Kein Allheilmittel: Nähe ist ein entscheidender Faktor in der Auslandsberichterstattung – aber nicht die Lösung aller Probleme

25. August 2022 • Aktuelle Beiträge, Internationales, Qualität & Ethik, Top • von

Ein Vergleich der deutschen und spanischen Lateinamerikaberichterstattung zeigt: Sprachliche und wirtschaftliche Nähe beeinflussen die Auslandsberichterstattung, ebenso wie internationale Migrationsströme. Die Art der Berichterstattung widerspricht allerdings den Erwartungen früherer Theorien nach Hafez (2002).

Mit nur einem Klick können wir erfahren, was am anderen Ende der Welt geschieht. Denn die Welt ist so vernetzt wie nie – was auch der Auslandsberichterstattung eine größere Bedeutung zukommen lässt: Das Auslandsbild vieler Menschen wird maßgeblich durch die Berichterstattung in den Medien geprägt. Doch auch diese ist nicht frei von Einflüssen, von den redaktionellen Umständen bis hin zu den strukturellen Merkmalen der Auslandsberichterstattung. So können unter anderem auch Stereotype und Vorurteile reproduziert werden. Um dies zu verhindern ist es wichtig, die Einflussfaktoren im redaktionellen Prozess zu erkennen.

Hierzu leisten die Ergebnisse der in 2022 am Institut für Journalistik der TU Dortmund verfassten Bachelorarbeit mit dem Titel „Der Einfluss von sprachlicher, kultureller und wirtschaftlicher Nähe auf die Auslandsberichterstattung. Eine komparative Analyse der Lateinamerikaberichterstattung in spanischen und deutschen Medien.“ einen Beitrag: Im Rahmen einer quantitativen Inhaltsanalyse der Lateinamerikaberichterstattung auf den Webseiten der jeweils auflagenstärksten Qualitätstageszeitungen Deutschlands und Spaniens (AIMS, 2022; IVW, 2022) – der Süddeutschen Zeitung (SZ) und El País – werden das Vorkommen typischer Merkmale und etwaige Probleme der Auslandsberichterstattung untersucht. Ein anschließender Vergleich zeigt deutlich den vorhandenen Einfluss der verschiedenen Ausprägungen von Nähe auf eben jene Berichterstattung.

Merkmale der Auslandsberichterstattung

Insgesamt wurden in einem ersten Schritt 2.003 Artikel dahingehend analysiert, welche lateinamerikanischen Länder im dreimonatigen Analysezeitraum wie häufig in der Berichterstattung genannt werden. Anschließend wurden in einem zweiten Schritt die Artikel, die das meistgenannte Land – in dem Fall Mexiko – erwähnen, im Detail auf die in der Literatur als typisch angesehenen Merkmale der Auslandsberichterstattung hin untersucht. Diese Merkmale sind nach Hafez (2002):

  • Politikzentrierung: Themen mit Politikbezug sind in einem großen Teil der Auslandsberichterstattung präsent.
  • Elitenzentrierung: Der Fokus der Berichterstattung liegt auf gesellschaftlichen und politischen Eliten.
  • Negativismus/ Konfliktperspektive: Negative Themen und Krisen, Kriege, Konflikte und Katastrophen spielen in der Auslandsberichterstattung eine überproportional große Rolle.
  • Dekontextualisierung/ Nichtdarstellung von internationalen Strukturproblemen: Es kommt zu einer „Vernachlässigung von politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Ursachen-Wirkungs-Zusammenhängen“ (Hafez, 2002, S. 65). So werden Strukturprobleme von internationalen Beziehungen und komplexe internationale Prozesse nicht dargestellt. Stattdessen werden Geschehnisse als isolierte Ereignisse in der Berichterstattung erwähnt.
  • Metropolenorientierung: Medien berichten mehr über „Metropolen“ – also Länder und Regionen mit hoher wirtschaftlicher und politischer Bedeutung im Weltgeschehen (Westeuropa/USA).
  • Starke Präsenz von Agenturen: Medien greifen häufig auf Agenturmaterial zurück.

Nähe verstärkt den Einfluss wirtschaftlicher Verbindungen

Die Ergebnisse dieses zweiten Analyseschritts, der 310 Artikel (276 der Zeitung El País, 34 der SZ) einschließt, enthüllen einige interessante Aspekte, da sie teilweise den Hypothesen der Literatur deutlich widersprechen und die großen Unterschiede zwischen der Lateinamerikaberichterstattung in Deutschland und in Spanien – und somit den Einfluss von Nähe – verdeutlichen. Diese Nähe ist darin begründet, dass Spanien sowohl sprachlich, kulturell als auch wirtschaftlich näher an Lateinamerika liegt als Deutschland.

Insgesamt führt die wirtschaftliche, sprachliche und kulturelle Nähe zwischen zwei Ländern zu einem sehr viel größeren Umfang der Berichterstattung. Das geht aus den Ergebnissen der Analyse hervor. Allerdings gilt dies vor allem für Länder, die selbst wirtschaftlich stark sind. Die Top Fünf sind sowohl in der SZ als auch in El Pais Mexiko, Brasilien, Argentinien, Chile und Kolumbien. Dies sind laut der World Bank (2021) auch die fünf lateinamerikanischen Länder mit dem höchsten Bruttoinlandsprodukt (BIP). Allerdings unterscheidet sich die Reihenfolge innerhalb der Top Fünf:

Anzahl Artikel pro Land und BIP im Vergleich zwischen sueddeutsche.de und elpais.com

Quelle: Küsters (2022)/ World Bank (2021)

Die Untersuchungen zeigen, dass das deutsche Medium sich somit in der Berichterstattung stärker an der Wirtschaftskraft der Länder orientiert. Die Berichterstattung des spanischen Mediums hingegen wird durch weitere Faktoren beeinflusst. Diese sind, wie die Analyse zeigt:

  • Wirtschaftliche Verbindungen: Spanien ist besonders mit Mexiko, Brasilien und Chile im Austausch, die auch häufig in der Berichterstattung Beachtung finden.
  • Gemeinsame Sprache: Als einziges portugiesisch-sprachiges Land in Lateinamerika liegt Brasilien bei El País auf Platz fünf, während es bei der SZ das meistbeachteste Land ist und auch das höchste BIP hat.
  • Migrationsströme: Aus Kolumbien und Venezuela kommen die meisten Migrant*innen nach Spanien. Beide Länder werden bei El País häufiger erwähnt, als im deutschen Medium und als ihr BIP vermuten lassen würde.

Ergebnisse widersprechen den Vorhersagen der Literatur

Zudem wirkt sich die Nähe auf die Art der Berichterstattung aus, insbesondere auf die Gewichtung der Merkmale der Auslandsberichterstattung: Einige sind durch die Nähe stärker ausgeprägt, während andere wiederum kaum oder gar nicht vorhanden sind. So widerlegen die Ergebnisse auch einige der oben dargestellten Hypothesen der Literatur – denn die von Hafez (2002) beschriebenen Merkmale wie eine Dekontextualisierung oder Metropolenorientierung sind in den untersuchten Beiträgen von El País nicht zu finden.

Mit Blick auf die Erfüllung der Merkmale unterscheiden sich die beiden untersuchten Medien jedoch stark von einander: Während das spanische Medium eine starke Konfliktperspektive, Politikzentrierung sowie einen starken Negativismus aufweist, sind diese Merkmale in der deutschen Berichterstattung nicht zu finden. Allerdings tritt dort wiederum ein häufiger Bezug zum Heimatland des Mediums, eine starke Präsenz westlicher Agenturen sowie fehlender Platz für Kontextinformationen auf. Einzig eine Elitenzentrierung ist bei beiden Medien erkennbar.

Präsenz der typischen Merkmale der Auslandsberichterstattung

Quelle: Küsters (2022)/ World Bank (2021)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Lateinamerikaberichterstattung in Spanien und Deutschland sich stark unterscheidet. Zudem führt wirtschaftliche, sprachliche und kulturelle Nähe zwar zu einer deutlich umfangreicheren Berichterstattung, jedoch können nicht alle strukturellen Probleme der Auslandsberichterstattung durch diese Nähe gelöst werden: So ist die Berichterstattung von El País stark durch eine Konfliktperspektive, von einer Eliten- und Politikzentrierung sowie Negativismus charakterisiert.

Für die praktische Arbeit der Medienhäuser zeigt die Untersuchung zudem, wie wichtig ein gut ausgebautes Auslandskorrespondent*innen-Netz ist: Mehr als die Hälfte der Artikel der spanischen Zeitung erwähnt Mexiko, welches damit das mit Abstand am häufigsten erwähnte Land ist. Gleichzeitig betreibt El País in Mexiko selbst eine vollständige Redaktion und publiziert darüber hinaus eine eigene digitale Ausgabe. Dieser Fakt verdeutlicht, dass eine starke Präsenz von Auslandskorrespondent*innen in einem Land zu einer umfangreicheren wie auch nahen Berichterstattung führt – und damit, wie wichtig es ist, dass die Medienhäuser im Ausland vor Ort langfristig eingesetzte Journalist*innen beschäftigen.

Quellen:

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Hafez, K. (2002). Theoretische Grundlagen. Die politische Dimension der Auslandsberichterstattung / Kai Hafez: Bd. 1. Nomos Verl.-Ges.

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Küsters, R. (2022). Der Einfluss von sprachlicher, kultureller und wirtschaftlicher Nähe auf die Auslandsberichterstattung. Eine komparative Analyse der Lateinamerikaberichterstattung in spanischen und deutschen Medien (unveröffentlichte Bachelorarbeit). Technische Universität Dortmund.

Scherer, H., Tiele, A., Haase, A., Hergenröder, S. & Schmid, H. (2006). So nah und doch so fern? Publizistik, 51(2), 201–224. https://doi.org/10.1007/s11616-006-0057-8

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Beitragsbild: Pexels

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