Auf Zypern stehen Gesellschaft und Medien im Schatten des Zypernkonflikts. Seit 1974 ist die Insel geteilt: Der nördliche Teil ist von der Türkei besetzt, die dort die „Türkische Republik Nordzypern“ ausrief – international nur von der Türkei selbst anerkannt. Im Süden befindet sich die griechisch-sprachige und -geprägte Republik Zypern. Zypern reagiert empfindlich auf die Ausschläge aktueller globaler Herausforderungen. Die Spuren komplexer geschichtlicher Hintergründe sind in einer vielschichtigen Gesellschaft sehr lebendig. Als Spiegel beider bleibt auch die Medienlandschaft nicht unberührt von der Einzigartigkeit der zypriotischen Verhältnisse.
Im Verhältnis zur EU sind besonders die Themen Flucht und Migration prägend. Bedingt durch ihre geographische Lage an einer Schnittstelle zwischen den Himmelsrichtungen verzeichnet die Insel EU-weit die meisten Asylanträge relativ zur Bevölkerungszahl. Die Zugehörigkeit zur Union suggeriert: Wer zypriotischen Boden erreicht, erreicht europäischen Boden. Doch die Tatsache der Teilung und die fehlende Zugehörigkeit zum Schengen-Raum sorgen dafür, dass Menschen, die glauben, die EU erreicht zu haben, zumindest im Norden stranden. Sie dürfen dann auch nicht die Grenze in den Süden Zyperns überqueren.
Medienlandschaften und Pressefreiheit im Norden und im Süden Zyperns
Auf Zypern gibt es heute sowohl im Norden als auch im Süden private und öffentliche Medien. Bis zu den Neunzigerjahren hatte die Bayrak Radio and Television Corporation (BRTK), das Rundfunkmonopol im Norden, die Cyprus Broadcasting Corporation (CyBC) das Monopol im Süden inne. BRTK ist die türkisch-zypriotische, nationale Rundfunkanstalt, CyBC die griechisch-zypriotische, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt. Beide berichteten mehr oder weniger übereinstimmend mit der Linie der politischen Entscheidungsträger:innen. Die Privatisierung von Rundfunkmedien in den Neunzigern hat für mehr Diversität und Meinungspluralismus gesorgt, genau wie später die vermehrte Nutzung von digitalen und sozialen Medien. Insgesamt gibt es in Zypern die Tendenz, das Internet als primäre Informationsquelle zu nutzen.
Die faktische Spaltung des Landes bewirkt auch Unterschiede in den Medienlandschaften des nördlichen und südlichen Teils. Tatsächlich unterscheidet Reporter ohne Grenzen auf der Rangliste der Pressefreiheit zwischen Zypern und Nordzypern, wobei Zypern Platz 65 von 180, Nordzypern Platz 72 von 180 belegt. Die zypriotischen Medien sind offiziell eine unabhängige und freie Institution. Meinungs- und Pressefreiheit sind in beiden Verfassungen Zyperns verankert. Im nördlichen Teil Zyperns sind jedoch Einschränkungen der Pressefreiheit möglich, etwa zum Schutz der öffentlichen Ordnung.
Die zypriotischen Medien sind außerdem häufig eng mit Akteur:innen aus Politik und Wirtschaft verbandelt. Auch die orthodoxe Kirche ist nicht einflusslos, sie besitzt etwa Teile des griechisch-zypriotischen Fernsehsenders Omega. Mehrere türkisch-zypriotische Tageszeitungen stehen in enger Verbindung mit türkisch-zypriotischen Parteien. Eine der größten Zeitungen Zyperns, die griechisch-sprachige Haravgi, gilt als Sprachrohr der kommunistischen Partei AKEL.
Wegen dieser engen Verbindungen geben viele Medienschaffende an, gewissen Narrativen zu folgen, die verträglich mit der politischen Agenda sind. Häufig beziehen sich diese Narrative auf Migration oder die Spaltung Zyperns, wobei sie etwa die Legitimität der anderen Seite in Frage stellen. In Zypern gibt es eine lange Geschichte der Selbstzensur. Um Probleme mit Politiker:innen oder in Medienhäusern zu vermeiden, lernen Journalist:innen, was sie äußern können und was nicht.
Die kritische Berichterstattung zu vielen Themen kann riskant sein. 2018 wurde die türkisch-zypriotische Zeitung Afrika von türkischen Nationalist:innen angegriffen, nachdem ein Artikel eine türkische Militäroperation im syrischen Afrin kritisiert hatte. Nach dem Erscheinen des Artikels denunzierte der türkische Präsident Erdoğan die Zeitung und forderte von seinen „nordzyprischen Brüdern und Schwestern“ die „nötige Antwort“. Reporter ohne Grenzen sieht den Druck, den türkische Politiker:innen auf zypriotische Medien ausüben können, eher zunehmen.
“Journalists here know what they can and cannot write. They are aware that there is a frame which they cannot step outside. No-one is standing beside them with a gun or sword to their head. They have learned and internalized what they can and cannot write.” – Befragung zypriotischer Medienschaffender
Der investigative Journalist Makarios Drousiotis, der eine Buchtrilogie zu Korruption in der griechisch-zypriotischen Regierung veröffentlicht hatte, war nach eigener Aussage von der Regierung überwacht und eingeschüchtert worden. Im September letzten Jahres forderte Reporter ohne Grenzen die zypriotischen Autoritäten zu einer genaueren Untersuchung der Vorwürfe auf, da die bisherigen unzureichend seien. Im Mai dieses Jahres berichtete die NGO Organized Crime and Corruption Reporting Program, dass der ehemalige griechisch-zypriotische Präsident Nicos Anastasiades eine Verleumdungsklage gegen Drousiotis eingereicht hat.
Zypernkonflikt und Medien im Wechselspiel
Journalismus in Konfliktzonen gestaltet sich oft besonders schwierig. Die versuchte Einflussnahme von Akteur:innen außerhalb des journalistischen Feldes ist oft hoch, gleichzeitig sind Journalist:innen selbst Teil der Gemeinschaften, die im Konflikt miteinander stehen. Neutralität und Unparteilichkeit werden schwieriger.
Die zypriotischen Medien waren und sind sehr involviert im Zypernkonflikt. Obwohl der Konflikt seit langer Zeit besteht und in dem Sinne „eingeschlafen“ ist, dass beide Gemeinschaften auf der Insel koexistieren, kommt das Thema in den Medien immer noch prominent vor. Hierbei ist es wichtig zu beachten, dass die Berichterstattung über den Konflikt häufig nicht neutral abläuft. Die starken Einflüsse auf die zypriotischen Medien bedeuten auch, dass die präsentierten Blickpunkte auf die Zypernfrage beeinflusst sind. Das zeigte sich etwa in der Berichterstattung über den sogenannten Annan-Plan. Der Annan-Plan wollte 2004 eine Wiedervereinigung der beiden Inselteile schaffen, scheiterte aber in einer Volksabstimmung an den Griechisch-Zypriot:innen. Die ablehnende Haltung dem Plan gegenüber spiegelte sich auch in der medialen Abdeckung auf der griechisch-zypriotischen Seite wider, während in den türkisch-zypriotischen Medien eine ambivalentere Berichterstattung vorherrschte. Auch diese repräsentierte die Haltung der Politik der türkisch-zypriotischen Entscheidungsträger:innen. Im Falle Zyperns hat die gefärbte Berichterstattung die Konsequenz, dass die Spaltung zwischen der griechisch-zypriotischen und der türkisch-zypriotischen Gemeinschaft insgesamt durch die Medien eher vertieft wird. Es gibt Versuche, diese Rolle zu ändern. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hatte 2018 ein Glossar zu verantwortungsbewusstem Sprachgebrauch im Journalismus herausgebracht. Erarbeitet wurde es von zwei türkisch-zypriotischen und zwei griechisch-zypriotischen Autor:innen gemeinsam. Das Glossar erntete Kritik von Politiker:innen, aber auch Journalist:innen, die fanden, es würde historische Fakten verzerren.
Rollenverständnisse von Medienschaffenden auf Zypern
Die 2021 veröffentlichten Ergebnisse einer Befragung unter zypriotischen Journalist:innen geben Aufschluss über deren eigenes Rollenverständnis. Zum einen empfanden sich zypriotische Journalist:innen in einer wichtigen Rolle als „disseminator“, also Verbreiter:innen von Nachrichten, Informationen und Berichten. Hierfür ist auch die Verifikation von Fakten sehr wichtig, was oft durch Misstrauen oder Unwillen erschwert wird, wenn diese durch Stellen auf der „anderen“ Seite Zyperns erfolgen muss. Journalist:innen auf Zypern sehen sich jedoch nicht nur als reine Beobachter:innen, sondern häufig auch als „watchdogs“: Sie empfinden es als ihre Verantwortung, die Mächtigen zu beobachten, zu hinterfragen und zu kritisieren. Gleichzeitig geben sie an, dass diese Aufgabe wegen der oben beschriebenen Verbindungen und Einflussnahmen sehr herausfordernd sei. Das führt dazu, dass die Berichterstattung häufig hinter dem zurückbleibt, was Journalist:innen eigentlich als ihre Aufgabe beschreiben. Die Kommunikationswissenschaftlerin Claudia Mellado beschreibt die Diskrepanz zwischen dem Rollenverständnis und der Rollenperformanz von Journalist:innen im Buch Beyond Journalistic Norms als verbreitetes Phänomen. Sowohl türkisch-zypriotische als auch griechisch-zypriotische Journalist:innen in der Befragung sahen sich in der Verantwortung, eine Lösung der Zypernfrage voranzutreiben. Die bevorzugte Lösung unterschied sich zum Teil, nicht alle unterstützten eine Wiedervereinigung. Einige ordneten sich dem Friedensjournalismus zu, bei dem Journalist:innen ihre Berichterstattung aktiv so gestalten, dass sie der Konfliktlösung hilft.
Insgesamt sind die Rollenverständnisse zypriotischer Journalist:innen sehr stark von der Spaltung Zyperns und den seit Jahrzehnten anhaltenden interkommunalen Spannungen geprägt.
Die Zukunft des Journalismus auf Zypern
Schwierige Arbeitsbedingungen für Journalist:innen auf Zypern können auch den journalistischen Nachwuchs davon abschrecken, für die Ausübung des Berufes im Land zu bleiben. Eine Lösung der Zypernfrage scheint momentan weit entfernt. Der Konflikt wird so vermutlich weiterhin die zypriotische Gesellschaft und Medien prägen.
Şahin, S. (2022). Reporting Conflict and Peace in Cyprus. Journalism matters. Palgrave Macmillan. DOI: 10.1007/978-3-030-95010-1
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https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/32116/historische-hintergruende-des-zypernkonflikts/
https://www.reporter-ohne-grenzen.de/nordzypern
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https://www.eurotopics.net/de/203066/streit-ueber-glossar-fuer-journalisten-auf-zypern
https://www.eurotopics.net/de/149431/zypern-geteilte-oeffentlichkeit#
https://www.occrp.org/en/daily/18694-cyprus-ex-president-sues-corruption-probe-witness-author
https://journalistikon.de/friedensjournalismus/
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