Seit Jahrzehnten werden Journalist*innen, die über Umweltthemen berichten, immer häufiger bedroht, attackiert, verhaftet oder sogar getötet. Diese Angriffe wirken sich sowohl praktisch als auch psychologisch stark auf den Umweltjournalismus aus. Alberto Silini, Redakteur der französischen EJO-Seite, hat darüber mit dem Autor einer aktuellen Studie zum Thema, Eric Freedman, und der Geschäftsführerin der Society of Environmental Journalists, Meaghan Parker, gesprochen.
Über Umweltthemen zu berichten kann für eine*n Journalist*in sehr riskant sein. Ende August 2020 wies Reporter ohne Grenzen (RSF) auf die beunruhigende Häufung der Angriffe gegen Umweltjournalist*innen hin. Laut RSF wurden im vergangenen Jahrzehnt mindestens 20 Umweltjournalist*innen getötet; und seit 2015 wurden 53 Fälle von Verletzungen der Pressefreiheit im Zusammenhang mit Umweltberichterstattung registriert. Anderen Quellen zufolge haben 40 Reporter zwischen 2005 und 2016 aufgrund ihrer Umweltberichterstattung das Leben verloren.
„Die Zahl der Umweltjournalist*innen, die angegriffen oder getötet werden, steigt schon seit Jahrzehnten“, bestätigt Eric Freedman, Direktor des Knight Center for Environmental Journalism an der Universität Michigan, der eine Studie zu dieser Thematik geschrieben hat.
Die Angriffe sind überall auf der Welt passiert, laut RSF aber besonders häufig in Asien und Amerika (66%). Mit vier getöteten Umweltjournalist*innen und vier gewalttätigen Angriffen führt Indien die Liste an, gefolgt von Kolumbien, Mexiko, den Philippinen und Myanmar.
„Die Sand-Mafia“
Warum so viel Gewalt? „Umweltkontroversen hängen sehr oft mit bedeutenden wirtschaftlichen Interessen, politischen Kämpfen, kriminellen Machenschaften und Korruption zusammen“, erklärt Freedman in der Studie. Journalist*innen, die bei ihren Recherchen in solche Wespennester stechen, geraten daher schnell in Gefahr.
In Indien ereigneten sich fast alle von RSF registrierten Fälle von Gewalt gegen Umweltjournalist*innen im Zusammenhang mit der sogenannten „Sand-Mafia“, die illegal Steinbrüche und Flussbetten plünderte.
Doch nicht alle Angreifer gehören zu kriminellen Organisationen. „Die von Gewalt betroffenen Journalisten, die ich interviewt habe, nennen unterschiedliche Verursacher“, so Freedman. „Darunter fanden sich Unternehmen, die Polizei, Militärs und wütende lokale Bürger.“
Die Gefahren, denen sich Umweltjournalist*innen aussetzen, sind also offensichtlich – aber womit ist der Anstieg der Gewalt zu erklären? Eric Freedman sieht die Verantwortung dafür vor allem bei Regierungen, deren „Unwillen und Unfähigkeit, die Täter zu verhaften und bestrafen, ihnen in weiten Teilen der Welt erlaubt, völlig unbelangt zu agieren“.
„Legale“ Repressionen
Nicht nur physische Gewalt wird eingesetzt, um kritische Journalist*innen zum Schweigen zu bringen. RSF erinnert auch daran, dass die Reporter*innen sich allzu schnell selbst in der Rolle der Beschuldigten wiederfinden und zum Beispiel wegen Diffamierung angeklagt werden.
Die häufigsten dieser „legalen“ Methoden sind Verwarnungen und Festnahmen. In Kanada und den USA wurden zwischen 2016 und 2020 zum Beispiel mehr als zehn Journalist*innen verhaftet, während sie über Demonstrationen gegen den Bau einer Erdgasleitung berichteten.
Auch Hass und Drohungen im Netz sind ein Problem – zum Beispiel in den USA, wo Umweltjournalist*innen „ständigen online-Anfeindungen ausgesetzt sind, vor allem, wenn sie sich mit dem Klimawandel beschäftigen“, erklärt Meaghan Parker, Geschäftstführerin der Society of Environmental Journalists (SEJ).
Langzeitfolgen
Die Gewalt hat Langzeitfolgen. In seiner Studie beleuchtet Freedman auf der Basis von Interviews mit elf von Gewalt betroffenen Umweltjournalist*innen die psychologischen und professionellen Konsequenzen.
„Zu den psychologischen Folgen gehören Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen und Suchterkrankungen“, stellt er fest. „Die Journalist*innen sind außerdem dem Risiko ausgesetzt, ihre Arbeitsplätze zu verlieren oder Druck durch ihre Chefs zu erfahren.“
Freedman bemerkt außerdem, dass die Opfer nur selten Hilfe suchen, was er einer gewissen „Macho-Kultur“ in dem Berufsstand zuschreibt: „Journalisten halten sich oft für besonders resilient und widerstandsfähig, auch in schwierigen Kontexten. Das gilt übrigens unabhängig vom Geschlecht.” Ähnliche psychologische Folgen werden auch bei Kriegs-und Konfliktreporter*innen beobachtet, die ebenfalls überdurchschnittlich häufig potentiell traumatisierenden Situationen ausgesetzt sind und ebenfalls nur selten professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.
Dennoch gibt es Unterschiede zwischen der Kriegs- und der Umweltberichterstattung: „Im Gegensatz zu Umweltjournalist*innen sind Kriegsreporter*innen viel häufiger Gewalt ausgesetzt, die nicht spezifisch auf sie selbst gerichtet ist, zum Beispiel Bombardierungen“, so Freedman. „Sie werden in solchen Fällen nicht gezielt angegriffen, sondern weil sie sich zur falschen Zeit am falschen Ort befinden. Das gilt auch für Journalist*innen, die über Umweltkatastrophen berichten.“
Ausbildung, Schutz und Abschreckung
Um die Risiken ihrer Arbeit zu reduzieren, können Journalist*innen an Trainings und anderen Ausbildungsangeboten teilnehmen, die zum Beispiel von der SEJ in Kooperation mit anderen Journalistenorganisationen angeboten werden. „Wir bieten einen Workshop an, der praktische Tipps zum Selbstschutz in schwierigen Situationen vermittelt, außerdem ein Handbuch zum Umgang mit Online-Bedrohungen“, erklärt Meaghan Parker. „Außerdem haben wir Ressourcen zum Umgang mit Trauma.“
Eric Freedman betont allerdings, dass solche Weiterbildungen den Journalist*innen zwar als „eine gewisse Vorbereitung“ nützen können, dies reiche aber nicht aus. „Um sie zu schützen, bedarf es außerdem der Abschreckung: Regierungen müssen deutlich machen, dass jede Gewalttat gegen Journalist*innen, rechtlich verfolgt und bestraft wird.“
Wie kann es mit dem Umweltjournalismus weitergehen?
„In der Vergangenheit gab es eine recht enge Definition von Umweltjournalismus, wonach dieser sich hauptsächlich mit Flora, Fauna und Umweltverschmutzung auseinandersetze“, so Parker. Mit der Zeit hat sich diese Definition aber erweitert: „Inzwischen beschäftigen sich Umweltjournalist*innen mit allen lebenswichtigen Ressourcen, darunter Nahrung, Wasser, Luft und Energie“, führt sie aus. „Diese Ressourcen gehören zur Umwelt, werden aber durch menschliche Aktivitäten stark beeinflusst. Ohne dies Ressourcen gäbe es kein Leben auf der Erde. Daher erzählen Umweltjournalisten eigentlich die wichtigsten Geschichten, die es aktuell zu erzählen gibt.“
Zuerst veröffentlicht auf der französischen EJO-Seite am 11. September 2020.
Übersetzt aus dem Französischen von Johanna Mack.
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Schlagwörter:Journalismus, Pressefreiheit, Umwelt, Umweltjournalismus