Verunsicherung bei Mediennutzenden: Sorgen vor Desinformationen im Superwahljahr 2024

29. April 2024 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

Bildquelle: 3dpete/ Flickr

Die vergangenen Jahre haben das Thema Fake News und Desinformationen immer mehr ins gesellschaftliche Bewusstsein rücken lassen – Forschende sprechen sogar von der Desinformationskrise. Sei es die Amtszeit von Ex-US-Präsident Donald Trump, die Corona-Pandemie oder auch aktuellere Beispiele, wie der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine oder jüngst die Eskalation des Nahost-Konflikts – all diese Ereignisse waren im Bewusstsein der Öffentlichkeit nicht nur politische und soziale Geschehnisse, sondern wurden auch vom medialen Ringen um die Deutungs- und Meinungshoheit überschattet. Ob und wie Mediennutzende Desinformation wahrnehmen, untersucht eine Studie der Bertelsmann-Stiftung

Nicht immer ist es dabei einfach, aus dem Informationsüberfluss aus den klassischen wie aus den sozialen Medien herauszufiltern, welche Information nun korrekt ist, welche Meinungsäußerung auf unwissentlich verbreiteten Unwahrheiten beruht und welche bewusst eingesetzte Desinformation mit dem Ziel der Einflussnahme ist. Dies gilt für untrainierte Mediennutzende, aber auch für Menschen, deren beruflicher Alltag aus der Aufnahme, Verarbeitung und Produktion von Medien besteht.

Desinformationen und Verunsicherung

Eine jüngst angefertigte Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass eine Mehrheit der Deutschen wegen dieser Ungewissheit sich nicht nur in ihrem Medienkonsum verunsichert fühlen, sondern sich auch darüber im Klaren sind, welche potentielle Gefahr böswillige Desinformationskampagnen für den demokratischen Zusammenhalt der Gesellschaft darstellen – und auch für den Ablauf und Ausgang von Wahlen.

Um zu ihrem statistisch repräsentativen Ergebnis zu kommen, hat die pollytix strategic research GmbH im Auftrag der Stiftung im Zeitraum zwischen dem 4. und 17. Oktober 2023 insgesamt 5055 Deutsche zu ihrem Blick auf das Thema Desinformation befragen lassen. Die Studie nimmt dabei eine Einteilung der Ergebnisse nach dem Grad des Medienvertrauens vor, da dieser zentralen Einfluss auf die Erkennung und Bewertung von möglichen Mis- und Desinformationen hat.

Falschinformation: Faktisch nicht korrekte Informationen.

Fehlinformation: Als Fehlinformation gelten falsche Informationen, die ohne Täuschungsabsicht verbreitet werden.

Desinformation: Der Begriff bezeichnet falsche Informationen, die absichtlich verbreitet werden, um Schaden anzurichten oder für Verunsicherung zu sorgen.

Angriff auf die Demokratie

Die Ergebnisse der Bertelsmann-Studie sind eindeutig: 84 Prozent der Deutschen sehen in Desinformation im Internet ein großes oder sehr großes Problem für die Gesellschaft, 81 Prozent betonen dabei sogar, dass dieses Problem den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie ernsthaft bedrohe. Lediglich eine Minderheit von 13 Prozent der Befragten vermuten, dass die Debatte um Fake News instrumentalisiert werde, um alternative Meinungen zu delegitimieren.

Auch über den vermuteten Zweck dieser Desinformationen sind sich die Befragten größtenteils einig. Über 90 Prozent sagen, die Verbreitung der Desinformation folge der Intention der politischen Meinungsbeeinflussung. Ähnlich viele Befragte vermuten als Intention eine Spaltung der Gesellschaft – 84 Prozent – und die Beeinflussung von Wahlen – 86 Prozent. Dass diese Beeinflussung der Wahlergebnisse tatsächlich fruchten kann, bereitet immer noch 67 Prozent der Befragten Sorgen.

Erkennung und Verortung

Bei der Erkennung und Verortung von Desinformation hingegen, fallen die Prozentzahlen nicht mehr so eindeutig hoch aus – in diesen Bereichen beginnen sich die Unterschiede hinsichtlich der demografischen Faktoren sowie der Schlüsselkategorie Medienvertrauen auszudifferenzieren. Grundsätzlich scheint jedoch eine intensive Nutzung sozialer Medien mit einem gesteigerten Kontakt zu Desinformation zusammenzufallen. Junge Menschen, Männer und Personen mit hoher Bildung, so die Studie, nehmen diese Desinformationen häufiger als solche wahr, wie auch Personen mit geringem Medienvertrauen. Auch die Verunsicherung über den Wahrheitsgehalt von Informationen im Internet trifft bei jungen Menschen und Personen mit geringem Medienvertrauen vermehrt auf.

Während nur 37 Prozent der Befragten Nachrichtenseiten als Verbreitungsplattform von Desinformation angeben, sind es bei den sozialen Medien immerhin 59 Prozent. Aber ungeachtet der Wege der Verbreitung, stechen politische Akteur:innen als Quelle und Verbreiter:innen nach Ansicht der Befragten heraus. Sowohl „Protestgruppen und Aktivist:innen“ und „Blogger:innen und Influencer:innen“, als auch „Ausländischen Regierungen“ und „Politiker:innen und Parteien in Deutschland“ – all diese Akteursgruppen knacken, so die Befragten, die 50 Prozent Marke. 55 Prozent vermuten, dass Desinformation sowohl vom linken als auch vom rechten politischen Spektrum verbreitet werde.

Schlüsselkategorie Medienvertrauen

Was die aktuelle Bertelsmann-Studie von vorherigen Studien abhebt – ähnelt sie doch in ihren Ergebnissen, was die Verunsicherung und die Erkennung der Gefahr von Desinformationen angeht, Erhebungen wie der forsa-Umfrage „Informationsverhalten Wahlen und Desinformation 2023“ oder der upgrade democracy Studie „Verschwörungsmentalität in Krisenzeiten“ – ist die Unterscheidung nach dem Medienvertrauen. Eine Unterscheidung, die gerade für Journalist:innen relevant ist; ist es doch an ihnen, nicht nur gegen die Verbreitung von Desinformation, sondern zudem auch gegen das geringe Medienvertrauen anzukämpfen.

Die Bertelsmann-Studie zeigt, dass Menschen mit geringem Medienvertrauen nicht nur häufiger Fehlinformationen als böswillig gestreute Desinformation einstufen, sondern zudem auch inländische Akteur:innen, die Bundesregierung und eben auch Journalist:innen als Quelle und Verbreiter dieser ansehen. Diese Akteur:innen verfolgten damit, so die entsprechenden Befragten, den Zweck, von Skandalen und politischer Unfähigkeit abzulenken. Eine Einordnung, die angesichts der „Lügenpresse“-Parolen bei anti-demokratischen Demonstrationen und der massiven Zunahme von Gewaltakten gegenüber Medienschaffenden – vor allem im Rahmen der Corona-Pandemie – kaum verwunderlich erscheint.

Im Land der Extreme

Da auch dort eine große Wahl bevorsteht – und auch aus Gründen der wissenschaftlichen Vergleichbarkeit – nahmen die Studienersteller:innen Daten von über 2000 Personen aus dem US-amerikanischen Raum auf. Entsprechend der stärkeren Polarisierung der US-amerikanischen Gesellschaft, zeigen auch die abgefragten Kategorien der Desinformationswahrnehmung wie auch die des Bewusstseins über ihre Wirkung, Quellen und deren Intentionen höhere Werte.

So sind über 20 Prozent mehr Menschen unsicher was den Wahrheitsgehalt von Informationen im Internet angeht: 67 Prozent der Befragten gaben dies an. Ein noch größerer Unterschied lässt sich bei der Wahrnehmung von Desinformationen feststellen. Hier waren es 61 Prozent, ein Anstieg von 26 Prozent gegenüber den hierzulande Befragten.

Während in Deutschland nur eine klare Minderheit die eigene Regierung als häufige Quelle für die Desinformationen ansieht, ist es in den USA eine Mehrheit – was sich in den Werten für „Politiker:innen und Parteien im Inland“ (68 Prozent), „Medien und Journalist:innen im Inland“ (58 Prozent) sowie „die Regierung“ (58 Prozent) erkennen lässt. Dem Trend dieser Ergebnisse folgend – und wenig verwunderlich, bei den Erfahrungen aus dem Trump-Wahlkampf im Jahr 2016 – sind auch die Werte für die Themenbereiche, in denen Desinformationen auftreten, für „Politik und Wahlen“ höher als in Deutschland, wie auch die Befürchtung, Desinformationen könnten die Wahlergebnisse beeinflussen. Auch der Diskurs über Desinformationen und der Umgang mit ihnen sind in den USA ausgeprägter. Nicht nur ist der Anteil der Befragten höher, die die Auffassung vertreten, das Thema bekomme zu viel Aufmerksamkeit, sondern auch die Zahl derer, die hinter dem Begriff lediglich ein Mittel zur Diffamierung unliebsamer Meinungen vermuten – mit fast 25% ist der Wert doppelt so hoch, verglichen mit den deutschen Werten.

Umgang mit Desinformationen

Auch im Umgang mit Desinformationen zeigen sich in den beiden Vergleichsgebieten ähnliche Tendenzen mit teils jedoch stark schwankenden Ausprägungen. Während die deutschen Befragten häufiger selber im Internet die Hintergründe potentieller Falschmeldungen recherchieren (74 Prozent in Deutschland vs. 69 Prozent in den USA), befragen die US-amerikanischen Befragten eher die Absender:innen der Informationen oder konsultieren Fact-Checking-Angebote (48 Prozent in den USA vs. 19 Prozent in Deutschland). Ein Viertel der Befragten US-Amerikaner:innen geben sogar an, absichtlich Desinformationen verbreitet zu haben – gegenüber nur 5 Prozent der deutschen.

Fazit der Studie

Die Bertelsmann-Studie zieht ein ernüchterndes Fazit. So wird klar die gesellschaftliche Bedeutung von faktisch korrekten Informationen herausgestellt – insbesondere in politisch aufgeheizten Zeiten und bei kontrovers diskutierten Themen. Auf individueller Ebene zeigt sich, dass neben dem in der Natur des Menschen vorherherrschenden Third-Person-Effekt – der Einschätzung, man selber sei resistenter gegenüber Desinformationen, als andere – ein Bewusstsein über böswillig eingesetzte Falschinformationen nicht ausreicht. Die Studienautor:innen fordern eine aus diesem Bewusstsein resultierende Verhaltensänderung. Allen diesen Punkten unterliegt, so die Studienersteller:innen, der große Aspekt des schwindenden Medienvertrauens. Ein Vertrauensschwund, dem von journalistischer Seite zwar entschieden entgegengetreten werden muss; stets jedoch unter Bedacht des Spannungsfelds zwischen dem Schutz vor absichtlichen Falschinformationen auf der einen Seite und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite.

 

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