In Westafrika ist das Radio weiterhin das Kommunikationsmittel Nummer Eins. Die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen sowie die Infrastruktur haben dazu geführt, dass Lokalradios in vielfältiger Weise öffentliche Dienstleistungen übernehmen. Obwohl die technologischen Transformationen der letzten Jahre auch viele Chancen für die Radios in Westafrika bieten, gibt es auch sehr wichtige Bedenken in Bezug auf die Digitalisierung. Mehr dazu lesen Sie im Beitrag von Etienne Damome.
Radio ist in Afrika immer noch das am weitesten verbreitete klassische Kommunikationsmittel. Wohl auch weil es am besten an die soziokulturellen Realitäten Afrikas angepasst ist. Dies erklärt auch, warum das Radio das vielfältigste Medium auf dem Kontinent ist: was die Radiolandschaft, die Formate und die programmatische Ausrichtung betrifft. Die Welt des Rundfunks in Afrika ist unglaublich divers und stellt praktisch ein eigenes Universum dar. In diesem Beitrag schauen wir uns die Radiolandschaft Westafrikas genauer an.
Vielfältige Strukturen und Genres
Anfang der 1980er Jahre in Frankreich kam es zu einem Umbruch, welcher zu Beginn des folgenden Jahrzehnts Auswirkungen auf Westafrika hatte. Ähnlich wie in Frankreich kam es zu einer wahren Explosion der freien Radios, nachdem das langjährige von den Staaten ausgeübte Rundfunkmonopol zerschlagen wurde. In dieser Zeit wurden alle Formen ausprobiert und führte zu einer Fülle von Strukturen und Genres. Die Regulierungsbehörden entstanden gleichzeitig und brauchten lange, um Ordnung zu schaffen. Dies taten sie, indem sie Kategorien aus der westlichen Medienlandschaft entlehnten. Dieses Kategoriensystem besteht – bis heute – aus den öffentlich-rechtlichen Radios, den privat-kommerziellen Radios und den privaten Vereinsradios (community radios).
Die lokale Realität ist jedoch viel komplexer und kann durch diese Kategorien nicht erfasst werden. Denn die für die Kategorisierung verwendeten Kriterien lassen keine klaren Trennungslinien zu. Dreißig Jahre nach der Liberalisierung des Sektors ist dieses Problem immer noch nicht gelöst. Die unklarste Kategorie ist nach wie vor die der sogenannten Bürgerradios (community radios). Der Begriff stammt im weitesten Sinne von den frühen Landradios (rural radios) her, die in den 1960er und 1970er Jahren von der UNESCO gefördert wurden. Bürgerradio meint aber auch lokale oder auf eine ethnische Gemeinschaft ausgerichtete öffentliche Radiosender, Vereinsradios, lokale Privatsender und andere, die sich an demografische, berufliche, oder ein spezifisches Publikum, richtet. So gibt es etwa Radios für Frauen und Jugendliche, für Landwirte, Viehzüchter, Fischer oder Händler, oder für spezifische kulturelle oder konfessionelle Gruppen. Selbst die Kategorie privat-kommerziell hat nicht wirklich die Bedeutung, die ihr in den westlichen Ländern beigemessen wird. Der Anteil der Einnahmen aus Werbung ist hier kein ausreichendes Kriterium zur Abgrenzung dieses Bereichs von dem öffentlich geförderten. Auch die Programmgestaltung lässt keine klare Trennlinie erscheinen.
Community-Radio
Generalistisches Format dominiert alle Bereiche
Wer afrikanische Radiosender hört, wird schnell zu dem Schluss kommen, dass sie Generalisten überwiegen und es kaum thematische Radiosender gibt. Tatsächlich gibt es kaum Musiksender. Auch konfessionelle Radiosender, von denen man ein einheitlich religiöses Programm erwarten würde, beteiligen sich so sehr an der sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und bildungspolitischen Entwicklung, dass sie zu Doppelgängern der Vereins- und Bürgerradios geworden sind. Es gibt auch kommerzielle Radiosender, die einen religiösen Dienst anbieten, der den konfessionellen Radios entspricht. So scheinen sie alle die gleichen Aufgaben zu haben. So sehr, dass die Forscher Cheikh Tidiane Thiam und Demba Sy in einer 1997 für das Panos-Institut Westafrika durchgeführten Studie feststellten: “Wenn es sich um private Vereins- oder kommerzielle Radiosender handelt, tendieren diese dazu, sich gegenseitig anzunähern oder zu verschmelzen, und zwar weniger wegen ihres benachbarten Rechtsstatus als vielmehr wegen ähnlicher Ziele und Handlungsweisen.”
Das generalistische Format hat sich überall in Westafrikanischen Radios durchgesetzt. Ein Erklärungsversuch könnte sein, dass die Prioritäten und Kontexte keine großen Spezialisierungen in Bezug auf programmatische Optionen begünstigen. In Westafrika sind die Bedürfnisse überall ähnlich und haben überall die gleiche Dringlichkeit. Die Radiopromoter teilen daher die gleichen Aufgaben. Darüber hinaus gibt es in halbstädtischen und ländlichen Gebieten oft nur einen einzigen Sender. Unabhängig von ihrem Status fühlen sich die Radios verpflichtet, eine öffentliche Dienstleistung zu erbringen. In einigen Ländern (z. B. Burkina Faso, Benin) ist es die Regulierungsbehörde, die dieses Format vorschreibt. Laut den Regulierungen müssen die Radiosender 20 bis 40 Prozent ihrer Programme der lokalen, soziokulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung widmen. Ein weiterer Faktor für die Diversifizierung der Programme sind die Aufträge, welche lokale Radiosender von Nichtregierungsorganisationen erhalten. Diese geben oft thematische Radioprogramme in Auftrag, um deren Zusammenarbeit mit der Bevölkerung zu unterstützen.
Digitalisierung als Herausforderung
Die Digitalisierung stellt für die Radiosender in Westafrika derzeit eine Herausforderung dar. Der Prozess der Digitalisierung macht vor keinem Sektor halt, zumal er in der Medienbranche bereits in vollem Gange zu sein scheint. Eine Zwangsentwicklung, die Pierre Martinot in seinem Buchkapitel zur Mobiltelefonie und Internetnutzung in Afrika 2015 mit den folgenden Worten zusammenfasste: “Man muss die neuen Technologien in sein Medienprojekt integrieren oder man geht unter!” Viele der afrikanischen Rundfunkanstalten bieten ihre Inhalte bereits über Satellitenkanäle und das Internet an. Durch diese beiden Verbreitungswege wird schon heute ein neues Publikum erreichbar. Somit können auch lokale Radiosender eine internationale Präsenz etablieren, insbesondere durch Inhalte, die sich an die Mitglieder der verschiedenen Sprachgemeinschaften in der Diaspora richten.
Auf lokaler Ebene wurde eher die Hoffnung geteilt, dass die digitale Ausstrahlung dank des Mobiltelefons, insbesondere des Smartphones, das lokale Publikum erweitern würde. Leider werden, obwohl WhatsApp auch in ländlichen Gebieten zunehmend Verbreitung findet, analoge Geräte als das bevorzugte Instrument für das Radiohören genutzt. Doch manchmal, wie bei Radio Tabalé in Bamako (Mali), regt sich auch Widerstand unter den Promotoren von Bürgerradios. Sie befürchten, dass diese technologischen Neuerungen ihnen einen Teil ihrer Produktionsfreiheit nehmen könnten. Der Direktor von Radio Tabalé sagte dazu 2017:
“Wenn wir Widerstand leisten, dann deshalb, weil wir Grund zu der Befürchtung haben, dass die Staaten die Verbreitungswerkzeuge regulieren werden. Es wird um Macht gehen. Mit Digitalradio kann jemand in seinem Büro einen Knopf drücken und Funkstille herrscht, während bei UKW (Hörfunk auf Band Anm. d. R.) eine Razzia der Polizei dazu nötig ist.”
Auch Befürchtungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Machtverhältnisse sind vorhanden. “Die Digitalisierung wird Formate und Standards vorschreiben. Die Werbung wird also allen aufgezwungen werden”, erklärt er weiter. Lokalradios haben aber auch Angst, dass die Verbreitung im Internet ihre eigene Identität verwässern oder gar verfälschen könnte. Sie befürchten, dass die Digitalisierung dazu führen könnte, dass sie den direkten Kontakt zu ihrer Gemeinde verlieren. Aus diesem Grund bemühen sich die Radiosender zwar um eine Digitalisierung, die ihre Reichweite über die geografischen Sendegebiete hinaus erhöht, stärken aber gleichzeitig ihre lokale Verankerung und Identität durch den bevorzugten Gebrauch von Lokalsprachen, die Förderung von Musik aus der Region und die Ausstrahlung von Ansagen aus der Gemeinde. So versuchen die Lokalradios in Westafrika den Spagat zwischen kultureller Identität und der weltweiten Digitalisierung zu schaffen.
Was tun Journalistinnen, um zum Frieden in Burkina Faso beizutragen? Mehr dazu hier: Die Vielschichtigkeit im Umgang mit Konflikten: Radiojournalistinnen in Burkina Faso
Welche Rolle spielen Griots im Journalismus? Mehr dazu hier: Griots und Journalismus in Westafrika
Referenzen
AMARC, What is Community Radio?
Kleinsteuber, H. J. (2012). Radio: Eine Einführung (1. Aufl.). VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Martinot, Pierre (2015). « L’avènement de l’Internet et de la téléphonie mobile dans les rédactions africaines », In Frère Marie-Soleil (dir.), Médias d’Afrique vingt-cinq années de pluralisme de l’information (1990-2015), Karthala, pp. 161-171.
Rodríguez, C. (2001). Fissures in the mediascape: An international study of citizens’ media. The Hampton Press communication series. Hampton Press.
Thiam, Cheikh Tidiane; Sy, Demba et al. (1997). Législations et pluralisme radiophonique en Afrique de l’Ouest, L’Harmattan.
Schlagwörter:Community Radio, Weltradiotag, Westafrika
[…] Une version allemande de cet article est à retrouver sur le site germanophone de l’EJO. […]