Facebook-Regeln und deren Limitationen

28. August 2017 • Digitales, Qualität & Ethik • von

Die Gesellschaft erwarte sich von Plattformunternehmen mehr ethisches Engagement, sagt Kommunikationswissenschaftler Michael Litschka.

In den anhaltenden Diskussionen um Filterblasen, Echokammern, Hate-Speech und Fake-News wird oft auf die mal mehr, mal weniger wahrgenommene Verantwortung der Plattformunternehmen hingewiesen, die die infrage stehende Kommunikation ermöglichen. In meisten Fällen sehen sich diese Konzerne wie etwa Facebook und Google als Technologieunternehmen, nicht als Medienunternehmen, somit anerkennen sie auch nicht die gleichen (strengeren) Regeln, die für Letztere gelten, wenn es um veröffentlichte Kommunikation geht. Ich möchte in diesem Beitrag auf die aktuellen Standpunkte von Facebook und mögliche ethische Lücken sowie die Möglichkeiten „echter“ Ethik-Kodizes für Plattformunternehmen hinweisen.

Die normativ in diesem Zusammenhang interessierenden Regelungen legt Facebook einerseits in den „Nutzungsbedingungen“, andererseits in den „Gemeinschaftsstandards“ dar, beide recht einfach online abrufbar.

Dort heißt es unter anderem zum Thema „Sicherheit“: „Du wirst andere Nutzer weder tyrannisieren noch einschüchtern oder schikanieren. Du wirst keine Inhalte posten, die Hassreden enthalten, bedrohlich oder pornografisch sind, zu Gewalt verleiten oder Nacktdarstellungen bzw. grafische sowie sonstige Gewalt enthalten. Du wirst Facebook nicht verwenden, um irgendwelche rechtswidrigen, irreführenden, bösartigen oder diskriminierenden Handlungen durchzuführen.“

Beim Thema Hassbotschaften verspricht das Unternehmen: „Facebook entfernt sämtliche Hassbotschaften, d. h. Inhalte, die Personen aufgrund der folgenden Eigenschaften direkt angreifen: Rasse, Ethnizität, nationale Herkunft, religiöse Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Geschlecht bzw. geschlechtliche Identität oder schwere Behinderungen oder Krankheiten.“

Frage der Verantwortung

So weit, so gut. Wir könnten uns an dieser Stelle bereits fragen, ob der amerikanische Präsident noch Mitglied bei Facebook sein dürfte, wären einige seiner neueren Aussagen über Ethnien (the „Mexicans …“) oder rechtsextreme Gewalt („very fine people on both sides …“) auf der Plattform getätigt worden.

Der Punkt ist aber ein anderer, denn gleichzeitig meint Facebook: „Auch wenn wir Regeln für das Nutzerverhalten zur Verfügung stellen, kontrollieren bzw. lenken wir die Handlungen der Nutzer auf Facebook nicht und sind auch nicht für die Inhalte oder Informationen, die Nutzer auf Facebook übermitteln oder teilen, verantwortlich. Wir sind nicht verantwortlich für beleidigende, unangemessene, obszöne, unrechtmäßige oder auf sonstige Art anstößige Inhalte oder Informationen, denen du eventuell auf Facebook begegnest. Wir sind nicht für das Verhalten von Facebook-Nutzern verantwortlich, weder online noch außerhalb des Internets.“

Hier kommen wir also zum Kern der Frage der Verantwortung: Selbstredend ist die „legale“ Verantwortung einer Plattform für Handlungen und Aussagen seiner Mitglieder beschränkt, entsprechende Gesetze gibt es ja oder werden aktuell angedacht. Prinzipiell nicht beschränkbar ist jedoch die „ethische“ Verantwortung. Wären die Richtlinien von Facebook ein echter „Ethik-Kodex“, würde dies viel stärker thematisiert werden, und die öffentliche Wahrnehmung des Unternehmens wäre vermutlich eine andere. Was macht also einen wirtschafts- und medienethisch fundierten Kodex aus?

Positiver Peer-Pressure

Ein Ethik-Kodex sollte unter Partizipation aller Unternehmensmitglieder und Stakeholder entstanden sein und zwar nicht jedes denkbare Verhalten der Personen vornormieren, aber doch ein steuerbares Muster von Diskussionen und Entscheidungswegen vorzeigen. Das sogenannte „Integrity“-Modell eines Kodex stützt ethisches Verhalten durch Sensibilisierung für Werte und Vermitteln einer Diskurskultur. Am Ende soll die Selbststeuerung der Mitarbeiter und Mitglieder stehen und den Einzelnen vor permanenter Handlungsunsicherheit schützen. Er ermöglicht positiven Peer-Pressure und schränkt die Unternehmensmacht bei ethischem Fehlverhalten ein.

Im optimalen Fall trifft er auch Aussagen zur Aufgabenverteilung von Unternehmen und Gesellschaft, was in ethischen Fragen ja immer wichtiger wird. Bei Problemen technologiegestützter Kommunikation sind es ja oft die Unternehmen selbst, die besser als der Staat (aber oft auch als der Markt) wissen, welche neuen ethischen Probleme auftauchen und wie man ihnen begegnen kann. Ein guter Ethik- oder Branchen-Kodex soll ja sogar verhindern, dass der Staat regulierend in die Geschäftstätigkeit der Unternehmen eingreifen muss.

Mehr ethisches Engagement gefordert

Es versteht sich von selbst, dass ein solches Konstrukt nicht nur von Juristen, sondern auch von ethisch geschulten Personen entwickelt und begleitet werden sollte und dass das hier Verlangte weit über das hinausgeht, was Facebook uns als Regelwerk anbietet.

Das beginnt schon bei den nicht genannten philosophischen Grundlagen, die dem Text zugrunde liegen: Wurde diskursiv (etwa im Sinne der Diskursethik) gearbeitet? Sind (eher im angloamerikanischen Raum verbreitete) utilitaristische oder (vor allem im europäischen Raum eher verwendete) deontologische Aspekte im Vordergrund gewesen? Welche Standpunkte zum Thema Fairness, Gerechtigkeit oder Transparenz vertritt man?

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die beschriebenen Regeln sind bestimmt nicht falsch, aber die Gesellschaft erwartet sich von Plattformunternehmen mehr ethisches Engagement, das freilich nicht immer die gleiche Verbindlichkeit haben wird. Im Sinne Kants kann man hier auch von „unnachlasslichen“ Pflichten sprechen, also solchen, die zum Beispiel den fairen Umgang mit allen Stakeholdern beschreiben und vor allem auch das, was alles “nicht” erlaubt sein soll; die „verdienstlichen“ Pflichten wiederum sollen den vertrauensvollen Umgang mit den von der Gesellschaft bereitgestellten Ressourcen umfassen, also was zur demokratischen Gesellschaftsordnung mit der zur Verfügung gestellten Unternehmensfreiheit beigetragen wird.

Es geht also, wie in der integrativen Wirtschaftsethik Peter Ulrichs beschrieben, um eine „Geschäftsethik“ (wie wollen wir Gewinne erzielen) und eine ordnungspolitische Mitverantwortung (wie können wir branchenübergreifende Standards schaffen, damit sich Unternehmen nicht durch unethische Handlungsweisen übervorteilen können). Beide Arten von Pflichten werden von Facebook adressiert: Erstere zum Beispiel in den Gemeinschaftsstandards, Letztere in diversen Mission-Statements. Bei beiden würden wir uns aber theoretisch fundiertere und den neuen technologischen Kommunikationsmöglichkeiten besser angepasste ethische Argumentationen wünschen.

Erstveröffentlichung: derstandard.at vom 21. August 2017

Bildquelle: pixabay.com

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