Schwedens öffentlicher Rundfunk

6. Mai 2014 • Medienpolitik • von

Wer europaweit den öffentlichen Rundfunk genauer unter die Lupe nimmt, ist erstaunt, in wie vielen Ländern er schlicht ein Propagandainstrument und eine Machtbastion der jeweiligen Regierung abgibt.

Als Ausnahmen werden dagegen gern Großbritannien mit seiner BBC,  die skandinavischen Länder sowie die Schweiz gelistet – Länder, in denen sich der Radio- und Fernsehjournalismus öffentlich-rechtlicher Anbieter ein hohes Maß an Unabhängigkeit bewahren konnte.

Warum gibt es diese Unterschiede? Wer nach Antworten sucht, findet gemeinhin die ein oder andere institutionelle Sicherung, welche Politiker am allzu dreisten Zugriff auf den Rundfunk hindert. Vor allem sind es jedoch kulturelle Differenzen, die sich über Jahrzehnte hinweg herausgebildet haben und die nicht so einfach dingfest zu machen sind.

Diese Besonderheiten beschreibt am Beispiel der schwedischen öffentlich-rechtlichen Sender ein Buch, das Monika Djef-Pierre und Mats Ekström (beide Universität Göteburg) herausgegeben haben: Mit akribischer Genauigkeit wird zum Beispiel dokumentiert, wie der schwedische Rundfunk Programmpolitik – von der Kulturberichterstattung bis hin zum Sport –  betreibt, wie er sein Personal rekrutiert und wie die schwedischen Lokalradios sich über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg um eine aktive Beteiligung des Publikums bemüht haben.

Spannend ist auch ein Kapitel, wie man in den Nachrichtenredaktionen mit „Gendering“, also mit dem Bestreben nach Gleichstellung von Frauen in der Gesellschaft umgeht. Das ernüchternde Resultat, präsentiert von Monica Löffgren Nilsson (ebenfalls Universität Göteburg):  Trotz beträchtlicher Anstrengungen und auch entsprechender gesetzlicher Vorgaben verharrte  im Jahr 2000 der Anteil von News-Storys, den Journalistinnen für die aktuellen Nachrichtensendungen produzierten, bei 30 Prozent. Mit 25 Prozent noch niedriger war der Anteil von Frauen, die als Quellen in den Sendungen vorkamen. Seit der Jahrtausendwende sei obendrein eher ein „Backlash“ zu beobachten.  Solches Quotendenken in Frage zu stellen, kommt der Forscherin allerdings nicht in den Sinn. Wie fragwürdig es ist, müsste jedem einleuchten, wenn etwa für den alternden Teil der Bevölkerung – sagen wir, die über 65-Jährigen – nach demselben Strickmuster Präsenz in den Redaktionen und in der Medienberichterstattung verlangt würde, um diese Gruppe in einer „demokratischen Gesellschaft“ angemessen zu repräsentieren.

Analysiert wird auch, wie die Liberalisierung des Rundfunkmarkts und damit Wettbewerb und Kommerzialisierung auf den öffentlich-rechtlichen Anbieter zurückgewirkt haben. Zumindest bei den Nachrichtensendungen hätte das öffentlich-rechtliche Fernsehen für den privaten Wettbewerber TV4 die Standards gesetzt, so jedenfalls bilanziert Anna Maria Jönsson (Universität Södertörn). Zum Vergleich: In der Schweiz gibt es wegen des kleinen Marktes für die Tagesschau keinen starken privaten Konkurrenten. Und im benachbarten Deutschland haben sich ARD und ZDF sehr stark den Privaten angepasst, ihre Hauptnachrichtensendungen degenerieren oftmals zur Sport- und Promiberichterstattung mit zwischengeschalteter Eigenwerbung für die hauseigenen Websites und ein paar politischen Feigenblatt-Meldungen.

Insgesamt wird in dem Band ein beeindruckendes, aber wohl auch einseitig rosarot eingefärbtes Bild vom schwedischen öffentlichen Rundfunk gezeichnet. Das erstaunt kaum, denn auch anderswo halten viele Medienforscher den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für den Garanten des Qualitätsjournalismus und das Erfolgsmodell schlechthin  – bis hin zum Philosophen Jürgen Habermas, der in der Süddeutschen Zeitung vor ein paar Jahren die Ausweitung des öffentlich-rechtlichen Modells auf Zeitungen forderte und damit seither als „Anker“ von vielen Fachkollegen immer wieder munter zitiert wird, um zwangsfinanziertem „Qualitätsjournalismus“ den Weg zu bereiten.

Das hat wohl auch damit zu tun, dass vielen Medienforschern der ökonomische Sachverstand fehlt – bzw. trivialer ausgedrückt, sie die vier Grundrechenarten nicht beherrschen. Sie wollen einfach nicht sehen, wie viel Geld die Rundfunkbürokratien verschlingen, die so ungehemmt wachsen konnten, dass sie inzwischen den empirischen Paradebeleg für Parkinson’s Law abgeben.

Allerdings hängt ein Teil der Forscher auch selbst am Tropf der öffentlichen Rundfunkanstalten. Während die meisten privaten Medienunternehmen in Europa – anders als in den USA – wenig in Forschung investieren und fast schon eine wissenschaftsfeindliche Distanz zum Elfenbeinturm kultivieren, gibt es für Auftragsforscher gut gefüllte öffentliche Futtertröge: In der Schweiz finanzieren das BAKOM und die SRG einen Großteil der einschlägigen Medienforschung, in Deutschland leisten sich ARD und ZDF nicht nur mit den MediaPerspektiven eine eigene Fachzeitschrift und bezuschussen großzügig renommierte Forschungsstätten wie das Hans Bredow Institut in Hamburg oder das Institut für Kommunikations- und Medienpolitik in Berlin.

Auch das vorliegende Buch über den Rundfunk in Schweden ist das Ergebnis solch einer Kooperation. Es bündelt Forschungsergebnisse aus einem großangelegten Projekt zur Geschichte des schwedischen Rundfunks. Seit 1993 wurden in dessen Rahmen 49 Bücher sowie mehrere CDs und DVDs publiziert – initiiert von der Swedish Foundation of Broadcast Media History, und finanziert mit Geldern, die wohl überwiegend der schwedische Rundfunk bereitgestellt hat.

„Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.“ Unter den heutigen Finanzierungsbedingungen von Medienforschung ist kaum verwunderlich, dass die meisten Wissenschaftler bereitwillig das Hohelied des öffentlich-rechtlichen Qualitätsjournalismus anstimmen. Wer dies in Frage stellt, läuft andererseits Gefahr, von populistischen Kräften vereinnahmt zu werden, die zum Totalangriff auf den öffentlichen Rundfunk und auch auf die öffentliche Wissenschaftsförderung blasen. Kein Wunder, dass es unter solchen Umständen kaum noch „unabhängige“ Medienforschung gibt.

Monika Djerf-Pierre/Mats Ekström (2013): A History of Swedish Broadcasting. Communicative ethos, genres and institutional change, Göteborg: Nordicom.

Erstveröffentlichung: NZZ vom 29. April 2014 (kürzere Fassung)

Bildquelle: Joe Lencioni / shiftingpixel.com

 

 

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