Dieser Beitrag ist Teil der Mediadelcom-Reihe.
Geschrieben von Maurice Prior, Charlotte Rothe und Patricia Böcking
Die vielen Krisen und Skandale in Österreich in den letzten Jahren weisen auf ein schwieriges Verhältnis zwischen Medien und Politik hin. Doch wie lassen sich das österreichische Mediensystem und seine Verfassung eigentlich evaluieren? Die österreichische Demokratie steht vor großen Herausforderungen. Die Skandale um den ehemaligen Vizekanzler Hans-Christian Strache (Ibiza-Affäre) und der Rücktritt von Bundeskanzler Sebastian Kurz 2021, gegen den u.a. wegen Korruption, Wahlmanipulation und Betrug ermittelt wird, haben internationale Aufmerksamkeit erregt. Die Medien haben in diesen Skandalen stets eine zentrale Rolle gespielt. Vor diesem Hintergrund scheint es wichtig, das österreichische Mediensystem genauer unter die Lupe zu nehmen.
Im Rahmen des Projekts Mediadelcom haben transnationale Forschungsteams Länderprofile zu den Mediensystemen von 14 verschiedenen europäischen Ländern erstellt. Das Projekt untersucht die medienbezogenen Risiken und Chancen, mit denen die jeweiligen Mediensysteme in ihrer Entwicklung konfrontiert sind. Die Ergebnisse für Österreich liefern interessante Anhaltspunkte für die Beschreibung des Mediensystems des Landes, welche wir hier zusammengefasst haben.
Staatliche Regulierung vor Selbstregulierung
Ein auffälliges Merkmal des österreichischen Mediensystems ist die Bevorzugung der staatlichen Regulierung gegenüber der Selbstregulierung der Medien. Dies gilt insbesondere für den Rundfunk. Diese Kontrolle, etwa im Hinblick auf Meinungsvielfalt und fairen Wettbewerb, wird von gesetzlich verankerten Institutionen wie der KommAustria (Rechtsaufsichtsbehörde für den österreichischen Rundfunk) und der RTR (Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH) ausgeübt.
Im Bereich der Presse hingegen dominieren, wie auch in Deutschland, die Organe der Selbstregulierung. Diese sind jedoch vergleichsweise schwach institutionalisiert. Obwohl es seit 1961 den Österreichischen Presserat gab, wurde er 2002 aufgelöst. Damals scheiterte der Presserat daran, dass sich die Verlegerverbände nach einem Streit um die Boulevardzeitung Kronenblatt aus dem Presserat zurückzogen. Im Jahr 2010 wurde ein neuer Presserat gegründet. Die Weigerung einiger Medienverlage (z.B. jener der Kronen Zeitung), die Beschlüsse des Presserats umzusetzen, schwächte den Presserat jedoch weiterhin.
Als problematisch wird auch die mangelnde Kenntnis der Journalistinnen und Journalisten über die Institution und den von ihr verabschiedeten Ethikkodex angesehen, da dieser nicht effektiv ist. Dies zeigt sich einmal mehr darin, dass es keinen allgemeinen Kodex für Rundfunkjournalist:innen gibt.
Aus akademischer Sicht ist der Bereich der Medienethik und Medienverantwortung ebenfalls nur schwach institutionalisiert. Die wenigen bestehenden Lehrstühle, die sich in Österreich explizit mit diesen Themen befassen, bieten wenig empirische Forschung im Bereich der Medienethik, sondern konzentrieren sich hauptsächlich auf normativ-qualitative Ansätze.
Medienmarkt: Hoher Konzentrationsgrad
Da Österreich ein relativ kleines Mediensystem ist, ist die Sicherstellung einer ausreichenden Vielfalt umso wichtiger. Dennoch ist der österreichische Medienmarkt durch starke Konzentrationstendenzen gekennzeichnet. Im Printbereich ist beispielsweise zu beobachten, dass einzelne Familienkonzerne über ein extrem hohes Maß an Einfluss verfügen. Von den 14 in Österreich täglich erscheinenden Zeitungen befinden sich die bekanntesten und auflagenstärksten Titel, wie die Kronen Zeitung und die “Kleine Zeitung”, überwiegend in Familienbesitz. Einige andere Zeitungsmarken sind hingegen vom Aussterben bedroht, wie zum Beispiel die “Wiener Zeitung”. Darüber hinaus gibt es kaum eine Regionalpresse. Insgesamt wird die Pluralität des österreichischen Pressemarktes daher als gegeben, aber gefährdet angesehen.
Der Rundfunksektor wird von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten dominiert. Ihr großer Markteinfluss ist insbesondere auf die geringe Konkurrenzsituation für den ORF zurückzuführen, die sich durch die späte Öffnung des Medienmarktes für private Rundfunkveranstalter erklären lässt: Erst 2001 wurden Sendelizenzen für privaten Rundfunk vergeben.
Dieser private Rundfunk ist stark von anderen deutschsprachigen Ländern beeinflusst. Neben dem Phänomen, in Österreich deutsches Fernsehen zu sehen, ist dies vor allem darauf zurückzuführen, dass die reichweitenstärksten privaten TV-Sender im Besitz deutscher Unternehmen sind. Vor allem ProSiebenSat.1 Media ist mit seinen Sendern PULS 4 und auch ATV ein wichtiger Akteur auf dem österreichischen Fernsehmarkt.
Einstellungen von Journalist:innen
Die Journalismusforschung ist in Österreich fest etabliert. Solide und zum Teil periodisch wiederkehrende Studien geben Einblicke in Themen wie Arbeitsbedingungen, die demografische Struktur von Redaktionen oder das Rollenverständnis von Journalist:innen. Die empirische Forschung zu den Einstellungen der österreichischen Journalist:innen zeigt gegenläufige Tendenzen. Während ihr Professionalisierungsgrad vor allem durch die Akademisierung des Berufsstandes weiter steigt, ist die Zufriedenheit der Journalist:innen in den letzten Jahren gesunken. Viele von ihnen beklagen vor allem, dass sie heute mehr Arbeit in weniger Zeit erledigen müssen und kaum noch Zeit für investigative Recherchen bleibt.
Mediennutzungsverhalten der Österreicher
Wie Deutschland ist auch Österreich ein Zeitungsland, was vor allem auf die historische Entwicklung zurückzuführen ist. Trotz der zum Teil grundlegenden Veränderungen in der Medienwelt – und einer insgesamt rückläufigen Tendenz – haben Zeitungen immer noch eine vergleichsweise hohe Zahl an Leser:innen. Auffallend ist jedoch, dass die Boulevardzeitungen die Qualitätspresse bei den Auflagen deutlich übertreffen.
Obwohl die Digitalisierung auch an Österreich nicht spurlos vorbeigeht, sind die TV-Quoten stabil bzw. in einigen Segmenten sogar steigend. Auch Medienbildung und Medienkompetenz gewinnen zunehmend an Bedeutung und sind im Zuge der Digitalisierung zu einer Kerndisziplin in der österreichischen akademischen Forschung und Lehre geworden. Mit dem Schuljahr 2018/19 wurde die digitale Grundbildung auf nationaler Ebene in den Lehrplänen verankert.
Fazit: Mangelnde Medienethik und steigende politische Einflussnahme gefährden die Pressefreiheit
Insgesamt lässt sich sagen, dass das österreichische Mediensystem gute Voraussetzungen für Medienschaffende bietet. Allerdings gibt es auch einige Gefahren, die nicht außer Acht gelassen werden sollten, wie die hohe Konzentration auf dem Medienmarkt und die mangelnde Anerkennung oder Kenntnis von Ethikkodizes und Gremien wie dem Presserat. Die eingangs angesprochenen Skandale sind auch bei der Betrachtung des österreichischen Mediensystems als Ganzes von großer Relevanz. Es wird immer wieder versucht, Journalist:innen und Medien politisch zu beeinflussen. Dies führt in der Bevölkerung zu einem zunehmenden Vertrauensverlust in das politische System. Auf der Rangliste der Pressefreiheit, die jährlich von der Organisation Reporter ohne Grenzen erstellt wird, liegt Österreich im Jahr 2022 auf Platz 31 und ist damit innerhalb eines Jahres um 14 Plätze zurückgefallen, denn 2021 lag das Land noch auf Platz 17. Trotz dieser Entwicklung kann das Mediensystem Österreichs noch immer als vergleichsweise frei und liberal beschrieben werden.
Weitere Informationen zum Mediadelcom-Projekt gibt es hier.
Alle bereits veröffentlichten Beiträge zum Projekt finden Sie hier.
Schlagwörter:Korruption, Kurz, Media Accountability, Mediadelcom, Mediensystem, Österreich