Der Kleinstaat wartet mit beispielloser medialer Vielfalt und mit bemerkenswerter Medienforschung auf.
Von allen einstmals sozialistischen Ländern Europas war Albanien am stärksten abgeschottet, nicht nur vom Westen, sondern auch von Jugoslawien und den Satelliten der Sowjetunion. Heute befindet sich das Land mit seinen knapp drei Millionen Einwohnern weiterhin im Windschatten öffentlicher Wahrnehmung. Dabei hat sich aus den Hinterlassenschaften und Ruinen des paranoiden Diktators Enver Hodscha, die noch immer allerorten sichtbar sind, eine kunterbunte, aber erstaunlich friedfertige Gesellschaft entwickelt. Die Tristesse einer armseligen, realsozialistischen Vergangenheit kontrastiert auf Schritt und Tritt – und kaum sonst wo in Osteuropa heftiger – mit den wilden, farbenfrohen, oftmals auch schrillen Ornamenten eines ungebändigten Frühkapitalismus, der sich vor allem in der pulsierenden Metropole Tirana seit Anfang der 90er Jahre entwickelt. Das Hinterland mag bitterarm sein, die Hauptstadt ist sichtbar auf dem Weg in die postindustrielle Aufmerksamkeitsökonomie und Spassgesellschaft.
Auch die Medienlandschaft ist in ihrer Vielfalt erstaunlich und faszinierend. 2015 zählte der Medienforscher Rrapo Zguri (Universität Tirana) noch 22 überregionale Tageszeitungen, zwei überregionale Fernsehsender, zwei Satellitensender, 66 lokale analoge Fernsehkanäle sowie 83 Kabelsender. Einige haben inzwischen angesichts schrumpfender Werbeerlöse aufgeben müssen, wie die anderen überleben, erscheint rätselhaft.
Bemerkenswert sind nicht zuletzt die Versuche, den Besonderheiten dieses Medienbiotops wissenschaftlich auf die Spur zu kommen. Darum bemühen sich in oftmals gemeinsamer Anstrengung das Albanian Media Institute, ein NGO, dessen umtriebiger Direktor Remzi Lani sich seit Jahren um die Aus-und Weiterbildung von Journalisten kümmert, und insbesondere vier Medienforscher an der Universität Tirana: Artan Fuga, Jonila Godole, Mark Marku sowie Rrapo Zguri.
Mit bescheidenen Mitteln sammeln sie Daten zur Entwicklung der Online-Medien, die sich, einhergehend mit der Privatisierung der Telekommunikation, schubartig von 2007 an ausbreiteten (Rrapo Zguri, The Online Media in Albania, Albanian Media Institute, 2014). Sie befassen sich mit den sozialen Netzwerken in ihrem Land; allein auf Facebook tummeln sich inzwischen 45 Prozent der Bevölkerung. Die Forscher beschäftigen sich aber auch damit, wie Albanien und seine Nachbarstaaten Bosnien-Herzegovina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien übereinander berichten (Remzi Lani (ed.). Reporting Neighbors in Balkan Media, Albanian Media Institute, 2015): meist nicht mehr feindselig, so haben die beteiligten Medienforscher herausgefunden, aber eben viel zu wenig. Die unmittelbaren Nachbarn würden von den Medien oftmals als „Rest der Welt“ abgetan, klagt die montenegrinische Medienexpertin Daniela Brkic in einem Bändchen, das Lanis Medieninstitut in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) herausgegeben hat.
Rrapo Zguri ging wiederum der Frage nach, wie sich religiöser Extremismus in albanischen Medien verbreitet, und hat herausgefunden, dass es dafür auch in ihrem einstmals von erzwungenem Atheismus geprägten Land einen fruchtbaren Nährboden gibt. Dabei ist der gelebte Islam im Land alles andere als radikal: Zwar werden allerorten Moscheen gebaut, aber die Frauen bewegen sich bislang nahezu ausnahmslos ohne Kopftuch – vielleicht ja trotz oder wegen vorangehender gescheiterter Versuche zu Zeiten des osmanischen Reichs, die Verschleierung zu erzwingen. Dieses letztlich groteske Unterfangen – der kleine Exkurs sei im Blick auf die aktuelle Diskussion um Burkas und Burkinis gestattet – hat übrigens der wohl berühmteste zeitgenössische albanische Schriftsteller, Ismail Kadare, sehr amüsant in seinem Büchlein „Die Schleierkarawane“ (Die Schleierkarawane – Erzählungen, S. Fischer, 2015) beschrieben.
Albanien ist im Blick auf Medienvielfalt und Medienforschung ein Leuchtturm in einer Region, die noch immer zerrüttet ist und sich nicht leicht damit tut, ihren Weg nach Europa zu finden. Bemerkenswert ist auch, dass das Albanian Media Institute oftmals seine Studien zweisprachig publiziert. Finanziert wird das von Einrichtungen wie der Friedrich Ebert-Stiftung oder der Soros Foundation, aber auch von westlichen Regierungsorganisationen. Neben der DEZA sind auch die Austrian Development Cooperation und die amerikanische Botschaft in Tirana darunter.
Lektüretipps
Rrapo Zguri, An analysis of religious extremism discourse in the media, Albanian Media Institute, Tirana 2016
Rrapo Zguri, The Online Media in Albania, Albanian Media Institute, 2014
Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist Nr. 10 + 11/2016, 51
Bildquelle: flickr.com
Schlagwörter:Albanian Media Institute, Albanien, Medienforschung, Medienvielfalt, Rrapo Zguri