Das Online-Portal Index.hu galt als eines der letzten unabhängigen Medien Ungarns. Nachdem der regierungskritische Chefredakteur entlassen wurde, kündigte aus Protest die gesamte Redaktion. Die Zusammensetzung des neuen Index-Teams lässt ahnen, welche Richtung das Medium nun einschlagen wird und dass der Wegfall von Index ein ernsthaftes Vakuum im Bereich der unabhängigen Medien in Ungarn hinterlassen wird.
Index.hu ist seit Mitte der neunziger Jahre ein wichtiger Akteur im ungarischen Online-Medienmarkt und in der ungarischen Öffentlichkeit. Der Vorgänger des Nachrichtenportals wurde 1995 unter dem Namen Internetto gegründet, 1999 in Index umbenannt. Die Besonderheit bei der Entwicklung der ungarischen Online-Medien ist, dass die ersten Nachrichtenportale, die auch heute noch am häufigsten genutzt werden, nicht von großen Presseverlagen gegründet wurden. Infolgedessen wurden Index.hu und Origo.hu Anfang der 2000er Jahre zu ernsthaften Konkurrenten der Tageszeitungen. Seit Viktor Orbán 2010 an die Macht gekommen ist, ist die gedruckte Presse noch irrelevanter geworden– hauptsächlich aufgrund der Medienpolitik der Fidesz-Regierung – und neben den Fernsehnachrichten sind Nachrichtenportale zur Hauptquelle für tägliche Informationen geworden.
Zum einen berichtete Index schnell und umfassend über aktuelle Ereignisse, zum anderen bot es eine bunte Mischung verschiedener Themen und Ansätze, von Boulevardeskem bis hin zu Hintergrundberichten, von Gastroblogs bis hin zu Finanzanalysen, von Videoinhalten bis hin zu Infografiken. Die breite Palette von Inhalten machte Index für ein breites Publikum attraktiv, sowohl für politisch weniger Interessierte als auch für Anhänger unterschiedlicher politischer Überzeugungen.
Laut dem aktuellen Digital News Report vom Reuters Institute war Index im Jahr 2020 das beliebteste Nachrichtenportal Ungarns: Wie eine Umfrage Anfang des Jahres ergab, nutzten 24 Prozent der Medienkonsumenten an mindestens drei Tagen in der Woche Nachrichten des Portals und 44 Prozent mindestens einmal in der Woche. 2018 ergab eine Umfrage der NGO Mertek Media Monitor, dass das Publikum Index.hu als das glaubwürdigste Nachrichtenportal Ungarns betrachtet.
Angesichts des Rufs von Index als unabhängige Nachrichtenquelle ist es paradox, dass das Online-Portal während eines Großteils seiner Geschichte im Besitz von Geschäftsleuten war, die Fidesz nahestanden. Auch das Medienunternehmen CEMP-X, das die Exklusivrechte für den Verkauf von Werbeflächen auf Index – der Haupteinnahmequelle des Portals – hatte, wurde von Fidesz-nahestehenden Personen kontrolliert. Trotzdem gelang es der Redaktion irgendwie, dem Druck von außen zu widerstehen und sicherzustellen, dass Index weiterhin eine der wichtigsten Quellen für Qualitätsnachrichten in Ungarn war.
Mehrere Eigentümerwechsel in den letzten Jahren führten jedoch dazu, dass sich die Schlinge um Index unaufhaltsam zuzog. In dieser Zeit verschärfte sich auch der finanzielle Druck. Aufgrund des verzerrten ungarischen Medienmarktes – in dem der größte Teil des beträchtlichen staatlichen Werbebudgets an regierungsfreundliche Medien und nicht an diejenigen mit dem größten Publikum geht – büßte Index zwischen 2014 und 2020 die Hälfte seines Umsatzes ein. Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft verschärften die ohnehin schon schwierige finanzielle Situation für Index und andere unabhängige Medien in Ungarn.
Vor diesem Hintergrund bedeutete das Erscheinen von Miklós Vaszily, einer Schlüsselfigur in regierungsfreundlichen Medienkreisen, den Anfang vom Ende der redaktionellen Unabhängigkeit von Index. Ironischerweise war Vaszily Anfang der 2000er CEO von Index, trat aber 2009 zurück, nachdem der damalige Eigentümer Zoltán Spéder das Portal zunehmend unter Druck setzte. Nach seinem Ausscheiden beteiligte sich Vaszily aktiv am Aufbau eines Fidesz-freundlichen Medienimperiums. Er beaufsichtigte den Richtungswechsel bei Origo.hu (das sich 2015 von einem unabhängigen Nachrichtenportal zu einem regierungsfreundlichen wandelte) und war nacheinander Chef von Ungarns Staatsmedien, CEO des Fidesz-freundlichen privaten Senders TV2 und des rechtsextremen Senders Echo TV. Im März 2020 erwarb Vaszily eine 50%ige Beteiligung an Indamedia, dem Nachfolgeunternehmen von CEMP-X, und sicherte sich damit eine bedeutende Kontrolle über die Finanzierung von Index.
Indamedia beauftragte daraufhin einige Berater, eine Reihe von Vorschlägen auszuarbeiten, die Index auf eine stabilere finanzielle Grundlage stellen sollten. Im Juni stellten die Berater ihren Plan vor, der darin bestand, auf Index.hu nur noch Inhalte externe Auftragnehmer zu veröffentlichen. Daraufhin gab die Chefredaktion von Index bekannt, dass die Unabhängigkeit der Website in Gefahr sei. Dies führte zu einem Konflikt zwischen dem Chefredakteur, Szabolcs Dull, und László Bodolai, dem Leiter der Betreibergesellschaft von Index, der Stiftung für ungarischen Fortschritt (Magyar Fejlődésért Alapítvány). Bodolai schloss Dull aus dem Managementteam aus und entließ ihn am 22. Juli von seinem Chefredakteursposten. Zwei Tage später traten 70 Mitglieder des Redaktionsteams zurück. Bis Ende Juli verließen fast alle Journalisten und andere Mitarbeiter die Nachrichtenwebsite.
Natürlich ist es unmöglich, von außen genau zu beurteilen, was in den letzten Wochen und Tagen von Index passiert ist. László Bodolai, der als Rechtsexperte bei Index beschäftigt war, bevor er Leiter der Stiftung für ungarischen Fortschritt wurde, widerstand jahrelang erfolgreich dem politischen Druck und stellte die redaktionelle Unabhängigkeit des Nachrichtenportals sicher. Er glaubte vermutlich, dass seine persönliche Beziehung zu Miklós Vaszily stärker wäre als Vaszilys politische Loyalität und war wahrscheinlich auch überrascht über den heftigen Widerstand der Redaktion gegen die Umgestaltungspläne.
Es hätte den Plänen von Fidesz zweifellos besser gedient, wenn eine offensichtliche Übernahme von Index hätte vermieden werden können, und wenn stattdessen eine allmählichere Transformation hätte stattfinden können – eine Transformation, bei der bestimmte Themen und Akteure mit der Zeit ausgeblendet worden wären. Die Journalisten von Index weigerten sich jedoch, sich an diesem Szenario als Komplizen zu beteiligen – und Vaszilys Erscheinen, der Plan, das Portal neu zu organisieren, und die Entlassung von Dull ließen keinen Zweifel daran, was die Zukunft bringen würde. Sie kündigten, weil sie nur zu gut wussten, dass es für sie immer schwieriger werden würde, dem Druck von außen zu widerstehen.
Szabolcs Dull wurde einen Tag nach der Verabschiedung des Haushaltsplans der Europäischen Union entlassen. Dahinter vermuten einige Kommentatoren einen Versuch der ungarischen Regierung, die Rechtsstaatlichkeit weiter auszuhöhlen: die Erklärung des Europäischen Rates zum Haushaltsplan verlangt, dass die Länder, die Hilfen erhalten, Respekt vor den Grundrechten und Freiheiten ihrer Bürger zeigen und sich an die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit halten. Dies ist in der Erklärung aber so vage formuliert, dass Ungarns Regierung diese scheinbare Grauzone ausgenutzt haben könnte, um den kritischen Dull seiner einflussreichen Position zu entheben.
Zurzeit wird ein neues Index-Team zusammengestellt. Obwohl noch nicht ganz klar ist, welche Richtung die Website in Zukunft einschlagen wird, geben die Namen einiger Neuen in leitenden Positionen gewisse Anhaltspunkte. Ákos Gergely Balogh, der zum stellvertretenden Chefredakteur ernannt wurde, war zuvor Redakteur der persönlichen Website von Viktor Orbán und mehrerer regierungsnaher Medien. Neuer Chefredakteur ist Pál Szombathy, der als Vorstandsmitglied an der Neuausrichtung der Website beteiligt gewesen wäre.
Über die Zukunft der ausgeschiedenen Journalisten gibt es noch keine öffentlichen Informationen. Auf ihrer Facebook-Seite, die sie nach ihrer Kündigung erstellt haben, deuten sie an, dass sie weitermachen werden, wobei noch nicht bekannt ist, ob sie eine neue Nachrichtenseite gründen oder für ein vorhandenes Nachrichtenportal arbeiten werden. Sicher ist jedoch, dass die langfristige Aufrechterhaltung einer solch großen Redaktion hohe Kosten verursachen würde, die nicht allein durch Spenden gedeckt werden könnten. Weder der politisch stark beeinflusste ungarische Werbemarkt böte eine gute Lösung, noch scheint es realistisch, dass ein wohlhabender Investor den Betrieb der neuen Nachrichtenseite übernehmen würde.
Unterdessen greifen die Fidesz-Medien die wenigen verbleibenden unabhängigen Nachrichtenportale in Ungarn an. Seit Monaten versuchen sie, Zoltán Varga, Eigentümer von 24.hu, das nun an die Stelle von Index als meistgelesene Nachrichtenwebsite getreten ist, zu diskreditieren. Auch der Eigentümer eines anderen großen Nachrichtenportals, hgv.hu, ist in den letzten Wochen zur Zielscheibe der regierungsnahen Medien geworden. Sie versuchen jetzt eindeutig, den Druck auf alle Medienakteure zu erhöhen, die versuchen könnten, die durch die Übernahme von Index entstandene Lücke zu füllen.
Der Name Index.hu mag noch existieren, aber das, wofür er einmal stand, gibt es nicht mehr. Dies hat zweifellos ein ernsthaftes Vakuum im Bereich der unabhängigen Medien in Ungarn hinterlassen, das tiefgreifende Auswirkungen sowohl auf die beteiligten Journalisten als auch auf den Zugang der ungarischen Öffentlichkeit zu verlässlichen Informationen über die Geschehnisse in ihrem Land hat.
UPDATE: Am 4. September kündigten die Journalisten, die als Reaktion auf die Entlassung von Szabolcs Dull bei Index gekündigt hatten, auf ihrer umbenannten Facebook-Seite an, dass sie eine neue Nachrichtenwebsite mit dem Namen Telex gründen werden. Auf einer Crowfunding-Seite, die eingerichtet wurde, um Geld für das neue Projekt zu sammeln, heißt es, dass Telex „unabhängig, vielseitig, interessant, unterhaltsam und parteilos“ sein werde.
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