„Arabellion“ im Abendland

8. Dezember 2011 • Qualität & Ethik • von

Die deutsche Islamberichterstattung während der Arabischen Revolution

Die Schwächen und Probleme der deutschen Islamberichterstattung sind in zahlreichen Studien analysiert worden: Die Mehrheit der Artikel und Beiträge über die islamische Welt sind von Negativthemen wie Kriege und Katastrophen, Elitenzentrierung, Stereotypen, Vorurteilen und Feindbilder geprägt. In seiner Bachelorarbeit hat Janis Brinkmann vom Institut für Journalistik an der TU Dortmund die Islamberichterstattung der deutschen überregionalen Presse während der Arabischen Revolution analysiert und ist dabei folgender Frage nachgegangen: Verändert sich die überwiegend negative und defizitäre Islamberichterstattung im Zuge einer zunächst weitgehend positiv bewerteten Entwicklung wie der Revolution in Nordafrika sowie dem Nahen und Mittleren Osten?

Die Süddeutsche Zeitung schrieb von einem „Aufstand der Araber“, die Frankfurter Allgemeine Zeitung erhob die Ereignisse gar zur „Arabellion“. Andere Medien rochen die „Jasmin-Revolution“ oder sahen einen „Arabischen Frühling“ heraufziehen: Die tiefgreifenden sozialen und politischen Umwälzungen in Nordafrika sowie in Teilen des Nahen und Mittleren Ostens beherrschten insbesondere zwischen Januar und April 2011 die Schlagzeilen und Sendepläne deutscher Medien. Ein ganzer Kulturkreis erhob sich in dieser  „Arabischen Revolution“ gegen alte Eliten, gegen Diktatoren sowie autokratische Regime und stritt für Rechte und Werte, welche die westliche Welt originär für sich beansprucht: soziale Gerechtigkeit, politische Teilhabe und individuelle Freiheit. Doch die Menschen scharrten sich nicht unter dem islamischen Halbmond, sondern hinter den Flaggen ihrer Staaten. Die angebliche Einheit von islamischer Politik und Religion brach sichtbar auf. Es hatte den Anschein, als ob große Teile der islamischen Welt sich in der Revolution zivilisierter, säkularisierter und demokratischer präsentierten – kurz: ein positiveres Bild abgaben, als dies viele Jahre in der Islamberichterstattung vermittelt worden war.

Denn dieses langjährige Bild des Islam ist ein negatives – nicht nur in deutschen Medien. Zahlreiche Studien haben die Mikro- und Makrostrukturen der Islamberichterstattung untersucht und sind weitgehend übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen: Die Berichterstattung über islamische Themen ist hoch defizitär.

Auf der einen Seite haben Wissenschaftler wie Sabine Schiffer (2004) in qualitativen Analysen die nahezu durchgängige Verwendung bestimmter Stereotype (wie „Muslime sind fanatisch, gewaltbereit oder faul“), Metaphern („die lodernde Flamme des Islam“) und Symbole (etwa das Kopftuch oder die Moschee für den Islam als solchen) herausgearbeitet. Unterstützt werden diese sehr stark vereinfachenden und vielfach auch verfälschenden Bilder durch ein starkes mediales Framing. In einem solchen Prozess werden neue Informationen vom Publikum nur noch einen feststehenden Rahmen (frame) eingepasst und somit nur auf der Basis des Vorgewussten eingeordnet, wobei dieses Wissen oft von starken Vorurteilen gegenüber dem Islam geprägt wird.

Auf der anderen Seite haben einige qualitative Untersuchung der Islamberichterstattung deren Charakteristika und Defizite auf einer strukturellen und thematischen Ebene analysiert. Beispielsweise hat Kai Hafez (2002) in seinem Standardwerk „Das Nahost- und Islambild der deutschen überregionalen Presse“ nachgewiesen, dass die Islamberichterstattung sich vor allem auf negative Ereignisse wie Kriege, Katastrophen und Krisen konzentriere, insbesondere von elitären Akteuren geprägt und von Politikberichterstattung dominiert werde, wohingegen kulturelle, wirtschaftliche oder soziale Themen nahezu marginalisiert würden. Diese Tendenzen lassen sich für eine spätere Untersuchung (Hafez/Richter 2007) für die Islamberichterstattung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens noch verstärkt beobachten. Die deutsche Islamberichterstattung wird daher als „traditional negativ“ und „islamophob“ bewertet, während die Medien aktiv ein „Feindbild Islam“ zeichnen und damit letztlich eine auch in zahlreichen demoskopischen Untersuchungen nachweisebare „Islamangst“ schüren.

Ausgangspunkt der Abschlussarbeit „Arabellion Im Abendland“ war die Frage, ob ein grundsätzlich positiv beurteiltes Ereignis wie die Arabische Revolution dazu führen würde, dass eine grundsätzlich negativ geprägte Islamberichterstattung im entsprechenden Zeitraum positiver beurteilt wird. Dafür wurden im Untersuchungszeitraum vom 1. Januar bis zum 31. März 2011 die Ausgaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sowie der Süddeutschen Zeitung quantitativ untersucht. Im Rahmen dieser Vollerhebung wurden 1424 Artikel mit einem inhaltlichen, geografischen oder thematischen Bezug zum Islam analysiert. Mit Hilfe verschiedener formaler Kategorien (wie die Darstellungsformen und Informationsquellen der Islamberichterstattung, aber auch deren Platzierung und Umfang), inhaltlicher Kategorien (etwa die Themen, Länder und Akteure der Islamberichterstattung) sowie wertender Kategorien (wie die Bewertung der Ereignisse, Akteure und des Islam) wurden übergeordnete Themen und Strukturen der Islamberichterstattung während der Arabischen Revolution analysiert.

Das Ergebnis: Im Vergleich zu vorangegangenen Studien über die deutsche Islamberichterstattung (vor allem Hafez 2002 und Hafez/Richter 2007) konnten im Untersuchungszeitraum deutliche Veränderungen in verschiedenen Punkten nachgewiesen werden.

  • So nahm der Umfang der Islamberichterstattung während der Arabischen Revolution im Gegensatz zum Langzeitvergleich von 1955 bis 1994 sowohl in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als auch in der Süddeutschen Zeitung deutlich zu (9,25 statt 3,05 Artikel pro Tag und Zeitung).
  • Eine prominente Platzierung großer Teile der Islamberichterstattung auf den vorderen Seiten unterstreicht zudem die Bedeutung des Ereignisses „Arabische Revolution“ (Ein Viertel der Artikel steht auf den ersten drei Seiten, weitere 50 Prozent auf den Seiten vier bis zehn).
  • Trotz einer Dominanz berichtender Darstellungsformen (69 Prozent) gegenüber beschreibenden oder kommentierenden (je 10 Prozent), nimmt die Islamberichterstattung im Untersuchungszeitraum vielfältige Formen an.
  • Beide Zeitungen steigerten ihren Anteil an journalistischer Eigenleistung deutlich gegenüber dem Langzeitvergleich (91 Prozent statt 63 Prozent). Während Agenturen nur eine untergeordnete Rolle spielen (5 Prozent), dehnten die untersuchten Zeitungen ihr Korrespondentennetz in Nordafrika sowie dem Nahen und Mittleren Osten während der Arabischen Revolution weiter aus (teilweise acht statt vier Korrespondenten) und bezogen ein Drittel aller Texte direkt aus der Region.
  • Während die Dominanz der Politik bei den Sachgebieten auch im Untersuchungszeitraum nicht bricht (82 Prozent), wird die Themenstruktur der Islamberichterstattung deutlich von der Arabischen Revolution bestimmt und ist darüber hinaus bei politischen Themen stark differenziert. Während das Thema Kultur leicht wächst (6 Prozent) und Gewaltkonflikte sowie Kriege außerhalb der Revolution deutlich weniger thematisiert werden (7 statt 37 Prozent), bleibt der Anteil von wirtschaftlichen, sportlichen und vor allem sozialen Themen marginal.
  • Zentrale Veränderungen lassen sich vor allem in der Akteurstruktur der Islamberichterstattung beobachten: Zwar wird diese noch immer durch Personen- und Elitenzentrierung geprägt (73 Prozent), jedoch steigern die Vertreter der breiten Volksmasse ihren Anteil an der Berichterstattung deutlich gegenüber früheren Studien (von 15 auf 24 Prozent). Im Gegensatz zu offiziellen Staatsvertretern der islamischen Welt werden nichtorganisierte Gruppen und Einzelpersonen aus arabischen oder nordafrikanischen Ländern kaum negativ, sondern überwiegend neutral oder sogar positiv bewertet. Die Handlungen von Revolutionsträgern werden also deutlich positiver gesehen, als die von Revolutionsgegnern.
  • Eine deutliche Veränderung lässt sich auch bei der Bewertung der Ereignisse erkennen: Kamen frühere Studien (Hafez 2002 und Hafez /Richter 2007) auf Anteile von zwischen 33 und 48 Prozent bzw. von 81 Prozent bei der Negativberichterstattung, so ergibt die Medieninhaltsanalyse im Untersuchungszeitraum lediglich 16,4 Prozent negative Ereignisse, bei drei Vierteln neutraler und 8,8 Prozent positiver Ereignisbewertungen. Dieser Wert für positive Ereignistypen enthält dabei eine Verdreifachung des Wertes früherer Studien, was zwar für das Untersuchungsergebnis nur eine kleine, im Gesamtkontext der Islamberichterstattung jedoch eine wichtige Veränderung bedeutet. Zudem kann auch die in der Literatur oft angenommene Einheit von Politik und Religion in islamischen Ländern im Untersuchungszeitraum nicht bestätigt werden.
  • Der Islam in seiner politischen oder religiösen Dimension wird zwar überwiegend negativ (und nur selten positiv) bewertet, insgesamt wird der Islam aber vergleichsweise selten thematisiert (nur in zehn Prozent der Artikel findet sich ein Bezug zur Religion des Islam). Eine systematische Verknüpfung von politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Themen mit dem Islam kann in der deutschen überregionalen Presse während der Arabischen Revolution nicht bestätigt werden.

Welche Schlüsse lassen sich aus den Ergebnissen ziehen? Auch wenn alte Schwächen der Islamberichterstattung wie eine Dominanz politischer Themen und elitärer Handlungsträger nicht verschwunden sind, sind in vielen Bereichen doch Tendenzen für eine ausgeglichenere Islamberichterstattung festzustellen. Nicht zuletzt an der steigenden Berichterstattung über neutrale und positive Ereignisse sowie an der kaum negativen Bewertung der breiten Bevölkerung in islamischen Ländern ist im Beobachtungszeitraum eine Normalisierung der Islamberichterstattung erkennbar.

Der weitere Verlauf der Arabischen Revolution in den Monaten von April bis Dezember 2011 legte allerdings den Verdacht nah, dass die alten, problematischen Mechanismen der Islamberichterstattung rasch wieder zu greifen beginnen, sobald die Hochstimmung der ersten Revolutionsmonate dem zähen – und vielerorts auch vergeblichen – Ringen um Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und politischer Teilhabe gewichen ist. Die Tötung Osama bin Ladens, das brutale Vorgehen zunächst der libyschen, später dann der syrischen Regierung gegen ihre protestierende Bevölkerung sowie die Erfolge islamistischer Parteien bei den ersten freien Wahlen in den Revolutionsländern Tunesien und Ägypten lassen alte Konfliktlinien wieder aufbrechen und die Hoffnung auf eine neutralere Islamberichterstattung schwinden.

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