Schweiz: Der öffentliche Rundfunk steht auf der Kippe

23. Januar 2018 • Qualität & Ethik • von

Am 4. März stimmen die Schweizer über die „No Billag“-Initiative ab, welche die Gebühren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschaffen will. Eine erbitterte öffentliche Diskussion ist darüber im Gang. Und Türkis-blau in Österreich schielt aufs Nachbarland. 

Die TV-Programme der SRG

Es ist ein offenes Geheimnis: Österreichs neue Regierung schielt bereits auf die Schweiz und hofft auf eine Steilvorlage, um den ORF umkrempeln zu können. Im Nachbarland steht mit der No Billag-Volksabstimmung der öffentliche Rundfunk, die SRG SSR, auf der Kippe. Eine wachsende Zahl von Bürgern möchte die Gebührenpflicht für Radio und Fernsehen abschaffen. Die Billag ist in der Schweiz das Äquivalent des Gebühren Info Service (GIS) – also jene Instanz, welche die Rundfunkgebühren einzieht.

Am 4. März 2018 entscheidet das Stimmvolk. Bereits Monate vorher tobt in den Medien und in den sozialen Netzwerken eine Auseinandersetzung darüber, die sich gewaschen hat. Dabei ist die Schweiz als kleine, viersprachige Nation wohl weit mehr auf funktionierende, verlässliche öffentlich-rechtliche Radio- und Fernseh-Angebote angewiesen als größere Länder – schon um eine minimale Integration der verschiedenen Sprachregionen zu sichern, aber auch, um die Bürger in den kleinen Sprachräumen mit Nachrichten und Hintergrundwissen angemessen zu versorgen.

Andererseits geht es, gerade weil Angebote in vier Sprachen gemacht werden müssen, mit bisher 450 Fr. und künftig 365 Fr. pro Jahr auch um den teuersten öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Europa. In Rage gebracht hat viele Bürger, dass die Gebühr – ähnlich wie in Deutschland – in eine Defacto-Steuer umgewandelt wurde: Jeder muss bezahlen, ganz egal, ob er das Service Public-Angebot nutzt oder ein Fernseh-Totalverweigerer ist.

Journalismus auf dem Abstellgleis

Bei rückwärtsgewandter Betrachtung sind inzwischen die Gründe obsolet, die vor knapp 100 Jahren zur Institutionalisierung öffentlichen Rundfunks führten: Damals waren die Frequenzen knapp, heute ertrinken wir dank des Internets in einer Flut von Informations- und Unterhaltungsangeboten. Mündige Bürgerinnen und Bürger sollten nicht nur am Wahltag und bei Abstimmungen als mündig gelten, meinen die Initianten. Sie sollten eben auch selbst entscheiden dürfen, welche Medienangebote sie wahrnehmen und bezahlen wollen.

Nach vorne gerichtet, könnte es allerdings sein, dass nicht nur die Schweizer mehr denn je auf öffentlich finanzierte oder bezuschusste Medienangebote angewiesen sind. Sie werden für das demokratische Gemeinwesen unentbehrlich, gerade weil der einzelne nicht hinreichend willig ist, für guten Journalismus zu bezahlen, und weil ein glaubwürdiger, unabhängiger Journalismus eben nicht nur für den einzelnen, sondern auch für die Demokratie wichtige Funktionen erfüllt, zum Beispiel bei der Machtkontrolle und beim Vorbeugen gegen Korruption.

Im Blick auf solch hochwertigen Journalismus und auf die Medienvielfalt ist es jedenfalls auch in der Schweiz, die vielen als „Insel der Seligen“ gilt, inzwischen zappenduster geworden. Seit Plattformen wie Google und Facebook den alten Medienunternehmen ihre Werbeerlöse entziehen und sich im Internet die Gratis-Kultur durchgesetzt hat, werden Redaktionen fast schon im Akkord zusammengelegt oder ausgedünnt. Wenn Nutzer für journalistische Angebote nicht mehr bezahlen wollen, lässt sich unabhängiger Journalismus kaum refinanzieren. Und wenn Medienunternehmen sich nicht mehr rentieren, werden sie entweder von den Großen der Branche geschluckt oder von Oligarchen aufgekauft, die dann politische Ziele verfolgen.

Die Gegner der No Billag-Initiative malen deshalb bereits an die Wand, „Blocher TV“ werde demnächst die Schweiz dominieren. Gleichzeitig weitet der Übervater der Rechtspopulisten, die in Bern seit Jahren mitregieren, sein Medienimperium auch auf dem Printmarkt systematisch aus. Deshalb kursiert bereits das Schreckgespenst eines Schweizer Berlusconi. Jedenfalls ist bisher die Frage ungelöst, wie sich Medienvielfalt erhalten lässt.

Eine polarisierte Schweiz

Obendrein war das Musterland der direkten Demokratie selten so polarisiert: Für die einen geht es bei der SRG/SSR um ein Nationalheiligtum, für die anderen schlicht um eine Institution, die sich im digitalen Zeitalter überlebt hat. Selbst Medienforscher agieren zugunsten der SRG öffentlich in den sozialen Netzwerken so populistisch und einseitig, wie sie das sonst gerne der politischen Rechten vorhalten. Mehrere von ihnen, darunter der Winterthurer Journalistik-Professor Vinzenz Wyss, unterstützen zum Beispiel ein Komitee „Sendeschluss Nein“. Es setzt sich „gegen die Abschaffung von Radio und Fernsehen“ ein, als würde nach dem 4. März die Mattscheibe in der Schweiz im Falle einer No Billag-Mehrheit schwarz bleiben. Zwei Zeitungen stellten Künstler an den Pranger, die sich nicht öffentlich gegen No Billag ausgesprochen hatten. Umgekehrt hat sich der Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, Eric Gujer, soeben dazu hinreißen lassen, im Kontext der SRG von „Staatsmedien“ zu sprechen. Er hat sich damit den Furor vieler Leserinnen und Leser eingehandelt.

In Amerika sind am Streit über Donald Trump bereits Ehen gescheitert. In der Schweiz könnte die ein oder andere Beziehungskiste oder langjährige Freundschaft an No Billag zu Bruch gehen. Die moderaten Stimmen der Vernunft werden zwischen den Polen aufgerieben. Denn natürlich braucht das kleine Land den öffentlichen Rundfunkanbieter, und er sollte sich auch im Internet ungehindert entfalten dürfen. Er ließe sich jedoch fraglos verschlanken. Werbeverbote könnten helfen, um einerseits die journalistische Unabhängigkeit zu sichern und um andererseits nicht den notleidenden kommerziellen Wettbewerbern die Butter vom Brot zu nehmen.

Stichwort „Koopetition“

Die SRG/SSR könnte auch weit mehr tun, um die vier Sprachregionen zusammen zu halten und um ihren Kernauftrag zu erfüllen – also um guten Journalismus zum Beispiel in der Auslands- oder Wissenschaftsberichterstattung zu sichern, statt mit den Privaten um Sportrechte und Unterhaltungsshows zu konkurrieren. Dass öffentlicher Rundfunk unentbehrlich ist, um Marktversagen zu korrigieren, würde auch in der Schweiz deutlich glaubwürdiger, wenn er seine anspruchsvollen Programme nicht spätabends versteckte und seine journalistischen Videos online auch privaten Wettbewerbern zur Nutzung überlassen würde – Stichwort „Koopetition“, also Kooperation mit competitors, also Wettbewerbern.

Wenn die SRG und die Schweiz Pech haben, ist es für solche Initiativen bereits zu spät. Libertäre und Rechtspopulisten sind drauf und dran, ein duales Mediensystem zu kippen, das unter Fachleuten einen exzellenten Ruf genießt: Das gilt nicht zuletzt im Blick auf die hochentwickelte Journalismus-Kultur bei der SRG. Sie erinnert an die BBC zu ihren besten Zeiten, also bevor sich diese mit mehreren Medienskandalen herumschlagen musste, die ihre Reputation schädigten.

Immerhin gibt es in der Schweiz einen lebhaften öffentlichen Diskurs um die Medien-Zukunft. Obendrein stupst die Eidgenössische Medienkommission unter Führung des Medienforschers Otfried Jarren die Regierung in Bern immer wieder mit klugen Impulsen zur Gestaltung des Mediensystems. Somit bestehen auch Hoffnungsschimmer. Wie fast alle Medienexperten, ist Jarren gegen „No Billag“. Er und seine Kommission lassen allerdings auch keinen Zweifel aufkommen, dass es in einer digitalisierten Welt neue, innovative Formen öffentlicher Journalismus- und Medienförderung zu entwickeln gilt. Damit tun sich die Regierungen in Bern und anderswo in Europa noch erkennbar schwer.

Erstveröffentlichung: Die Furche Nr. 1 / 2018       

Bildquelle: Wikimedia Commons

 

Zum Thema auf EJO:

No-Billag-Initiative: Worum es geht

Ende des Gebühren-Rundfunks in der Schweiz?

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