Journalismus und Aktivismus – eine zukunftsträchtige Kooperation?

2. August 2022 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

Journalist:innen haben eine enorme Reichweite und Macht, wenn es um die Verbreitung von Informationen geht. Dabei spielen digitale Formate eine immer größere Rolle, was dazu führt, dass neben dem klassischen Journalismus der digitale Aktivismus einen immer größeren Teil der Online-Berichterstattung ausmacht. Wie Journalismus und Aktivismus voneinander zu trennen sind und wie sich diese Bereiche in den letzten Jahren angenähert haben, wurde beim diesjährigen DW Global Media Forum Ende Juni in Bonn diskutiert.

Unter dem Titel „‘Neuer Journalismus‘ und ‘digitaler Aktivismus‘ – Säulen, Partner und Konkurrenten in einer digitalisierten Öffentlichkeit?“ diskutierten Anna Biselli, Chefredakteurin von netzpolitik.org, und Prof. Dr. Christoph Bieber, Forschungsprofessor und Leiter am Center for Advanced Internet Studies (CAIS). Die Aussagen von Herrn Bieber sind in einem an das Global Media Forum anschließenden Interview entstanden.

Moderiert wurde das Panel von Wilfried Runde, Leiter der Innovationsprojekte bei der Deutschen Welle.

Die Nähe des Journalismus zum Aktivismus

„Mir scheint, hier handelt es sich um zwei Begriffe bzw. Konzepte, die sich in den letzten Jahren und unter den Bedingungen der Digitalisierung angenähert haben und sich inzwischen vielleicht stärker ergänzen als einander gegenüberstehen“, so Bieber auf die Frage, ob der Journalismus und der Aktivismus klar voneinander zu trennen seien. Eine generelle Trennung der beiden Begriffe sei falsch, aber trotzdem müssen Grenzen gezogen werden, damit der Journalismus und der Aktivismus nicht miteinander verschwimmen. Biselli ist der gleichen Meinung: In beiden Fällen werde auf Themen aufmerksam gemacht und darüber berichtet, basierend auf Fakten und einer (ausgewogenen) Recherche. Doch müsse im Journalismus auch die Gegenseite beleuchtet und mit eingebracht werden, um so objektiv wie möglich zu bleiben und die informierende Funktion der Medien nicht zu verfehlen.

Prof. Dr. Christoph Bieber beim Global Media Forum 2022 in Bonn.
Foto: Philipp Böll/DW

Ein zentraler Punkt in der Unterscheidung von Journalismus und Aktivismus ist für Bieber der Kontext der Veröffentlichung und welche Akteure im Vordergrund stehen. Als Beispiel stellt er den Watergate-Skandal und die WikiLeaks gegenüber, welche aufgrund verschiedener Akteure im Fall Watergate dem „Journalismus“ und im Fall der WikiLeaks-Enthüllungen dem „Aktivismus“ zugeordnet werden. Aktivismus in dem Fall definiert sich über das politische Handeln von einzelnen Personen oder Organisationen. Aufgrund der Tatsache, dass Journalismus der Objektivität verpflichtet ist, kommt es hier zu einem Konflikt und der Frage, wann Journalismus zu aktivistisch wird. Durch die sozialen Medien gibt es eine neue Möglichkeit Aktivismus auszuleben und gleichzeitig viele Menschen zu erreichen, was als digitaler Aktivismus bezeichnet wird.
„Journalismus und Aktivismus blicken bereits auf eine lange ‚gemeinsame‘ Geschichte zurück – zwar ordnen wir den Watergate-Skandal aus den 1970er Jahren beständig in den Bereich des Journalismus ein, aber sind die Unterschiede zu Wikileaks vierzig Jahre später wirklich so eindeutig?“, fragt Bieber. „In beiden Fällen haben Whistleblower umstrittene, gefährliche Informationen zugänglich gemacht und Journalisten die ‚Erzählung‘ der jeweiligen Hintergründe und Zusammenhänge übernommen.“

Laut des Artikels „Zwischen Transparenz, Informationskontrolle und politischer Kampagne: WikiLeaks und die Rolle des Leaks-Journalismus“, der 2017 von der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlicht wurde, sind Whistleblower und Leaks-Plattformen zu „einem zentralen Bestandteil der Medienlandschaft“ geworden. Insbesondere die Auswirkungen der WikiLeaks, so schreibt Autor Arne Hintz, seien im Mediensektor zu erkennen. Dies habe unter anderem die Entwicklung der Software-Plattform GlobaLeaks (der erste Prototyp ist 2011 entstanden) zu Folge, welche weltweit von Whistleblower-Initiativen eingesetzt wird. Darüber werden Daten gesammelt und ausgewertet, um Skandale aufzudecken. Jedoch bleibe die Frage, ob die Erfolge solcher Leaks als momentane Skandale gesehen werden oder ob diese „zu konkreten rechtlichen Ermittlungen und neuen regulativen Rahmenbedingungen führen“, so Hintz in seinem Artikel. Die Nähe vom Journalismus zum Aktivismus sei auch an der Arbeitsweise klassischer Medienhäuser zu erkennen, da laut Hintz „die New York Times, der Guardian und Al-Jazeera“ digitale Postfächer anbieten, über welche Dateien anonym an die Journalist:innen weitergeleitet werden können.

Die Trennung von Journalismus und Aktivismus

Anna Biselli beim Global Meda Forum 2022 in Bonn.
Foto: Philipp Böll/DW

Während der Diskussion beim Global Media Forum betont Biselli, dass Journalismus und Aktivismus sich nicht widersprechen müssten, ganz im Gegenteil. Journalistische Grundsätze und das Verfolgen einer klaren Haltung könnten sich ergänzen und müssten nicht gegenübergestellt werden. „Wir halten uns an journalistische Prinzipien, aber mit klarem Standpunkt“, sagt Anna Biselli über die Arbeit bei der Nachrichtenwebseite zu digitalen Freiheitsrechten netzpolitik.org. Der Kontext spiele aber auch hier eine zentrale Rolle. Akteure stünden bei „den jeweils zum Einsatz kommenden ‚Praktiken‘ bei der Erhebung, Verarbeitung, Auswertung und Weiterverbreitung digitaler Daten“ besser da, so Bieber, auf der anderen Seite „haben ausgebildete Journalist:innen sicher Vorteile, wenn es darum geht, aus vorhandenen Daten und Materialien gute und für ein breites Publikum zugängliche Geschichten zu entwickeln“.

Wichtig sei hierbei, dass jeder in seinem Bereich bleibt und dort seine jeweiligen Stärken ausnutzt. Diese Kooperation zwischen klassisch-journalistischen und digital-aktivistischen Akteuren wird es laut Bieber wahrscheinlich immer häufiger geben – eine Kooperation, welche mit Blick auf die Aufgabenverteilung durchaus sinnvoll erscheine. Der Umgang mit digitalen Daten, Algorithmen und Online-Plattformen falle in den Bereich des Aktivismus und die journalistische Qualitätssicherung, das Storytelling und die Dialogformate in den Bereich des Journalismus, erläutert Bieber.

Kommt der Journalismus ohne den Aktivismus aus?

„Journalismus ist sicher auch ohne ‚aktivistische Unterstützung‘ möglich – sofern eine ausreichende Finanzierung vorhanden ist und Medienunternehmen über ausreichend geschultes Personal verfügen“, so Bieber, „gute, breit angelegte Ausbildungsmöglichkeiten sind hier wichtig und auch Möglichkeiten für eine Finanzierung journalistischer Angebote jenseits des Marktes als ‘public service media‘.“ Aufgrund der finanziellen Lage vieler Medienhäuser biete sich eine Kooperation von Journalismus und Aktivismus an. Sich vom Aktivismus zu trennen und auf eigene Recherchen, Daten und Informationen zurückzugreifen, würde folglich nicht nur Zeit beanspruchen, um ausreichend geschultes Personal zu bekommen, sondern auch finanziell eine Hürde darstellen. Wie viel Aktivismus im Journalismus wichtig ist, ist laut Bieber „fallabhängig und pauschal nicht zu beantworten“. Je nach Brisanz des Themas sei die Recherche unterschiedlich schwierig und komme dementsprechend auch ohne aktivistische Unterstützung aus, was aber nicht immer der Fall sei.

Journalismus und Aktivismus – eine zukunftsträchtige Kooperation?

Das Zusammenspiel von klassischem Journalismus und digitalem Aktivismus sei laut Bieber gerade im Kommen: ein Zusammenspiel von digitalen Daten, investigativen Recherchen und Algorithmen sowie der journalistischen Qualitätssicherung, dem Storytelling und der Dialogformate. Besonders bei Fremdinformationen und großen Datenmengen bleibe der Aspekt des Fact-Checkings unabdingbar, um weiterhin die Wahrheit widerzuspiegeln und objektiv und transparent zu berichten. Viel Arbeit, die aber im Zusammenspiel Enthüllungen, wie die bereits genannten Wikileaks, zur Folge haben können, so Bieber. Weiter führt er aus, seien die Sichtweisen über das Zusammenspiel beider Bereiche sehr unterschiedlich und werden teilweise von den zu berichtenden Themen abhängig gemacht.

Menschenrechte und allgemeine Werte und Normen seien mit aktivistischer Unterstützung durchaus zu begrüßen, sagte DW-Intendant Peter Limbourg in einer weiteren Debatte im Rahmen des Global Media Forum. Im Vordergrund stünden weiterhin die Objektivität und die faktenbasierte Berichterstattung, um journalistisch zu bleiben. Dies könne den Aktivismus ausschließen, müsse es aber nicht. Es bleibt ein schmaler Grat zwischen Journalismus und Aktivismus.

Literatur:

Hintz, A. (2017). Zwischen Transparenz, Informationskontrolle und politischer Kampagne: WikiLeaks und die Rolle des Leaks-Journalismus. Bundeszentrale für politische Bildung. https://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/medienkompetenz-schriftenreihe/257599/zwischen-transparenz-informationskontrolle-und-politischer-kampagne-wikileaks-und-die-rolle-des-leaks-journalismus/

Beitragsbild: Pixabay

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Seminars „Pressefreiheit und Medienpluralismus“ am Institut für Journalistik der TU Dortmund unter Leitung von Tina Bettels-Schwabbauer, das mit einer Exkursion zum DW Global Media Forum verknüpft war.

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