Schnell, exklusiv und transparent

16. Januar 2012 • Digitales, Qualität & Ethik • von

Was zeichnet journalistische Web-Angebote aus Sicht der Nutzer aus? Eine Studie befragte das User-Publikum und überprüfte daraufhin das Onlineangebot dreier großer Regionalzeitungen. Das Ergebnis lässt zu wünschen übrig.

Wie lässt sich mit Journalismus im Internet Geld verdienen? Eine Antwort auf diese Frage ist nicht nur für Zeitungsverlage überlebenswichtig, die in der Printkrise ihre Onlineangebote auf wirtschaftlichen Erfolg trimmen müssen. Alle Anbieter kämpfen seit Jahren mit einem großen Problem. Sie haben ihre Leistungen in der Vergangenheit online schlichtweg verschenkt und ihren Nutzern die inzwischen lautstark beklagte Gratismentalität selbst mit anerzogen. Derzeit bieten fast alle ihre Inhalte kostenlos an, obwohl es für alle besser wäre, Geld zu verlangen.

Einen Ausweg aus dem so genannten Gefangendilemma haben bisher nur einige wenige Anbieter gefunden. Financial Times und Wall Street Journal konnten vor ihren exklusiven Analysen erfolgreich eine Paywall hochziehen, der britische Guardian und die New York Times experimentieren mit gegensätzlichen Konzepten.

Die ganze Branche beobachtet mit Argusaugen, ob die New York Times mit ihrem Online-Abonnement oder der Guardian mit seiner Kostenlos-Philosophie am Ende erfolgreich sein wird. In Deutschland jedenfalls verdient Spiegel Online aufgrund seiner immens hohen Reichweite und guter Reputation mit Werbung gerade mal genügend Geld, um rentabel zu sein.

Die Lösungsvorschläge von Wissenschaftlern und Journalisten treffen sich in einem zentralen Punkt:  Es muss gelingen, die Online-Angebote durch Qualitätsjournalismus auszuzeichnen und so von ähnlich erscheinenden Angeboten wie News-Portale, Blogs, PR-Seiten oder Bürgerjournalismus abzugrenzen. Für ein herausragendes Angebot, so die These, zahlen die Nutzer dann auch.

Definition für Qualitätsjournalismus im Internet fehlt

Der Begriff Qualitätsjournalismus wird in zahlreichen Beiträgen mit Begriffen wie „saubere Recherche“,  „Relevanz“, „exklusive Inhalte“ oder „Verlässlichkeit“ umschrieben. Doch diese beziehen sich auf Offline-Medien. Für die Qualität journalistischer Onlineangebote fehlt ein allgemeingültiger Kriterienkatalog, der auf repräsentativen Untersuchungen aufbaut. Eine zentrale Rolle, so viel steht fest, spielen die Erwartungen und Interessen des Publikums, denn schließlich soll es in Zukunft für die Inhalte bezahlen.

Bisherige Studien im Forschungsbereich „Medienqualität“, die sich für die Rezipientenperspektive interessierten, ließen zwei wichtige Themen unbearbeitet: Zum einen wurden die spezifischen, auf journalistische Angebote  gerichteten Nutzungswünsche der Rezipientengruppen für Onlineangebote nicht untersucht. Und zum andern griffen die Forscher meist auf dieselben Qualitätskriterien zurück, die sich aus Normenkatalogen oder der journalistischen Praxis herleiten lassen. Ob diese Merkmale auch von den Nutzern als treffend empfunden werden, blieb offen. Diese lückenhafte Studienlage mag einer der Gründe dafür sein, dass die meisten journalistischen Onlineangebote deutlich hinter den Erwartungen ihrer Nutzer zurückbleiben.

Welche Kriterien ziehen die Nutzer heran, um die Qualität von News-Websites zu bewerten? Und was müssen diese Sites tatsächlich bieten, um die Erwartungen der User-Gruppen zu erfüllen? Diese Fragen standen im Fokus einer Studie, die  am Lehrstuhl Journalistik am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Universität Leipzig durchgeführt wurde.

Deutliche Absage an „shovelware“

Mit einer differenzierten online-gestützten Publikumsbefragung wurden das Nutzerverhalten und die Auffassungen von insgesamt 501 Internetnutzern erhoben. Zentraler Befund: Journalistische Onlinenachrichten sollen vor allem schnell, permanent und zugleich mit möglichst viel Hintergrund informieren. Darüber hinaus wünschen sich die Nutzer Geschichten, die mit multimedialen Elementen wie Videos oder Infografiken erzählt werden. Folglich werden Angebote als qualitativ eher schlechter eingeschätzt, wenn eine dünn besetzte Onlineredaktion kaum mehr leistet als die Printinhalte des Muttermediums ins Web zu schaufeln. Oder plakativ gesagt: Wer die Stärken des Mediums Internet ungenutzt lässt, wird wahrscheinlich auch auf lange Sicht online kein Geld verdienen.

Die Studie zeigt auch, dass die Onlineredaktionen ihre Ressourcen deutlich gezielter einsetzen sollten. Vieles wird angeboten, was die Nutzer nicht interessiert. Denn nicht alles, was im Internet derzeit möglich ist und von Web-Apologeten als Muss angesehen wird, interessiert die Rezipienten. So ist selbst jüngeren Nutzern weniger wichtig, ob interaktive Möglichkeiten angeboten werden oder nicht. Es scheint vielmehr, dass sie auch online die Rolle der Journalisten als Gatekeeper akzeptieren.

Sie legen auch weniger Wert darauf, sich am Rechercheprozess beteiligen zu können. So steht zum Beispiel Crowdsourcing, das Beschaffen von Informationen durch User/Leser, weit unten auf der Prioritätenliste der Nutzer. Dabei war vor allem in den USA Crowdsourcing in den letzten Jahren das Zauberwort in der Zeitungskrise. Der Rückgriff auf die „Schwarmintelligenz“ galt als erfolgversprechender Weg zu hochwertigem Journalismus trotz zunehmend begrenzter Finanzen. Die mit der Alltagswelt verbundenen Wünsche der Mediennutzer sehen anders aus.

Den User-Dialog finden Nutzer nicht so wichtig

Mit den Usern auf Du und Du? Auch dies könnte sich als Irrtum erweisen. Den Befragten ist nämlich weniger wichtig, ob die Redaktionen ihrer Internetmedien auf Kritik und Themenvorschläge ihrer Nutzer erkennbar eingehen und auf Facebook den Leser-Kontakt pflegen. Keine Frage, das vergleichsweise schlechte Abschneiden von Merkmalen, die zur Dimension „Interaktion“ zählen, überraschte uns. Schließlich erreichte die Befragung vorrangig urbane Internet-Vielnutzer mit höherer formaler Bildung, die offener für neue Medien sind. Wenn bereits diese Zielgruppe auf Interaktionen kaum Wert legt, was ist dann mit den „Normalnutzern“?  Die Frage, ob die Rezipienten vielleicht der Meinung sind, dass sie auf die Internetredaktion ohnehin keine Einflussmöglichkeiten haben, musste allerdings offen bleiben. Dies jedenfalls wird von einigen Forschern vermutet.

Denkbar ist aber auch, dass die Befragten erheblich rationaler und nutzorientierter sind und von journalistischen Angeboten in erster Linie Information und Orientierung erwarten und keine virtuellen Kaffeekränzchen.
Ebenfalls nicht belegt werden konnte in der Untersuchung die These verschiedener Journalismusforscher, das Internet gewinne aus Sicht der Nutzer zunehmend auch als lokales und regionales Medium an Bedeutung. Unserer Erhebung zufolge  wünschen sich die Nutzer zwar, dass sie Themen aus ihrem Lebensumfeld finden; auch sollten Journalisten komplexe Vorgänge in Brüssel oder Berlin für ihre Nutzer in der Region herunter zu brechen. Ein Beispiel: Wirken sich die aktuellen Herabstufungen der Ratingagenturen auf die Riesterrente und den Bausparvertrag aus?  Und wenn ja: wie?  Die damit verbundenen Qualitätsmerkmale landeten in der Befragung allerdings nur im Mittelfeld.

Transparenz gewinnt hohen Stellenwert

Auch ein wichtiger Befund der Studie: Die Befragten legen sehr hohen Wert auf Transparenz. Sie erwarten von Onlineredakteuren unter anderem, genutzte Quellen vollständig offenzulegen. Die Anbieter sollten zudem deutlich kennzeichnen, wenn Beiträge aus anderen Medien oder von Agenturen übernommen werden. Vor allem aber ist den Nutzern eine strikte Trennung von redaktionellen Texten und Werbung sehr wichtig.
Dieser Befund aus der Befragung scheint eine in zahlreichen anderen Erhebungen geäußerte Vermutung zu bestätigen: Offenbar hat die Flüchtigkeit der online veröffentlichten Informationen und der ständige Druck  auf die Journalisten, topaktuell zu berichten, negative Auswirkungen auf deren Glaubwürdigkeit. Dieses Malus kann aber durch das strikte Einhalten von Transparenzregeln zumindest abgemildert werden.

Die Online-Praxis: weit weg vom Ideal

Im Fortgang der Studie wurden die Qualitätswünsche der User mit den Angeboten des real existierenden Onlinejournalismus abgeglichen. Als „gute Repräsentanten“ des regionalen Onlinejournalismus gelten die Angebote der  Augsburger-Allgemeine.de (AA), der Stuttgarter-Zeitung.de (SZ) und der HAZ.de (HAZ, Hannover), die zudem über soziodemografisch vergleichbare Einzugsgebiete verfügen. Diese Webseiten wurden zur Überprüfung herangezogen und mit einer  Inhaltsanalyse stichprobenartig ausgewertet. Hauptbefund:  Das tatsächliche Angebot erfüllt die User-Erwartungen bei weitem nicht. Woran liegt dies? Eine Rolle spielt gewiss die personelle Ausstattung. In den Online-Redaktionen arbeiten vier (HAZ) bis sechs (AA) fest angestellte Journalisten, und bei dieser dünnen Personaldecke ist es wenig überraschend, dass alle drei Webseiten ihren Nutzern nur einen geringen Mehrwert gegenüber der zugehörigen Printausgabe bieten.

Nur jeder fünfte untersuchte Beitrag bei der AA und bei der SZ war eine Eigenleistung; bei HAZ wurde nur jeder siebte Artikel von den Online-Journalisten geschrieben oder von Kollegen exklusiv für die Webseite geliefert.  In der überwiegenden Mehrzahl handelte es sich bei den selbst produzierten Artikeln um  Kurznachrichten, um Sport- und Polizeiberichte.
Alle drei Anbieter ließen die Stärken des Hybridmediums Internet weitgehend ungenutzt.

Während der Erhebungszeit verzichteten sie beispielsweise darauf, wichtige Beiträge mit multimedialen Elementen unterhaltsamer und leichter zugänglich zu machen. Allerdings lieferte die SZ ein Paradebeispiel dafür, mit welchen Mitteln eine Geschichte online erzählt werden kann: Ein Beitrag über eine neue Stuttgarter Bibliothek wurde mit einer interaktiven Flash-Grafik mit Audio-Erzählungen ergänzt, mit der sich Nutzer die einzelnen Bereiche des Hauses selbst erschließen konnten.

Viel zu selten wurden Beiträge mit Hintergrund angereichert. Die SZ verlinkte in jedem vierten Beitrag auf externe Internetquellen und ergänzte jeden dritten Artikel mit selbst erarbeiteten oder fremden Zusatzinformationen. Die HAZ  bot diese Ergänzungen bei rund 25 Prozent der Beiträge, leitete die Nutzer aber nur selten zu anderen Webseiten weiter (5 Prozent). Bei der AA schließlich waren nur knapp 14 Prozent der Beiträge mit Hintergrund angereichert, nur 17 Prozent enthielten zusätzliche Quellen. Positiv: Alle Anbieter achten offenbar auf analytische Qualität und zeigten im Untersuchungszeitraum oftmals die Ereignisse in einem zeitlichen, geografischen oder thematischen Rahmen.

Kaum Transparenz

Auch das Bedürfnis der Nutzer nach Transparenz wird von den Redaktionen noch nicht ernst genug genommen. So fehlte durchweg die Information, ob und von wem Beiträge übernommen wurden. Ebenso zeigten sich beim Qualitätsmerkmal Quellentransparenz häufig Ungereimtheiten und Probleme. So fehlte auf allen untersuchten Webseiten bei jedem dritten Beitrag die klare Nennung der Quelle einer Information; oft wurde sie nur angedeutet. Zudem verstieß die AA mehrfach (3 Prozent der Beiträge) gegen das Trennungsgebot von Werbung und redaktionellen Inhalten. Bei der SZ und der HAZ kam das nur zweimal bzw. nur in einem Fall vor.

Unsere Studie kann nicht belegen, dass Nutzerzahlen steigen, wenn die Redaktionen stärker auf die Wünsche der Rezipienten eingehen. Auffällig ist aber, dass im Qualitätsvergleich das Onlineangebot der Hannoverschen Allgemeinen gegenüber der AA und der SZ  insgesamt etwas schlechter abschnitt; dies gilt insbesondere für  jene Kriterien, die die in der Befragung der User sehr weit oben auf der Prioritätenliste stehen. Mag sein, dass diese Angebotsgüte mit erklärt, warum die Augsburger-Allgemeine.de und Stuttgarter-Zeitung.de 3,4 bzw. 3,6 Millionen Unique Visits im Monat erreichen – und die HAZ.de nur 1,63 Millionen.

Wissenschaftliche Methode

Im Rahmen einer Diplomarbeit am Lehrstuhl Journalistik I der Universität Leipzig wurde mit einem mehrstufigen Forschungsdesign untersucht, welche Qualitätseigenschaften journalistische Internet-Angebote aus Sicht der Nutzer bieten sollten. Wie nahe drei vergleichbare Onlinenachrichtenangebote diesem Ideal tatsächlich kommen, wurde im zweiten Teil der Arbeit erforscht.

Mit einer explorativen Delphi-Befragung wurden zunächst die Qualitätsmerkmale identifiziert, die nach Auffassung von Forschern und Anbietern für Onlinenachrichtenangebote gelten. Diese Kriterien wurden in einer quantitativen, onlinegestützte Befragung dem User-Publikum zur Beurteilung vorgelegt. 501 Nutzer gaben ihre Beurteilung ab. Mit dem daraus gewonnen Anforderungskatalog habe ich die Online-Angebote der regionalen Tageszeitungen Augsburger Allgemeine, Stuttgarter Zeitung und Hannoversche Allgemeine in einer quantitativen Inhaltsanalyse untersucht. Die Stichprobe wurde an zwei aufeinanderfolgenden Dienstagen und einem dazwischenliegenden Samstag gezogen und umfasst 441 Beiträge.

Erstveröffentlichung: Message Nr. 1/2012

 

 

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