Der trügerische Zauber von Synergien

7. März 2009 • Medienökonomie • von

Erstveröffentlichung: St. Galler Tagblatt

Der Paukenschlag war heftig. Als am 2. März 2009 tamedia und Edipresse verkündeten, dass die beiden Verlasgshäuser zusammen gehen wollen, waren wohl die meisten Medienexperten überrascht.

Auch wenn viele haben kommen sehen, dass es – gerade in den jetzigen unsicheren wirtschaftlichen Zeiten – weitere Unternehmenszusammenschlüsse geben würde, hatte mit dieser Fusion kaum jemand gerechnet. Zum ersten Mal entsteht in der Schweiz, die sich über so viel Medienvielfalt wie kaum ein anderes europäisches Land erfreut, ein Medienkoloss, dessen Zeitungsimperium von der Ostschweiz bis an den westlichen Winkel des Genfer Sees reicht: In Sankt Gallen ist die tamedia mit dem Gratisblatt 20 minuten am Markt, im Nachbarkanton Thurgau gehört ihr die Thurgauer Zeitung. In Genf und Lausanne kommen von Edipresse Le Temps, Tribune de Geneve, Le Matin, 24 heures und der Gratistitel Le matin bleu dazu. Letzterer soll mit 20 minutes zusammengelegt werden.  Und an seinem Stammsitz Zürich ist tamedia ohnehin der Platzhirsch  im Multimedia-Geschäft – mit 20 minuten, Tages-Anzeiger, Sonntagszeitung, Tele-Züri und Radio 24.

Auf den ersten Blick ist das ein mächtiger Konzentrationsschub, und damit gehen Befürchtungen einher, der Meinungspluralismus in der Schweiz könnte Schaden nehmen. Bei näherem Hinsehen sind derlei Ängste wenig begründet: Zum einen hat die tamedia bisher hausintern sehr viel Pluralismus ermöglichst. Eine politische Gleichschaltung des Medienimperiums, wie sie etwa bei Berlusconi oder bei Murdoch immer wieder zu beobachten sind, ist von Pietro Supino und Martin Kall, den beiden Top-Leute der tamedia, nicht zu erwarten. Zum anderen wird schon der Röstigraben zwischen der Suisse Romande und der Deutsch-Schweiz allzu viel Gleichklang verhindern. Die Sprachbarriere macht es wenig wahrscheinlich, dass Le Temps künftig von den gleichen Korrespondenten beliefert wird wie der Tages-Anzeiger. Schon die Übersetzungskosten für einzelne Artikel sind höher für Beiträge, die eine Redaktion direkt bei einem freischaffenden Journalisten bestellt, der in seiner Muttersprache arbeitet.

Synergien wird es also weniger in den Redaktionen als vielmehr „backstage“ geben, wie es so schön im Management-Jargon heisst. Hinter der Bühne kann man, so jedenfalls hat es Tamedia-Chef Martin Kall vorgerechnet, rund 30 Millionen Franken jährlich sparen, indem man Papier gemeinsam einkauft, Druckereien besser auslastet, das Anzeigengeschäft gemeinsam betreibt und andere Bereiche, zum Beispiel die Informationstechnologie, zusammenlegt. Das klingt, gemessen an den Milliarden Steuergelder, die unsere Politiker allerorten in Europa derzeit so grosszügig an Banken, Autohersteller und andere „Notleidende“, verteilen, eher nach „Peanuts“. Gemessen am Umsatz der beiden Unternehmen von 1,5 Milliarden Franken, handelt es sich um ein Sparpotential von 2 Prozent. Das wiederum erscheint solide und realistisch kalkuliert.

Vor allem aber ist man mit einem Unternehmen, das nahezu im ganzen Land präsent ist, gegen Giganten wie Google oder Microsoft, aber auch die Telekom-Konzerne und sogar die Post besser gewappnet, die mit Macht ins Mediengeschäft drängen.

Trotz solch offensichtlicher Chancen, die aus der Elefantenhochzeit erwachsen, ist der Schritt von Tamedia und Edipresse mutig. Denn nicht nur Daimler und Chrysler oder Dresdner Bank und Allianz haben nach kurzen Flitterwochen gemerkt, dass ihre Unternehmenskulturen wenig harmonieren. Auch bei Fusionen zahlreicher grosser Medienunternehmen war der Ehestreit programmiert und hat die Aktionäre viel Geld gekostet. Robert Picard, einer der prominentesten Medienökonomen Europas, hat erst kürzlich bei einer Fachtagung in der Schweiz aufgelistet, wo überall sich die Träume von Synergien in Luft aufgelöst haben: Er erinnerte an AOL-Time Warner, an Vivendi Universal, und an Bertelsmann als besonders spektakuläre Fälle. Die Liste liesse sich mühelos verlängern. Picard plädierte für mehr „coopetition“ –  eine Wortschöpfung aus „cooperation“ und „competition“. Dabei geht es um eine enge, punktuelle  Zusammenarbeit unter Wettbewerbern, die jedoch selbständig bleiben. Ob das der bessere Weg auch für tamedia und Edipresse gewesen wäre, bleibt abzuwarten.

Ein weiterer Punkt ist bemerkenswert: Die beiden Unternehmen verschmelzen, ohne dass Milliarden hin und hergeschoben werden und sich die neuen Eigentümer hoch verschulden, was zum Beispiel jüngst in den USA dazu führte, dass so renommierte Zeitungen wie Chicago Tribune, Los Angeles Times oder der Philadelphia Inquirer Gläubigerschutz beantragen mussten. Tamedia übernimmt das Heft bei Edipresse, aber Edipresse wird im Gegenzug ein tonangebender Aktionär bei Tamedia. Gemeinsam sind die beiden sicherlich stärker, wenn sie sich nicht intern aneinander aufreiben – und stark müssen Zeitungshäuser sein, wenn sie die bevorstehenden Turbulenzen überleben wollen

(vgl. auch den Bericht über den US-Zeitungsmarkt im St. Galler Tagblatt v. Montag, 2. März).

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