Exklusiv, ganz exklusiv

28. September 2016 • Qualität & Ethik • von

Den Medien fehlt das Publikum. Journalisten schreiben darum nur noch für andere Journalisten.

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Den Medien fehlt das Publikum.

Wer hätte das gedacht? Kaufen ist billiger als mieten. Das belegte „eine Studie, die Sonntagsblick exklusiv vorliegt“.

Wer hätte das gedacht? Eine PR-Agentur aus Zürich machte Werbung für die AfD, „wie Spiegel-Recherchen ergaben“.

Wer hätte das gedacht? Italiens Behörden ermittelten gegen acht Schlepperringe, wie die Sonntagszeitung mit „Recherchen in Palermo, Catania und Agrigento“ belegt.

Drei Beispiele aus diesem Monat. Sie stehen für die zwei großen Zauberwörter im Journalismus der Gegenwart. Das eine Zauberwort heißt „exklusiv“. Das andere Zauberwort heißt „Recherche“.

Aus der Kombination der beiden Zauberwörter ergibt sich das Bild, das die Medien am liebsten von sich selber zeichnen. Es ist das Bild der Watergate-Romantik. Mutige Journalisten recherchieren so lange der verborgenen Wahrheit nach, bis ihre Recherchen in eine exklusive Enthüllung münden.

Nun ist das Bild nicht nur romantisch. Es ist vielmehr der Spiegel einer traurigen ökonomischen Realität. Der Presse kommt zunehmend das Publikum abhanden.

Journalisten schreiben darum heute nicht mehr für ihre Leser. Sie schreiben stattdessen für die anderen Journalisten.

Wenn etwa die Journalisten des Tages-Anzeigers eine „exklusive TA-Recherche“ anpreisen – und das tun sie rund hundertmal im Jahr – , dann ist das nur für die Journalisten, nicht aber die Leser interessant.

Den Lesern der Zeitung ist die Exklusivität egal. Sie brauchen keine marktschreierische Verpackung, weil sie ohnehin kein anderes Blatt lesen. Den Lesern aller anderen Zeitungen ist es erst recht egal, weil sie die tolle Enthüllung gar nicht mitbekommen. Praktisch niemand in Bern, Basel, Luzern und St. Gallen liest eine Zeitung aus Zürich, wie die Statistik zeigt.

Die Einzigen, die alle Zeitungen lesen, sind die Journalisten. Am nächsten Tag schreiben sie darum in ihren eigenen Blättern, was sie in den andern Blättern an Sensationen gefunden haben.

Sie schreiben dann, „wie der Tages-Anzeiger berichtet“, dass die ETH das Studienfach Rätoromanisch streichen will. Sie schreiben, „wie der Sonntagsblick berichtet“, dass Christophe Darbellay eine Geliebte schwängerte. Sie schreiben, „wie das St. Galler Tagblatt berichtet“, dass ein Fußballtrainer verhaftet wurde. Sie schreiben, „wie die Sonntagszeitung“ berichtet, dass neunzig Prozent der Flüchtlinge abtauchen.

Und manchmal zitieren auch „Tagesschau“, „10 vor 10“ oder „Mittagsjournal“ die bedeutsamen Beiträge der Blätter. Das ist dann so etwas wie die höhere Weihe, weil die elektronischen Medien bessere Publikumszahlen als die Presse vorweisen können.

Für Redaktionen ist die Erwähnung in anderen Medien eines der letzten Erfolgserlebnisse. Die Erfolgserlebnisse bei den Auflagen, in der Personalrekrutierung und bei den Einnahmen sind schon lange vorbei.

Man kann den heutigen Journalisten darum nicht übelnehmen, dass sie vor dem Computer nicht mehr an ihre Leser, sondern an ihre Journalistenkollegen denken. Die Branche wird zunehmend selbstreferenziell, weil ihr die Resonanz von außen ausgeht.

Manchmal endet das auch in ungewollter Komik. So auch bei der Zentralschweiz am Sonntag. Ihre harten Rechercheure fanden heraus, dass die Luzerner Polizei einen Werbefilm in eigener Sache dreht. Stolz vermeldete das Blatt: „Zehn Minuten dauert die Rohfassung, die unsere Zeitung exklusiv vorgeführt bekam.“

Das ist nun wirklich exklusiv.

Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 15. September 2016

Bildquelle: pixabay.com

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