Wasser oder Benzin?

8. Januar 2018 • Digitales, Qualität & Ethik • von

Die #MeToo-Bewegung erreichte breite Empörung über Männer, die durch sexuelle Übergriffe auf Frauen Macht ausspielten. Die Vehemenz der Bewegung in sozialen Medien alarmiert auch, weil hier Reichweite technisch steuerbar ist – ein Spiel mit dem Feuer.

Die in den USA entfachte #MeToo-Bewegung hat nachweisbar Effekte. Sexuelle Anmaßung war in zwei von drei amerikanischen Familien ein Gesprächsthema, der Anteil jener, die solche Übergriffe für absolut nicht tolerierbar halten, wuchs. Der Effekt der Bewegung erklärt sich als Summe aus weiteren Ereignissen wie den sexistischen Äußerungen von US-Präsident Donald Trump; der Effekt ist aber auch der Charakteristik der digitalen Medien zuzuschreiben.

Die Neurologin Molly Crockett erläutert in der Zeitschrift „Nature“, was einer Gesellschaft, in der eine Milliarde Menschen täglich soziale Medien nutzen, droht, wenn Gefühle unkontrolliert digital gesteuert werden. Sie belegt einmal mehr, dass das Bild des unbeteiligten Verteilkanals, das Plattformmedien wie Twitter & Co. gerne von sich zeichnen, nicht zutrifft. Denn diese Medien schöpfen ihren Profit aus hoher Aufmerksamkeit und Verweilzeit der Nutzer. Und beides lässt sich besonders gut durch Gefühle wie Wut und Ärger erzielen. Die Algorithmen sind entsprechend konstruiert: Sie sorgen dafür, dass Ungeheuerliches vom noch Ungeheuerlicheren abgelöst wird – in immer höherer Schlagzahl.

Digitale Medien können Wasser ins Feuer schütten oder Benzin, also Polarisierung überwinden oder verstärken, Zielgruppen erreichen oder dies verhindern – sowie taub machen für wirkliche Tragödien, soziales Engagement und echte Anteilnahme. Crockett regt weitere Forschung, ethische und regulatorische Empfehlungen an. Es gelte sicherzustellen, dass digitale Technik uralte Gefühle wie Wut und Empörung über Missstände nicht zu Werkzeugen kollektiver Selbstzerstörung macht, sondern dass sie weiterhin eine klärende Kraft für das Gemeinwohl sind, wie dies der #MeToo-Bewegung gelang. Und zwar auch, weil ihre Anliegen Thema in klassischen Medien wurde und Diskussionsstoff in der Offline-Welt.

Eine kürzere Version dieses Beitrags wurde auf tagesspiegel.de (7. Januar 2018) veröffentlicht.

Bildquelle: pixabay.com

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