“Watergate” – ein mysteriöser Einbruch am 17. Juni 1972, der zwei junge Journalisten auf die Spur des paranoiden amerikanischen Präsidenten Nixon setzte.
Am 19. Juni 1972, einem milden amerikanischen Junisonntag, hörte ich auf der Heimfahrt den Washingtoner Info-Radiokanal CBS ab. Er berichtete von einem merkwürdigen Einbruch im Parteihauptquartier der Demokratischen Partei. Ein Nachwächter im Watergate-Hotel habe die Polizei auf fünf Herren in Geschäftsanzügen angesetzt, die mit Operationshandschuhen, Einbrecherwerkzeug, elektronischen Abhörwanzen und Bargeld in kleinen Scheinen die Demokraten-Zentrale heimsuchten. Unter den fünf waren Exilkubaner, aber auch James W. McCord, CIA-Agent, der nebenbei “Sicherheitsfragen” im Komitee für Nixons Wiederwahl bearbeitete.
Merkwürdig, fand ich. Der weit ausschwingende, modernistisch anmutende Watergate-Luxuskomplex, in die Sümpfe am Potomac-Fluss hineingestellt, beherbergte außer dem Hotel einige Granden der Nixon-Republikaner, so den ehemaligen Justizminister John Mitchell, der zurückgetreten war, um das Komitee für Nixons Wiederwahl im November 1972 zu leiten. Weshalb dieser Einbruch? Nixon lag vor allen demokratischen Anwärtern klar in Führung und schickte sich nach eigenem Bekunden gerade an, den Vietnamkrieg zu beenden. Von unserer Zweizimmerwohnung auf der andern Seite einer Stadtautobahn sahen wir direkt auf Mitchells Balkon.
Doch zurück zu unserem Einbruch: Am Wochenende hatten zwei junge Reporter der “Washington Post”, beide noch nicht 30, Pikettdienst: Der elegante Bob Woodward, ein fanatischer Rechercheur mit Yale-Universitätsabschluss und Brevet eines Navy-Leutnants, als Journalist noch ziemlich unerfahren. Und der etwas schmuddelige, aber seit Jahren mit allen Wassern gewaschene Carl Bernstein, ein hochbegabter Schreiber, ohne Uni-Abschluss und im Ruf eines nur sporadisch zuverlässigen Jungjournalisten. Es war nicht viel los. Sie kratzten ein bisschen am Watergate-Einbruch. Tags darauf las ich auf der Frontseite der “Washington Post” die knappe Story der beiden mir unbekannten Reporter, die McCords merkwürdige Doppelrolle hervorhob. Einen Tag später schob Bernstein nach, in Adressbüchern der Kubaner seien noch weitere Namen – auch der des bekannten Präsidentenberaters Charles W. Colson – auffällig. Hernach war einige Wochen Funkstille. Wodward und Bernstein wurden als Junioren auf andere Lokalthemen angesetzt. Aber bereits erschien in der “Washington Post” eine hellseherische Karikatur von Herblock – schmutzige Fußspuren, die von allen Seiten her im “Weißen Haus” mündeten.
Inzwischen hatte die “New York Times” einige weitere Links der Einbrecher zum Nixon-Komitee herausgefunden. Und die “Washington Post”, die als Hauptstadtzeitung Themenführerin bleiben wollte, erwachte: Zwei ältere Redaktoren bildeten ein “Investigationsteam Watergate”, dem auch Woodward und Bernstein angehörten. Im September 1972 schrieben Woodward und Bernstein, mittlerweile unzertrennlich, die große Story über einen hochdotierten Krokodilsfonds, aus dem Mitchell Spionageaktionen gegen die Demokraten finanzierte.
Von all dem nahm ich vorläufig eher beiläufig Kenntnis, bis mir Ende Sommer 1972 mein persönliches “Erweckungserlebnis” widerfuhr. Als erster TA-Korrespondent in der Hauptstadt bezog ich 1970 ein Einzelbüro im etwas vergammelten National Press Building um die Ecke vom ‘Weißen Haus’. Im Dachfoyer des National Press Building saß ich beim Imbiss neben einem älteren Journalisten, der in Nixons Presseabteilung angeheuert hatte. Wir kamen auf “Watergate” zu sprechen, und ich schenkte ihm fleißig Rotwein ein. Bei der zweiten Flasche packte er mich am Arm und murmelte: ” ‘Watergate’ ist eine dicke Sache. Aber irgendwann wird auskommen, was in den Kellern des ‘Weißen Hauses’ sonst noch läuft. Da obliegt ein großes Team finsteren Plänen…”. Erst nach Mitternacht trennten wir uns, wobei ich ihm versprechen musste, seinen Namen in keinem Bericht zu erwähnen.
Am nächsten Tag warnte ich meinen amerikaerfahrenen Chefredaktor Walter Stutzer in Zürich. Ich gedachte, diese Watergate-Sache mit jugendlichem Elan breit zu fahren, obwohl in Washington eigentlich der Zeitgeist ganz anders wehte. Immer deutlicher begann sich ein hoher Wahlsieg des amtierenden Präsidenten Nixon abzuzeichnen. Schließlich hoben die Demokraten an ihrem Parteitag, vier Wochen nach dem Watergate-Einbruch, den braven Senator George McGovern aus dem Nordstaat South Dakota auf den Schild – laut republikanischen Beobachtern den schwächsten aller Gegenkandidaten. Überall im Lande bildeten sich Gruppen “Democrats for Nixon”. Ein alter Rechtsanwalt der Demokraten brachte es in seiner Washingtoner Kanzlei auf den Punkt: “Wen soll ich denn wählen im November– a fool (den lieben Dummkopf McGovern) or a crook (den durchtriebenen Schlaumeier Nixon)? In diesen gefährlichen Zeiten muss ich doch Nixon die Stimme geben”.
Am Kiosk in der Eingangshalle des National Press Building, wo wir uns frühmorgens jeweils blässlichen Maschinenkaffee und Brötchen sowie die “New York Times” holten, sagte der Doyen der Auslandkorrespondenten, Werner Imhoof von der NZZ, scharfer Hauptstadtbeobachter seit 1945, zu mir: ” ‘Watergate’ können Sie vergessen, junger Kollege. Alle vier Jahre spielen ein paar Partisanen dieses oder jenes Kandidaten ‘dirty tricks’, böse Streiche. Nach dem Wahltag ist das vergessen.” Aber vorerst wenig beachtet recherchierten Woodward und Bernstein – im Branchenjargon “Woodstein” – hartnäckig weiter. Die Geschichte über den erwähnten Krokodilsfonds, aus dem Hunderttausende von Dollars flossen, unter anderem an die verhafteten Watergate-Einbrecher, verursachte zwar grossen Ärger im “Weißen Haus”. Mitchell schrie am Telefon den ihn befragenden Bernstein an: “Wenn die ‘Washington Post’ diese Story druckt, dann werde ich Verlegerin Katie Graham an ihren Titten durch den Wäschetrockner drehen”. Das Zitat machte im National Press Building die Runde, bewegte aber nichts.
Katherine Graham war eine starke Verlegerin. Während meines Praktikums als Stipendiat in Washington, fünf Jahre früher, war Verlegerin Graham jede Woche an einer Redaktionssitzung erschienen und hatte mitdiskutiert. Jetzt, im Sommer 1972, schien ihre Lage heikel. Die Hauptstadtzeitung – voll auf Kurs gegen den amtierenden und wohl auch künftigen Präsidenten? Die Devise auf den Plakaten hieß: “Four more years” (nochmals vier Jahre, Richard Nixon). Viele der Bezichtigungen von “Woodstein” stützten sich auf anonyme Zitate freimütiger oder unvorsichtiger Angestellter des Nixon-Wiederwahlkomitees. Aber Verlegerin Graham wusste, dass ihr Chefredaktor Ben Bradlee die Jungspunde “Woodstein” und ihre Vorgesetzten auf die später so genannten drei “Watergate-Regeln ” eingeschworen hatte: Ein belastender Bericht ging über das Pult von Redaktionskadern; zitierte man aus andern Zeitungen, waren eigene Zusatzrecherchen zu dokumentieren; mindestens zwei voneinander unabhängige Auskunftgeber mussten anonyme Aussagen bestätigen. Inzwischen war ja die Nachrichtenlage sehr kompliziert geworden. Bereits tagte hinter verschlossenen Türen eine “Grand Jury” (Anklage-Jury), die zunächst die Einbrecher und mögliche Hintermänner einvernehmen und die Faktenlage überprüfen musste, lange vor einer formellen Gerichtsverhandlung.
Nixon gewann die Präsidentschaftswahlen im November 1972 – ein “Erdrutschsieg” in 49 von 50 Bundesstaaten, in allen außer der Kennedy-Hochburg Massachusetts. Aber langsam rollte jetzt die Gerichtsmaschine an. Die Watergate-Einbrecher bekannten sich schuldig, um möglichst glimpflich davonzukommen. Der “ranghöchste” unter ihnen, Sicherheitsberater JamesW. McCord, war verärgert über Vernachlässigung durch den engsten Stab des wiedergewählten Präsidenten und schrieb Richter Sirica einen Brief, worin er die meisten Einvernommenen des Meineids bezichtigte. Trotz Nixons Erfolg war der Senat in demokratischer Hand geblieben, und der knorrige Verfassungsrechtler Sam Ervin aus dem Südstaat Nordcarolina begann, mit einem Senatsausschuss Watergate-Hearings durchzuführen. Ervin bat Woodward um den Namen von “Deep throat” (wörtlich: “Tiefe Kehle”). Es ging um den mit diesem Übernamen bedachten hohen Regierungsbeamten, der Woodward bei einigen Verdachtsmomenten beraten hatte. Natürlich gehörte es zu meinen Journalistenpflichten, mir den unzweideutigen Porno “Deep Throat” aus dem Jahr 1972 anzusehen, dessen Titels sich Woodward bemächtigt hatte. Woodward hielt dicht (bis 2005). Aber die am Fernsehen ausgestrahlten Senatshearings im Frühjahr 1973, an denen viele Nixon-Adlaten unter Strafdrohung nicht mehr zu lügen wagten, drehten die öffentliche Meinung langsam gegen Nixon.
Dann ein Knall, als ein kleiner Beamter gestand, er habe mitgeholfen, an allen Nixonpulten im “Weißen Haus” Abhörgeräte zu installieren, die sämtliche telefonische oder direkte Gespräche aufnahmen. Nun verlangte Senator Ervin 64 Tonbänder, und Präsident Nixon musste sie auf Gerichtsbefehl herausrücken. Damit zeichnete sich das Ende ab. Denn wie Woodward und Bernstein in der “New York Times” vom 8. Juni 2012 nachzeichneten, hatte Nixon an fünf Fronten Krieg geführt: 1. Gegen die Gegner des Vietnamkriegs, 2. Gegen die Medien, 3. Gegen die Demokratische Partei, 4. gegen die Justiz, 5. gegen die Geschichte. An fast jeder Front gab es illegale Komponenten, Lügen, Einbrüche, Bestechungen. Die Tonbänder belegten es.
Die letzten Wochen vor Nixons Rücktritt am 9. August 1974, als das Repräsentantenhaus bereits ein Absetzungsverfahren vorbereitete, waren dramatisch. Washington schwirrte von Gerüchten. Jüngere Bekannte im “Weißen Haus” fragten sich, ob Nixons letzte Getreuen einen Staatsstreich vorbereiteten. Die Tonbänder mit Nixon engsten Beratern, den “Preussen” Haldeman und Ehrlichman – beide bereits zurückgetreten – ließen solche Gedanken aufkommen, die ich freilich für unmöglich hielt. Die europäische Presse fabulierte umgekehrt im Andenken an Nixons unleugbare außen – und innenpolitischen Verdienste von “Königsmord”, was ich – zurück in Zürich – für ebenso falsch hielt. Das amerikanische Verfassungssystem, das ich (damals mehr als heute) genial fand, hatte sich wieder einmal in einer Krise bewährt. Und die unerschrockenen Leute um die “Washington Post”, Woodward und Bernstein samt ihren Vorgesetzten, hatten den Anstoß zur Selbstreinigung gewagt. Es war eine Sternstunde des – in diesem Fall – fast fehlerfreien investigativen Journalismus. Lang ist’s her.
Gedächnisstützen: Alicia C. Shepard, Woodward und Bernstein, Weinheim 2008; Carl Bernstein / Bob Woodward, Die Watergate-Affäre, München/Zürich 1974; Thomas Mallon, Watergate. A Novel. New York 2012
Erstveröffentlichung: Tages-Anzeiger vom 15. Juni 2012
Peter Studer war Redaktor am “Tages-Anzeiger” 1964-1978, Chefredaktor 1978-1987. Heute schreibt er als Rechtsanwalt über Medienrecht und Medienethik.
Schlagwörter:Bob Woodward, Carl Bernstein, investigativer Journalismus, Katherine Graham, Nixon, Washington Post, Watergate