Der kleine Unterschied

16. Dezember 2010 • Qualität & Ethik • von

Seit den jüngsten Wikileaks-Enthüllungen steht die Welt Kopf. Die amerikanische Diplomatie ist brüskiert.

Die Rechner von Wikileaks ebenso wie die großer Firmen, darunter Mastercard, Visa, PayPal und eBay, wurden lahmgelegt. Jedermann kann jetzt zumindest erahnen, wie ein Cyber-Krieg aussehen kann, wenn mehrere Seiten wirklich loslegen.

Und wer nur ein bisschen nachdenkt, wird auch der Dialektik gewahr, dass uns die Wikileaks-Veröffentlichungen in den Demokratien auf Dauer nicht mehr, sondern weniger Transparenz bescheren werden. Paradoxerweise sehen sich in der Informationsgesellschaft die politischen Eliten auf tribale Interaktionsmuster zurückgeworfen: Sie werden künftig wie Stammesfürsten Wichtiges mündlich aushandeln – ohne Protokoll und ohne Telefon.

Den kleinen Unterschied, auf den es ankommt, hat schon vor gut einem Jahr das Reuters Institute in Oxford in Erinnerung gerufen: Was „in the public interest“, also wirklich im öffentlichen Interesse ist, gehört an die Öffentlichkeit. Dazu zählen als Klassiker nicht nur die Pentagon Papers, deren Publikation durch New York Times und Washington Post den Anfang vom Ende des Vietnam-Kriegs markierten, sondern auch das Video einer Attacke der US-Army auf Zivilisten in Irak, das Wikileaks vor geraumer Zeit publizierte.

Reichen dagegen angesehene Repräsentanten der „vierten Macht“ wie der Guardian, der Spiegel, Le Monde und El Pais Datendieben die Hand, um die diplomatische Routine einer Weltmacht von innen zu zeigen und um vor allem Klatsch in Umlauf zu bringen, statt letztlich Illegales offenzulegen, dann können sie als Motiv nur „the public’s interest“ geltend machen. Sie handeln dann im Interesse einer stets neugierigen Öffentlichkeit – und schaden damit womöglich dem öffentlichen Interesse der Demokratien und vielleicht sogar der Weltgemeinschaft mehr, als sie ihm nützen.

Die bejubelte „Pro Am“ Kooperation, die Zusammenarbeit von Medienprofis mit Amateuren, in der viele Internetgurus die Zukunft des Journalismus sehen, schlägt so in „Pro Crim“ um, in eine Kooperation von selbstherrlichen Journalisten mit Kriminellen, die beide für sich in Anspruch nehmen, über den Gesetzen zu stehen. Eben eine Zusammenarbeit von Datenhehlern mit Datenstehlern.

Erstveröffentlichung: Die Furche vom 16.12.2010

interessante Links zur Wikileaks-Debatte:

auf deutsch:

http://www.tagesspiegel.de/politik/wir-informieren-uns-zu-tode/3623006.html 

http://www.soziologiemagazin.de/blog/2010/12/04/wikileaks/ 

http://www.faz.net/s/RubCEB3712D41B64C3094E31BDC1446D18E/Doc~EFD5B061D9A1B42FF9BF9F317540E4F9C~ATpl~Ecommon~Scontent.html

auf englisch:

http://www.niemanlab.org/2010/12/this-week-in-review-the-wikibacklash-information-control-and-news-and-a-tightening-paywall/

http://www.cjr.org/campaign_desk/wikileaks_coverage_roundup_again.php 

http://mashable.com/2010/08/20/wikileaks-journalism/ 

http://www.theeuropean.de/debatte/5088-wikileaks 

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