„Oh wie schön ist Panama!“ Dass Journalisten im Zusammenhang mit dem globalisierten Enthüllungsprojekt um Briefkastenfirmen, Steuerhinterziehung und Geldwäsche Janoschs Kinderbuch wiederentdecken würden, war vorhersehbar. Naheliegender und zugleich phantasievoller wäre es indes gewesen, Janoschs Botschaft in einem ganz anderen Umfeld als Denkanstoß aufzunehmen – im Kontext der Flüchtlingskrise.
Dass unter den Hunderttausenden, die sich auf die Völkerwanderung nach Europa aufgemacht haben, nicht nur Asylsuchende sind, ist unbestreitbar. Und es sind eben nicht nur Kriegsopfer aus dem ausgebombten Syrien, sondern auch viele Wirtschaftsflüchtlinge darunter. Der geografische Gürtel der Herkunftsländer ist weitgespannt und reicht von Afghanistan und Irak bis hin nach Algerien und Marokko.
Das wirft die Frage auf, weshalb gleichsam über Nacht für Millionen Menschen Europa und insbesondere Deutschland zur „Panama-Verheißung“ wurde – mit dem fatalen Unterschied, dass sie nicht wie der kleine Bär und der kleine Tiger nach einem kurzen, lehr- und abenteuerreichen Ausflug ins eigene Heim zurückfinden, sondern inzwischen irgendwo auf halbem Weg zwischen sich schließenden Grenzbäumen und neu errichteten Stacheldraht-Barrieren festsitzen.
Für all diejenigen, die den Flüchtlingsstrom eindämmen oder auch nur sein Zustandekommen besser verstehen wollen, gehen damit zwei Forschungsfragen einher, die bisher nur sehr rudimentär beantwortet sind. Zum einen sollten wir mehr über die Mediensysteme und die Mediennutzung in den Herkunftsländern wissen – denn auch für die arabische und islamische Welt gilt, dass die Menschen meist aus den Medien erfahren, was sie zu wissen glauben. Und wenn Millionen ihr letztes Hab und Gut verscherbeln und ihr Leben riskieren, um sich in den Hände von Schleppern auf den Weg nach Europa zu begeben, dann können diese Entscheidungen nur auf einem gigantischen Ausmaß an Desinformation und Nichtwissen beruhen, die sich mit Verzweiflung paaren.
Wie in islamischen Ländern die Medien ihre Publika informieren, wem sie gehören und welchen Interessen sie gehorchen, das sind bisher jedoch – schon wegen der Sprachbarrieren – weitgehend Leerstellen der Medienforschung. Inzwischen gibt es immerhin zaghafte Anfänge. So informieren gleich zwei Neuerscheinungen über Mediensysteme in arabischen Ländern: Einen vielschichtigen Überblick gewährt der Band „Arabische Medien“, den Asiem Difraoui und Carola Richter (beide FU Berlin) herausgegeben haben, während sich Judith Jäger und Christopher Resch (Goethe-Institut, Kairo) speziell mit der Medienfreiheit und dem Journalismus in Ägypten nach der Arabischen Revolution befassen. (mehr dazu im EJO-Beitrag Mediensysteme im Wandel, Fokus Naher Osten)
Am Ableger der Northwestern University in Qatar wurde dieser Tage zum vierten Mal ein Report veröffentlicht, der über die Mediennutzung in mehreren arabischen Staaten Aufschluss gibt und in allen untersuchten Ländern den „digital divide“ schwinden sieht. Eine zweite Studie spürt den Eigentumsverhältnissen nach und zeigt, wie neue lokale und internationale Akteure auch die Medienmärkte in diesem Teil der Welt aufmischen. Ergänzend dazu befasst sich eine weitere Forschungsarbeit, die ein britisch-skandinavisches Forscherteam vorgelegt hat, mit arabischen Medienmogulen und ihrem Einfluss auf die Politik. Somit sind wichtige Anfänge gemacht, die auf mehr Transparenz der Medienwelt in Nordafrika und im Nahen Osten hoffen lassen.
Aber damit erfahren wir natürlich noch nichts darüber, wie diese Medien über Europa berichten, und weshalb gerade die deutschsprachigen Länder zum Panama-Traum der Migranten wurden. Um die Beweggründe von Flüchtlingen besser zu verstehen, sollten wir zum anderen wohl mehr über den menschlichen Herdentrieb wissen. In vielen Alltagssituationen kann es rational sein, sich blindlings einer Herde oder einem Schwarm anzuschließen – und gerade Journalisten tun das ja immer wieder scharenweise mit jeder Medienhype von neuem. Indes impliziert solches Verhalten mitunter auch ein kollektives Selbstmord-Risiko, wie wir von den Lemmingen wissen.
Ökonomen, vor allem jene, die Finanzmärkte untersuchen, beschäftigen sich seit vielen Jahren mit den Auslösern von Schwarmintelligenz und Schwarmdummheit. Von ihren Einsichten ist bisher wenig in die Medienforschung hinübergeschwappt. Statt Methoden und Einsichten der Ökonomie kreativ zu nutzen, scheinen viele Medienforscher eher selbst Opfer des Herdentriebs zu sein.
Literaturtipps
Asiem Difraoui und Carola Richter (Hrsg.): Arabische Medien. Konstanz 2015, UVK
Judith Jäger und Christopher Resch (Hrsg.): Medienfreiheit in Ägypten. Zum journalistischen Arbeiten in Ägypten nach der Arabischen Revolution. Köln 2015, Herbert von Halem Verlag
Everette Dennis/Justin Martin/Rob Wood: Media Use in the Middle East 2016, Northwestern University in Qatar in partnership with Doha Film Institute, Doha 2016 http://www.mideastmedia.org/survey/2016/
Rob Wood/Klaus Schönbach mit Marium Saeed. Media Industries in the Middle East 2016, Northwestern University in Qatar in partnership with Doha Film Institute, Doha 2016 http://www.mideastmedia.org/industry/2016/
Donatella Della Ratta, Naomi Sakr und Jakob Skovgaard-Petersen (Hrsg.): Arab Media Moguls. London 2015, I.B. Tauris
Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist Nr. 6/7
Bildquelle: Steve Evans/Flickr CC: Open the Border – Refugees / Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/
Schlagwörter:arabische Länder, Arabische Medien, Asiem Difraoui, Carola Richter, Christopher Resch, Flüchtlinge, Flüchtlingskrise, Judith Jäger