Der Wirtschaftsjournalismus hat mit knappen Ressourcen zu kämpfen. Diese Entwicklung sollte Wirtschaft und Unternehmen nicht egal sein. Denn nur ein kompetenter und unabhängig-kritischer Wirtschaftsjournalismus verleiht den Unternehmen eine stabile Reputation und gesellschaftliche Legitimität.
Die Digitialisierung der Medien verändert die Unternehmenskommunikation grundlegend. Im digitalen Zeitalter verlieren die traditionellen Informationsmedien ihren Gatekeeper-Status auch für die Wirtschaftsberichterstattung. Durch die neuen reichweitenstarken Plattformen wie Facebook und Twitter wird die massenmediale „few to many“-Kommunikation durch eine vernetzte „many to many“-Kommunikation abgelöst. Den Unternehmen eröffnen sich dadurch vielfältige Formen, um direkt mit den Konsumenten oder sonstigen Stakeholdern in Kontakt zu treten. Die schöne neue Medienwelt hält für sie vieles bereit: Native Advertising und Content Marketing, die mit üppigen Budgets produziert werden, Product Placement auf den Kanälen hipper Youtuber, personalisierte Werbung und Micro-Targeting, die die Datenschätze der Techgiganten in optimale Kundenkontakte ummünzen.
Die Digitalisierung eröffnet den Unternehmen viele Chancen, unbestritten. Doch der Wandel beinhaltet auch Risiken. Die Digitalisierung führt zu schwerwiegenden Finanzierungsproblemen beim Informationsjournalismus. Darunter leidet die Wirtschaftsberichterstattung – mit negativen Effekten für die Unternehmen selbst. Denn nur ein kompetenter, argumentativer und unabhängig-kritischer Wirtschaftsjournalismus verleiht den Unternehmen eine stabile Corporate Reputation und gesellschaftliche Legitimität.
Finanzierungsmodell des traditionellen Informationsjournalismus funktioniert nicht mehr
Das Social Web prägt die moderne Kommunikation und den Austausch von Informationen. Technologiekonzerne treten als neue Player auf und verändern die Art und Weise, wie durch Kommunikation Öffentlichkeit hergestellt wird. Der traditionelle Informationsjournalismus konkurriert mit einer unüberschaubaren Anzahl von digital verfügbaren Inhalten um die Aufmerksamkeit der Mediennutzer.
Neuere Studien zeigen Spuren dieses Wandels in der Schweiz. So beziffert der Digital News Report 2016 des Reuters Institutes for the Study of Journalism den Anteil der Personen, die News regelmäßig online konsumieren mit 64%. Für 33% der Schweizerinnen und Schweizer sind Newssites und Social Media-Kanäle sogar die Hauptinformationsquelle für Nachrichten. Gleichzeitig zeigen die neusten Zahlen eine tiefe Zahlungsbereitschaft für Online-News und eine starke Werbe-Aversion. Nur 11% der Schweizerinnen und Schweizer haben im letzten Jahr für Online-News bezahlt. Außerdem verwenden inzwischen 19% einen Ad-Blocker, um Onlinewerbung zu umgehen. Das auf Verkauf und Werbung ausgerichtete Finanzierungsmodell, auf dem der traditionelle Informationsjournalismus der Presse beruht, funktioniert in der neuen Medienwelt nicht mehr. Die Einnahmen im Pressebereich (Verkauf und Werbung) können in der digitalen Welt nicht kompensiert werden.
Weniger redaktionelle Ressourcen für Wirtschaftsberichterstattung
Die wachsenden Probleme, professionellen Informationsjournalismus zu finanzieren, schlagen sich in der Wirtschaftsberichterstattung nieder. Es ist ein Braindrain zu beobachten. Journalisten wechseln aus den Redaktionsstuben, die zunehmend zu Informationsdesks werden, in die Public Relations-Büros von Unternehmen und Agenturen. Jungen Talenten bieten sich in der Unternehmenskommunikation bessere Arbeitsbedingungen und höhere Saläre als im Wirtschaftsjournalismus. Infolge der schwindenden finanziellen und personellen Ressourcen greifen Medien verstärkt auf Agenturmeldungen zurück, statt Beiträge als Eigenleistungen der Wirtschaftsredaktion zu produzieren. Oder sie verwenden Native Advertising-Inhalte und schaden so ihrem Markenkern, der Trennung von Journalismus und Werbung.
Die Krise der Informationsmedien hat das Machtverhältnis zwischen Wirtschaft und Medien stark verändert. Der geschwächte Journalismus versucht sich mit Kooperationen zu helfen. Durch medienübergreifende Kooperationen sollen Synergieeffekte geschaffen werden. Rechercheverbünde machen durchaus Schlagzeilen, wenn z.B. die Panama-Papers aufgedeckt und mithilfe des modernen Datenjournalismus ausgewertet werden. Aber die Wirtschaftskompetenz in der Hausredaktion geht zunehmend verloren, so dass eine kontinuierliche und tiefgründige Wirtschaftsberichterstattung kaum noch zu leisten ist.
Kompetenter Wirtschaftsjournalismus trägt zu einer guten Corporate Reputation bei
Diese Entwicklung sollte Wirtschaft und Unternehmen nicht egal sein. Dies zeigen unsere Untersuchungen, welche den Zusammenhang zwischen der Ressourcenausstattung, der inhaltlichen Qualität eines Informationsmediums und der Wirtschaftsberichterstattung aufzeigen. Medien mit einer hohen Qualität betreiben einen hochwertigeren Wirtschaftsjournalismus. Es gilt: Medien mit hoher Medienqualität berichten ausführlicher über Wirtschaft. Sie tun dies kontinuierlich und nicht nur anlässlich von Geschäftszahlen oder Skandalen. Außerdem ist die Berichterstattung sehr diversifiziert und deckt viele Unternehmen und Branchen ab. Medien mit tiefer Qualität berichten deutlich erratischer über Unternehmen.
Die Berichterstattung befeuert zum einen Hypes, die unkritisch weitergetragen werden. Zum anderen werden bevorzugt negative Meldungen und auf Personen fokussierte Geschichten gebracht. In solchen Medien ist die mediale Unternehmensreputation sehr volatil. Für Unternehmen ist es daher schwer, in der öffentlichen Wahrnehmung einen substanziellen und nachhaltigen Reputationsaufbau zu bewirken.
Schlecht informierte Mediennutzer bewerten Unternehmen schlechter
Ein wachsender Anteil der Mediennutzer verzichtet weitgehend auf klassische Qualitätsmedien. Aus der Fülle der Medien und Inhalte werden vor allem die kostenlosen und damit die in der Regel die qualitativ schlechteren Informationsangebote herausgegriffen. Gut informierte Mediennutzer nutzen neben den traditionellen Medien auch die neuen Onlineangebote. Im reichhaltigen Angebot suchen und finden sie die Qualitätsinhalte. Die schlecht Informierten sind „News-Deprivierte“, die vor allem Einzelereignisse, Hypes und Shitstorms wahrnehmen. Die gut informierten „Intensivnutzer“ rezipieren dagegen viel stärker substantielle wirtschaftliche und politische Themen. Sie verfolgen diese Themen über einzelne Ereignisse hinaus und sind deshalb weniger anfällig für kurzfristige Hypes oder Shitstorms.
Diese Gaps in der Nutzung schlagen sich in der Wahrnehmung der Unternehmen nieder. Die „News-Deprivierten“ kennen von 10 Unternehmen, die die „Intensivnutzer“ kennen, nur 8. Und die „News-Deprivierten“ bewerten die Unternehmen, die sie kennen, im Schnitt um 15% schlechter als die „Intensivnutzer“.
Umgehung der traditionellen Informationsmedien produziert kurzfristige Erregungszustände
Die direkte Ansprache des Konsumenten kann aus der Perspektive der Unternehmenskommunikation als positive Errungenschaft der Digitalisierung verstanden werden. Doch die Umgehung der traditionellen Medien als Gatekeeper kann für Unternehmen gravierende Nachteile mit sich bringen. Mit seinen Tweets zelebriert Donald Trump das Prinzip der direkten Ansprache. Er adressiert seine Wähler und schürt dabei das Misstrauen gegenüber den traditionellen Informationsmedien. Medien, so der implizite (oder oft auch explizite) Tenor der Botschaft, sind verzichtbar. Die Reduktion der Komplexität der Welt auf 140 Zeichen hat ihren Preis. Für Unternehmen, die in den betreffenden Tweets erwähnt werden, ist der Preis bestenfalls eine erhöhte Volatilität des Aktienkurses. Im schlechten Fall sinkt der Unternehmenswert.
Für die Schweizer Pharmariesen Roche und Novartis waren beispielsweise die Tweets von Donald Trump zur Gesundheitspolitik am 7. März 2017 „a complete and total disaster“.Diese kurzfristigen Erregungszustände, die sich über Social Media fortpflanzen, schaden der Corporate Reputation langfristig. Dem Vorteil der Unternehmen, einen direkten Kontakt zu Konsumenten und sonstigen Stakeholdern zu gewinnen, steht der Nachteil gegenüber, gegebenenfalls die Kontrolle über den digitalen Schwarm zu verlieren. Und dabei nicht auf einordnende und sachlich argumentierende Informationsmedien und ihre Wirtschaftsredaktoren hoffen zu können.
Guter Wirtschaftsjournalismus schafft begründete Legitimität
Ein schwacher Wirtschaftsjournalismus birgt vor allem Gefahren für die Corporate Reputation. Die Fachkompetenz der Medien nimmt ab, die Berichterstattung wird erratischer und skandalisierender. Die Reputation wird damit volatiler. Die Unternehmenskenntnisse der Mediennutzer schwinden. Unternehmen können deshalb kein Interesse daran haben, in ein Zeitalter der postfaktischen Wirtschaftsberichterstattung einzutreten.
Guter Wirtschaftsjournalismus unterstützt die rationale wirtschaftspolitische Entscheidungsfindung. Damit kann er einen Kontrapunkt zu emotional und ideologisch argumentierenden Positionen im politischen Diskurs setzen. Die Brexit-Abstimmung in Großbritannien und die epischen Auseinandersetzungen über die Masseneinwanderungsinitiative in der Schweiz sind Beispiele für öffentliche Debatten, denen mehr wirtschaftspolitische Rationalität gut getan hätte. Guter Wirtschaftsjournalismus bietet einordnende und faktenprüfende Berichterstattung und ist damit in der Lage bei viralen Shitstorms den Faktengehalt zu überprüfen, statt eine vorhandene Schwarm-Hysterie weiter zu befeuern.
Seit der Finanzkrise wachsen die gesellschaftlichen Ansprüche an die Wirtschaft („Was bringt Wirtschaft dem Land?“). Die Kritik an den Wirtschaftseliten („Was rechtfertigt deren Salär?“) ist weit verbreitet. Guter Wirtschaftsjournalismus schafft in diesem Umfeld begründete Legitimität. Einerseits hebt er gute Unternehmens- und Managerleistungen hervor. Andererseits macht er unternehmerische Fehlleistungen transparent und deckt wirtschaftliche Fehlentwicklungen auf. Mit diesem Realitätscheck sorgt er für eine kritische Kontrolle der Unternehmen, die den soliden Unternehmen zugutekommt.
Überhaupt ist eine Corporate Reputation, die durch eine kompetente, argumentative und unabhängig-kritische Medienberichterstattung aufgebaut wird, nachhaltiger als PR-gesteuerte Kommunikation. Denn erst das unabhängige Urteil, sei es das Urteil von Journalisten oder das journalistisch vermittelte Urteil von Drittakteuren, verschafft Unternehmen Glaubwürdigkeit und eine stabile Corporate Reputation.
Schranz, Mario / Eisenegger, Mark, 2016: Organizational Crisis and the News Media. In: Andreas Schwarz, Matthew W. Seeger und Claudia Auer (Hrsg.): The Handbook of International Crisis Communication Research: John Wiley & Sons, S. 165–174.
Schneider, Jörg / Eisenegger, Mark, 2016: Wie Mediennutzer in die Welt schauen: Die Newsrepertoires der Schweizerinnen und Schweizer und ihre Themenagenden, Studien Qualität der Medien 2/2016 [PDF E-Book], Basel: Schwabe.
fög – Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (Hrsg.), 2016: Jahrbuch 2016 Qualität der Medien. Schweiz – Suisse – Svizzera, Basel: Schwabe.
fög, Reputationsmonitor Wirtschaft (http://www.foeg.uzh.ch/de/analyse/repdossier.html)
MQR-16, Medienqualitätsrating Schweiz 2016 (http://mqr-schweiz.ch/de/)
Reuters Institute, Digital News Report 2016 (http://www.digitalnewsreport.org/)
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Schlagwörter:Schweiz, Unternehmenskommunikation, Wirtschaftsjournalismus