Die verdeckte Recherche ist auch unter dem Schlagwort ,,undercover‘‘ bekannt. Für Journalist:innen ist es ein wichtiges Berufselement, undercover zu gehen, um Missstände und dubiose Machenschaften aufzudecken.. Günter Wallraff, der 1977 unter dem falschen Namen ,,Hans Esser‘‘ in der Bild-Redaktion arbeitete, die berühmten „Panama Papers“ und zuletzt die Pandemie und ihre Maskenskandale zeigen, dass verdeckte Recherchen eine wichtige Funktion einnehmen können: Sie konfrontieren Journalist:innen nicht nur mit ethischen Grenzen, sondern sie sind auch regelmäßig eine rechtliche Gratwanderung. Nicht selten münden sie in einer Reihe von Gerichtsprozessen und haben auch schon das geltende Recht stark beeinflusst.
Um die Recherchemethode besser zu untersuchen, führte der Autor dieses Artikels eine qualitative Befragung mit sechs Journalist:innen durch. Er interviewte sie in jeweils 45-minütigen Gesprächen, welche unter Gewährleistung der anschließenden Anonymität durchgeführt wurden. Es wurde untersucht, welche rechtlichen Unsicherheiten bei Investigativjournalist:innen auftreten können, wenn sie eine verdeckte Recherche durchführen. Alle Teilnehmer:innen hatten schon mindestens eine verdeckte Recherche durchgeführt, die in einer öffentlichen Berichterstattung mündete. Die qualitative Befragung wurde mittels eines Leitfadeninterviews durchgeführt. Dabei stuften die Befragten ein, wie sie ihre persönlichen Interessen und ihren eigenen Schutz im Vergleich zum öffentlichen Informationsinteresse einordnen. Rechtliche Vorerfahrungen, rechtliche Unsicherheiten, der persönlich-rechtliche Schutz, die Relevanz öffentlicher Berichterstattung, die Quellennutzung, Rechtskenntnisse, die Praktikabilität des geltenden Rechtsrahmens und aktuelle Trends sind Kategorisierungen, die im Rahmen der qualitativen Befragung systematisch analysiert und anschließend ausgewertet wurden.
„Wie bewerten Investigativjournalist:innen ihr rechtliches Wissen bei Ausübung einer verdeckten Recherche?” lautete die Forschungsfrage, die mit Hilfe von drei weiteren Unterfragen beantwortet wurde. Im Folgenden werden die wichtigsten Erkenntnisse der Bachelorarbeit anhand der drei Unterfragen dargestellt, ehe ein Gesamtfazit gezogen wird.
Unterfrage 1: Welche Faktoren haben Einfluss auf das rechtliche Wissen von Investigativjournalist:innen bei einer verdeckten Recherche?
Einfluss auf das rechtliche Wissen von Investigativjournalist:innen hat vor allem die Berufserfahrung. Denn wirklich in Kontakt treten Investigativjournalist:innen mit verdeckten Recherchen erst in der fortschreitenden Berufskarriere. Fünf der sechs Interviewten kamen praktisch gar nicht richtig in Kontakt mit der Recherchemethode, ehe sie selbst eine verdeckte Recherche durchführen mussten. Die eine befragte Person, die vorher in Kontakt mit verdeckten Recherchen kam, hatte den Zugang auch nur zufällig durch ein Praktikum gefunden. Passende Weiterbildungen in der Freizeit finden eher nur punktuell statt und aus den Interviews hat sich herauskristallisiert, dass es wenig informative Seminare zu verdeckten Recherchen gibt. Zwar führen wohl vereinzelte Redaktionen Gefahren- und rechtliche Assessments durch, doch die interviewten Personen hatten kaum die Möglichkeit, daran teilzunehmen. Einfluss auf das rechtliche Wissen von Investigativjournalist:innen haben Selbstinitiativen oder eigene ,,learning by doing‘‘-Ansätze.
Viel mehr Einfluss auf das rechtliche Wissen von Investigativjournalist:innen haben dagegen die hauseigenen Jurist:innen von Redaktionen beziehungsweise Verlagen oder kundige Rechtsberater, die die Investigativjournalist:innen unterstützen. Denn aus den Befragungen geht hervor, dass sie selbst verschiedene Situationen nur schwammig rechtlich einordnen können und sich daher Expertise von außen suchen -allerdings nur in den Fällen, in denen es die Zeit zulässt. Hier ist ein kurzes Briefing eher Standard als eine wochenlange Vorbereitung. Bei den Befragten sind zwar grundsätzliche Rechtskenntnisse des Presse- und Medienrechts vorhanden, allerdings sind sie bei speziellen rechtlichen Problemkonstellationen der verdeckten Recherche überfragt.
Unterfrage 2: Welche rechtlichen Unsicherheiten liegen bei einer verdeckten Recherche vor?
Grundsätzlich fördert wenig Berufserfahrung das Auftreten von rechtlichen Unsicherheiten. Wie eine interviewte Person zugab, lief die erste verdeckte Recherche durch eine naive und eher planlose Vorgehensweise problematisch. Zugespitzte Situationen, bei denen eine interviewte Person von einer Situation in einem geschützten Bereich oder Raum spricht, haben das Potential, Unsicherheiten zu erhöhen. Und genau in solchen geschützten Bereichen liegen die größten rechtlichen Unsicherheiten bei einer verdeckten Recherche vor. Mangelndes Bewusstsein für das Erreichen einer öffentlichen Relevanz lassen die Journalist:innen im Unklaren, wann sie beispielsweise verdeckte Bildaufnahmen machen dürfen. Den Befragten fiel es dann schwer, die rechtlichen Rahmenbedingungen einer verdeckten Recherche beziehungsweise den hier geltenden Rechtsrahmen situativ einzuordnen. Deshalb treten rechtliche Unsicherheiten insbesondere bei Grenzfällen auf, bei denen sich das Persönlichkeitsrecht anderer die Waage mit neuen Informationen hält, die nur ein mäßiges, öffentliches Interesse aufweisen. Grundsätzlich begibt man sich aber immer in eine generelle Risikozone während einer verdeckten Recherche, wie eine befragte Person festhielt. Allerdings können auch nach der eigentlichen Hauptrecherche rechtliche Unsicherheiten im Zusammenhang mit einer verdeckten Recherche auftreten. Eine befragte Person empfand rechtliche Unsicherheiten beim Zitieren aus Tonaufnahmen und dem Teilen von internen Bildern. So musste eine interviewte Person einen hohen Selbstaufwand betreiben, um sich rechtlich gegen ein großes Unternehmen zu verteidigen.
Unterfrage3: Wie ist das Verhältnis persönlicher Schutz im Vergleich zur Relevanz der öffentlichen Berichterstattung einzustufen?
Der persönlich rechtliche Schutz nimmt bei den Befragten einen hohen Stellenwert ein. Mit laufender Berufserfahrung suchen sie immer regelmäßiger Angebote zur rechtlichen Aufklärung auf. Manche Arbeitgeber dulden verdeckte Recherchen nach Aussage einer befragten Person neuerdings auch nur nach einem Prüfprozess der eigenen juristischen Abteilung. Dadurch nimmt der persönliche Schutz zwangsläufig eine gewichtige Rolle ein. Bei der Quellenqualitätseinschätzung lässt sich die Relevanz des persönlichen Schutzes auch ableiten. Quellen werden grundsätzlich nur nach einer Prüfung der Authentizität und nach Klärung der Motivlage eingesetzt. Zwei der Befragten suchten auch schon eine persönlich rechtliche Absicherung. Alleingänge werden aus Sorge vor mangelnden persönlichen Schutz auch immer häufiger vermieden. Ebenso gibt es auch eine Beleg- und Beweissicherung, um nach einer öffentlichen Berichterstattung Unterstellungen widerlegen zu können. Da die öffentliche Berichterstattung aber immer mit einem hohen gesellschaftlichen Interesse verknüpft ist und in der Regel Missstände aufdeckt, nimmt sie den elementaren Anteil bei verdeckten Recherchen ein.
Wie die Befragungen ergeben haben, bewerten Investigativjournalist:innen ihr rechtliches Wissen bei Ausübung einer verdeckten Recherche abhängig von ihrer Berufserfahrung. Je mehr verdeckte Recherchen sie durchgeführt haben, umso größer ist ihr rechtlich relevantes Wissen für verdeckte Recherchen. Was nicht nur logisch klingt, ist auch der Rückschluss auf verbesserungswürdige Weiterbildungsmöglichkeiten von Ausbildungsstationen oder Förderungen durch die Arbeitgeber. Im Zuge der Befragung der sechs Personen ist hier Potential für Nachbesserungen des rechtlichen Wissens bei Ausübung einer verdeckten Recherche vorhanden. Denn es kann nicht alleine auf das Auffassen von Erfahrungswerten im Praktikum, das vorsichtige Sammeln oder Erzählen von Erlebnissen der Arbeitskolleg:innen gehofft werden. Die Eigenregie von Investigativjournalist:innen im learning-by-doing-Ansatz, rechtliche Unsicherheiten zu bewältigen, ist dauerhafte keine zielfördernde Lösung. Rechtliche Unsicherheiten treten nämlich gerne in unvorhersehbaren Situationen auf, bei denen ein:e Investigativjournalist:in auf sich allein gestellt ist. Zwar gerät man mit einer verdeckten Recherche oftmals in komplizierte Fallsituationen, bei denen eine Interessensabwägung nicht leicht von statten geht, doch es ist notwendig, zeitnah Abhilfe zu leisten. Die fortschreitende Digitalisierung sorgt für komplexere Fallsituationen, aber auch für ein datenjournalistisches Ausschöpfungspotential, verdeckt zu recherchieren. Die verdeckte Recherche muss weiterhin ein taugliches Mittel sein, damit Investigativjournalist:innen als Wachhunde der Öffentlichkeit auftreten und Missstände beseitigen können. Zwar lassen sich realitätsnahe ,,Undercover-Fallsituationen‘‘ aus wirtschaftlichen Gründen nicht in der breiten Masse zu Übungszwecken für Nachwuchsjournalist:innen nachkonstruieren, allerdings sollte die Weitergabe von Erfahrungswerten erhöht werden. Dadurch wird so manche verdeckte Recherche vielleicht nicht wegen einer fraglichen Interessensabwägung oder eine:s überfragten Investigativjournalist:enabgebrochen. Damit könnte das Unwohlsein, eine verdeckte Recherche auszuführen, reduziert werden.
Die aktuellen Regelungen und Rechtsprechungen haben einen Weg geebnet, in dem man umfangreiche Vvrdeckte Recherchen ausführen kann. Weitergegebene Erfahrungswerte sollen helfen, dass dieser Weg auch weiter fortgeführt wird. Die Erforschung von verdeckten Recherchen ist bei Weitem noch nicht erschöpft. Literatur findet sich zu dem Thema nur begrenzt. Das liegt aber auch großenteils an den schwierigen Fallkonstruktionen. Jede verdeckte Recherche hat ihre Eigenheiten und muss fallspezifisch behandelt werden. Die fortschreitende Digitalisierung und die Beeinflussung des geltenden Rechts lässt die Herangehensweise an verdeckte Recherchen stetig verändern. Ein Anker in der derzeitigen Erforschung von verdeckten Recherchen ist das Netzwerk Recherche, ein eingetragener, gemeinnütziger Verein mit Sitz in Berlin, der 2001 von Journalisten gegründet wurde. Durch Seminare und Veranstaltungsreihen steht das Netzwerk Recherche in stetigem Austausch mit Redaktionen und Medienhäusern gewährleistet ein wichtiges Weiterreichen von Erfahrungswerten. Dies sollte dauerhaft intensiviert und gefördert werden.
Das ‚‚Netzwerk Recherche e.V. ‘‘ ist ein eingetragener, gemeinnütziger Verein mit Sitz in Berlin, der 2001 von Journalisten gegründet wurde. Mit einem Twitter-Aufruf verhalf das ‚‚Netzwerk Recherche‘‘ zu einer schnellen Vermittlung von idealen Interviewpartner:innen. Der Zweck des Vereins ist die Förderung der Bildung, insbesondere durch die Vermittlung von Recherchetechniken im Rahmen der journalistischen Ausbildung, die Vermittlung von Wissen über professionelle Recherche, die Information über Maßnahmen zur Wahrung der Medienkultur sowie die Vermittlung von Wissen und den Erfahrungsaustausch über investigativen Journalismus. Das Netzwerk Recherche bietet zahlreiche Seminare und informative Veranstaltungsreihen. Es ist ein Meilenstein in der derzeitigen Erforschung von verdeckten Recherchen. Solche Vereine sind die modernen Anker, um die verdeckte Recherche zeitgemäß zu erforschen und zu verbessern. Ein stetiger Austausch des gemeinnützigen Vereins mit Redaktionen und Medienhäusern gewährleistet ein wichtiges Weiterreichen von Erfahrungswerten. Dies sollte dauerhaft intensiviert und gefördert werden.
Schlagwörter:BA, Medienrecht, undercover, verdeckte Recherche