Recherchenetzwerke stärken Lokaljournalismus

12. März 2020 • Digitales, Qualität & Ethik • von

CORRECTIV.Lokal ist Vorzeigebeispiel für kollaborativen Lokaljournalismus. Aber nicht alle Recherchenetzwerke sind erfolgreich.

Sinkende Abonnentenzahlen, rückläufige Vertriebs- und Anzeigenerlöse: Die Probleme der Zeitungen, vor allem der Regionalzeitungen, sind hinlänglich bekannt – die Konsequenzen auch. Die zunehmend zentralisierte Nachrichtenproduktion beschränkt Themen- und Meinungsvarianz. Die Abhängigkeit von Werbekunden steigt, die Ressourcen für tiefgehende Recherchen fehlen und damit auch die Kaufanreize für die Leserschaft. Insbesondere Medien, die mit knappen Ressourcen auskommen müssen, unterstützt CORRECTIV.

Das gemeinnützige Recherchezentrum initiiert aufwendige Projekte für und mit Kooperationspartnern, stellt die Ergebnisse klassischen Medien zur Verfügung, um sie mit möglichst hoher Reichweite zu kommunizieren. Neben anderen Projekten schafft CORRECTIV ein landesweites Journalistennetzwerk für investigative und datenbasierte Geschichten, die im Lokalen ebenso eine Rolle spielen wie bundesweit: CORRECTIV.Lokal. „Das kollaborative Projekt passt ideal zur DNA von CORRECTIV und ist eine konsequente Fortführung von dem, was wir seit der Gründung 2014 machen“, sagt Chefredakteur Justus von Daniels.

Mit kollaborativem Journalismus beschäftigt sich zunehmend auch die Kommunikationswissenschaft. Alfter (2016) liefert eine Definition: 1) Journalisten aus unterschiedlichen Ländern oder Regionen 2) kooperieren bei der Recherche zu ein und demselben Thema. 3) Sie teilen ihre Rechercheergebnisse, prüfen gegenseitig deren Richtigkeit und 4) publizieren sie jeweils entsprechend den Anforderungen ihrer nationalen, lokalen oder anders spezifizierten Zielgruppe.

Auch in anderen Ländern arbeiten Journalisten nach dem kollaborativen Prinzip. Drei Anwendungsbeispiele stellen Jenkins und Graves (2019) vor: The Bureau Local in England, L’Italia Delle Slot in Italien und Lännen Media in Finnland. Bureau Local ist das bekannteste der drei Beispiele; CORRECTIV.Lokal das zweitgrößte Projekt dieser Art in Europa. „The Bureau Local und wir haben eine etwas andere Ausrichtung, aber funktionieren nach dem gleichen Prinzip“, sagt von Daniels.

Wem gehört die Stadt?“ war Titel und Kernfrage der groß angelegten Recherche von CORRECTIV.Lokal zu Eigentümerstrukturen auf dem Immobilienmarkt. „Aus diesem Blickwinkel ist der Wohnungsmarkt besonders intransparent – und damit das journalistische Interesse geweckt, Transparenz zu schaffen“, sagt von Daniels. Gestartet mit dem Fokus auf Hamburg kamen bisher Lokalredaktionen aus acht kleineren wie größeren Städten hinzu. Sie aktivierten tausende Bürger, Informationen beizusteuern; klassische Auskunftsfragen etwa bei Kommunen lieferten weiteres Futter für die Schwarmrecherche. Nach diesem ersten Projekt beschäftigte sich das Journalistennetzwerk etwa mit Fachkräftemangel und dem Ausbildungsmarkt.

Die drei Recherchen veranschaulichen Themenwahl und Herangehensweise von CORRECTIV.Lokal: Im Fokus stehen Fragestellungen, die nationale Bedeutung haben und gleichzeitig im Lokalen besonders relevant sind. „Im Kleinen erreichen diese nicht unbedingt ihr Ziel. Aber ein Thema bekommt größeres Gewicht, je mehr Redaktionen es aufgreifen“, sagt von Daniels. „Die Zusammenschau vieler lokaler Fälle zeigt, dass es nicht um Einzelphänomene, sondern um strukturelle Probleme geht.“ Um strukturelle Probleme zu erfassen, ist Datenjournalismus prädestiniert. Während große Newsrooms zunehmend in diesen investieren, fehlen kleineren Redaktion weitgehend die Mittel dazu, stellt auch Figl (2017) in einer Analyse für das Reuters Institute fest. CORRECTIV schließt die Lücke und steuert den Kollaborationen Expertise und Mittel für Datenjournalismus bei.

Die Errungenschaften von CORRECTIV.Lokal und anderen Journalistennetzwerken befeuern die Annahme, dass Kollaboration per se Qualitätsjournalismus stärkt. Die Schlussfolgerung sei verführerisch, bemerkt Kayser-Bril (2017) in einer weiteren Publikation des Reuters Institute und bezweifelt, dass sie sich in der Realität bestätige. Er selbst hat derartige Kooperationen geleitet – und die sind gescheitert. Im Belarus Network mangelte es an Engagement der Projektpartner; im Fall von Turkish Puppets sahen Redaktionen nicht die Relevanz der recherchierten Themen. Zusammenarbeit allein mache Journalismus nicht besser, so Kayser-Bril. Vielmehr behindere sie ihn manchmal, wenn es Netzwerken an Agilität und Flexibilität fehlt, um auf Abweichungen des ursprünglichen Plans zu reagieren.

CORRECTIV.Lokal kooperierte für das aufwendige Projekt „Wem gehört die Stadt?“ zunächst nur Redaktionen, die von sich aus Interesse anmeldeten. „In dem Moment war das für uns der richtige Ansatz“, sagt von Daniels. „So ein Projekt braucht viel Energie. Wenn eine Redaktion von sich aus auf uns zukommt, verfügt sie naheliegend über den nötigen Spirit.“ Längst ergeben sich neue Netzwerke auch auf Initiative von CORRECTIV. Das Recherchezentrum wendet sich dabei nicht ausschließlich an Zeitungen als Lokalmatadore; auch Blogger qualifizieren sich für das Netzwerk. „Es gibt Regionen, in denen hyperlokale Blogs stärker als Regionalzeitungen sind oder in denen qualitativ sehr gute Blogger an Wichtigkeit gewinnen. Denen wollen wir ebenso anbieten mitzuarbeiten“, sagt von Daniels.

Der kritische Beitrag von Kayser-Bril erschien in dem Sammelwerk, in dem auch Sambrook Aspekte erkennt, die über Erfolg oder Misserfolg journalistischer Kollaboration entscheiden. Doch er geht konstruktiv an die Sache, indem er Handlungsempfehlungen entwickelt. Er erarbeitet sie mit Blick auf länderübergreifende Rechercheverbünde wie das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). Dessen Mitglieder arbeiteten etwa die Enthüllungen der Panama sowie der Paradise Papers für die Berichterstattung auf. Über Monate recherchierten 249 Journalisten aus rund 90 Ländern. Das ICIJ beeindruckte mit seinen Rechercheergebnissen. Zudem erkannten selbst Kritiker kollaborativen Journalismus‘ wie Kayser-Bril die Leistung an, dass ein derart großes Netzwerk die erfolgreiche und vertrauliche Zusammenarbeit bewältigt.

Internationale Recherchenetzwerke wie das ICIJ und ihre nationalen sowie regionalen Pendants verfolgen vergleichbare Ziele und müssen ähnliche Herausforderungen bewältigen. So lassen sich Sambrooks Empfehlungen generalisieren. Unter den Erfolgsgaranten nennt er etwa gegenseitiges Vertrauen zwischen den Kooperationspartnern. Dieses ergebe sich etwa ohne den direkten Wettbewerb um Verbreitungsgebiete oder Zielgruppen. Intermediäre sind Sambrook zufolge ein weiterer positiver Einflussfaktor. Diese Mittler sind idealerweise Non-profit-Organisationen, die die Netzwerke steuern und ihre Expertise sowie Ressourcen einbringen.

CORRECTIV ist ein Idealtyp für Sambrooks Intermediäre und CORRECTIV.Lokal soll ein Vorbild für andere sein. „Wir hoffen, dass Medien in verschiedenen Ländern die kollaborative Idee aufgreifen“, sagt von Daniels. Denn wenn sie gelingt, kann Lokaljournalismus eigenständig funktionieren.

 

Literatur:

Alfter, Brigitte (2016): Cross-border collaborative journalism: Why journalists and scholars should talk about an emerging method. IN: Journal of Applied Journalism and Media Studies 5/2, p. 297–311.

Figl, Bettina (2017): Bigger is not always better: What we can learn about data journalism from small newsrooms. London: Reuters Institute for Investigative Journalism.

Jenkins, Joy; Graves, Lucas (2019): Case studies in collaborative local journalism. London: Reuters Institute for the Study of Journalism.

Kayser-Bril, Nicolas (2017): Collaboration – one tool among many. IN: Sambrook, Richard (edt.): Global Teamwork. The rise of collaboration in investigative journalism. London: Reuters Institute for the Study of Journalism, p. 59–63.

Sambrook, Richard (2017): The elements of collaboration. IN: Sambrook, Richard (edt.): Global Teamwork. The rise of collaboration in investigative journalism. London: Reuters Institute for the Study of Journalism, 26–40.

 

Bildquelle: pixabay.com

 

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