeres Interesse als erwachsene Flüchtlinge.

So betonte ein Interviewpartner: „Ein Kind erzeugt viel mehr Empathie. In den Augen der Öffentlichkeit ist das Bild eines Kindes immer stärker. Dieser Frame wurde schon immer genutzt, um die Öffentlichkeit aufzurütteln.“ Dies führt jedoch zu oft zu einer zu starken Vereinfachung des Phänomens der Migration.

Die Befragten betonten den Bedarf an effektiven Kommunikationsstrategien, um Journalisten zu helfen, die Geschichten dieser Gruppen besser zu erzählen.

Es herrschte Einigkeit darüber, dass der Schutz der Kinder im Fokus stehen und ein zentrales Prinzip in jedem Ansatz sein sollte. Die Befragten betonten, wie wichtig es ist, sich bewusst darum zu bemühen, Kinder nicht als Opfer darzustellen oder ihre Geschichten zu benutzen, um die Ziele der Organisation oder der Industrie zu erfüllen. Sie sprachen auch praktische Erwägungen an, wie das Einholen der Zustimmung der Eltern oder Erziehungsberechtigten und die Vermeidung der Verwendung von Bildern, auf denen Kinder zu sehen sind.

Wie Journalismus etwas bewegen kann

Die befragten Kommunikationsspezialisten teilten auch ihre Ansichten darüber, was Journalisten tun können, um eine genauere Darstellung von Flüchtlingskindern zu liefern. Im Folgenden finden sich ihre Empfehlungen:

  • Erkennen Sie die Rechte der Kinder an: Wenn Minderjährige als befähigte Individuen und nicht als hoffnungslose Opfer dargestellt werden, könnte dies bestehende Wahrnehmungen in Frage stellen und dem Publikum ermöglichen, das Potenzial von jungen Geflüchteten zu sehen, einen Beitrag zur italienischen Gesellschaft zu leisten.
  • Erzählen Sie die Geschichte ihrer Ankunft in Italien: Die italienische Öffentlichkeit weiß nicht viel über die administrativen, rechtlichen und sozialen Herausforderungen, denen Kinder bei ihrer Ankunft gegenüberstehen. Die Steigerung dieses Bewusstseins wird dazu beitragen, ein genaueres Bild der komplexen Situation zu zeichnen, mit der diese Minderjährigen in ihrer neuen Realität konfrontiert sind.
  • Erzählen Sie die Erfolgsgeschichten der Integration, denn hier ist Beständigkeit ein Schlüsselfaktor. Zwar berichten die Medien gelegentlich über den Erfolg von Migranten, die sich erfolgreich integriert haben, doch geschieht dies nicht regelmäßig genug, um ein stärkeres Gefühl der Akzeptanz und eine tiefere Vertrautheit mit Geflüchteten zu fördern.
  • Heben Sie Gemeinsamkeiten von jungen Geflüchteten und italienischen Kindern hervor: Anstatt die Unterschiede in den Vordergrund zu stellen, sollte man sich auf die Gemeinsamkeiten, die das Kindsein mit sich bringt, konzentrieren. Dies könnte dazu beitragen, die soziale Eingliederung von minderjährigen Flüchtlingen zu erleichtern.

Eine Vision für den Wandel

Es wird klar, dass die Darstellung von Flüchtlingskindern in Italien von einer komplexen Mediendynamik angetrieben wird und es daher sinnvoll ist, in der Forschung über die Grenzen der Medieninhaltsanalyse hinauszugehen. Mit Kommunikationsfachleuten von Organisationen zu sprechen, die bei der Reaktion auf dieses Problem führend sind, bietet eine neue Perspektive und einen anderen Blickwinkel, um die Komplexität von Migrations- und Flüchtlingsnarrativen zu untersuchen und zu verstehen.

Mehr zu meinen Forschungsergebnissen findet sich auf openmigration.org.

 

Dieser Beitrag wurde zuerst auf der englischen EJO-Seite veröffentlicht. 

Bildquelle: shutterstock

 

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