Kein Ausweg aus der Echokammer?

8. November 2018 • Qualität & Ethik • von

Wenn Nutzerinnen und Nutzer auf Facebook journalistischen Nachrichten aufgrund von Empfehlungen ihrer Freunde begegnen, welche wählen sie dann aus? Es sind vor allem Nachrichten, die von engen Freunden mit hohem Wissen und ähnlichen politischen Einstellungen geteilt werden – auch wenn die Medienmarke als Auswahlkriterium wichtig bleibt.

Facebook steht wie keine andere Plattform derzeit im Verdacht, die politische Polarisierung in der Gesellschaft zu befeuern, einerseits durch den Newsfeed-Algorithmus, der den politischen Einstellungen des Nutzers entsprechende Beiträge bevorzugt (die „Filterblase“), andererseits dadurch, dass sich die Nutzer dort selbst vorzugsweise Nachrichten und Medien mit ähnlichen Einstellungen für ihren Newsfeed aussuchen (die „Echokammer“).

Jenseits der Filterblasen und Echokammern gibt es aber noch einen anderen Weg, wie Beiträge von Nachrichtenmedien in den Newsfeed eines Nutzers gelangen können: über Nachrichtenempfehlungen aus dem Freundesnetzwerk. Diese könnten eine Chance sein, dass Nutzer unbeabsichtigt auch mit Nachrichten in Kontakt kommen, die ihre Echokammern durchbrechen. Denn wenn journalistische Beiträge von Nutzern auf Facebook geteilt werden, gelangen sie – zumindest so der Facebook-Algorithmus mitspielt – auch zu Personen, die von sich aus keinen Kontakt zu dem Medium haben. Länderübergreifende Befunde legen nahe, dass ca. ein Viertel der Nutzerinnen und Nutzer auf Facebook mit Nachrichten in Kontakt kommen, die sie nicht aktiv aufgesucht haben. Weitestgehend unklar ist aber, wie Nutzer mit diesen „zufälligen“ oder „unbeabsichtigten“ Begegnungen mit Nachrichtenbeiträgen umgehen und ob diese dann auch tatsächlich dazu führen, dass die von Freunden empfohlenen Nachrichtenbeiträge gelesen werden.

Auswahl von geteilten Nachrichten verstärkt Echokammern

Eine Studie der Universitäten Zürich und Hamburg hat sich dieser Frage angenommen. Sie hat untersucht, welche Merkmale der Person, die einen Medienbeitrag mit dem Nutzer teilt, es wahrscheinlicher machen, dass der empfohlene Nachrichtenbeitrag auch gelesen wird. Aus forschungsethischen Gründen fand die Untersuchung nicht auf Facebook statt, sondern mittels eines Experiments, das die typische Facebook-Nutzung nachempfand und für das das Einverständnis zur Teilnahme zuvor eingeholt wurde (N = 507, repräsentativ für die FB-Nutzerinnen und -Nutzer Deutschlands). Die Nachrichtenauswahl wurde anhand fünf verschiedener politischer Artikel überprüft und dabei jeweils verändert, welche Merkmale die empfehlende Person hatte. Dieses Vorgehen erlaubte es, themenübergreifende Auswahlentscheidungen der Nutzer zu erfassen.

Drei Merkmale standen im Vordergrund: 1) Die persönliche Beziehung zwischen Nutzer und Empfehlendem (eng vs. distanziert), 2) ob der Nutzer das Wissen der empfehlenden Person als hoch oder niedrig einschätzte und 3) die politische Ähnlichkeit zwischen dem Nutzer und der Person (hoch vs. gering). Dabei zeigte sich, dass geteilte Nachrichten signifikant häufiger für die Nutzung in Betracht gezogen werden, wenn diese von einer nahestehenden als von einer entfernt bekannten Person geteilt wurden. Damit werden Echokammern wahrscheinlicher, denn entfernte Kontakte verfügen zwar über vielfältigere Informationen als der enge Freundeskreis, deren Empfehlungen wird aber weniger gefolgt als den von nahestehenden Personen.

Außerdem wird signifikant eher Empfehlungen gefolgt, wenn der Nutzer davon ausgeht, dass die empfehlende Person über viel Wissen verfügt, und zwar insbesondere, wenn die Person auch ähnliche politische Ansichten hat. Dies spricht dafür, dass sich Nutzer nicht einfach nur in ihrer politischen Echokammer einrichten, sondern dabei auch vor allem Nachrichten lesen, die besonders nützlich für die Bestärkung der eigenen Meinung sind, weil sie von einer Person ausgewählt wurden, die sich sehr gut auskennt. Langfristig könnte sie das z.B. immuner gegenüber Argumenten der politischen Gegenseite machen, was der Polarisierung in westlichen Demokratien womöglich weiter Vorschub leistet.

Die Medienquelle bleibt relevant für die Auswahl

Für die Nachrichtenauswahl der Facebook-Nutzer spielt aber darüber hinaus eine Rolle, von welchem Medium die empfohlenen Nachrichten stammen. Gerade für etablierte Nachrichtenmedien stellen Nachrichtenempfehlungen einerseits eine große Chance dar, denn auf diese Weise können ihre Beiträge auf Facebook eine höhere Reichweite erzielen und womöglich neue Nutzer gewinnen. Andererseits besteht die Gefahr, dass die Nutzer sich davon ablenken lassen, welcher der eigenen Freunde den Beitrag empfiehlt, so dass sie der Medienquelle weniger Aufmerksamkeit bei der Nachrichtenauswahl schenken. Langfristig könnte dies zur Folge haben, dass die wahrgenommene Bekanntheit und Glaubwürdigkeit etablierter Medien für die Nutzer bei der Auswahl keine Rolle mehr spielen. Deshalb hat die Studie auch untersucht, ob die Medienquelle geteilter Nachrichten noch von Bedeutung für die Nachrichtenauswahl ist oder von den Merkmalen der empfehlenden Person überlagert wird.

Drei Medientypen wurden als Nachrichtenquelle verwendet, die sich im Hinblick auf ihre Glaubwürdigkeit und Bekanntheit unterscheiden. Bekannte Qualitätszeitungen, bekannte Boulevardmedien und unbekannte Online-Zeitungen. Jedoch: Nur die Hälfte der teilnehmenden Facebook-Nutzer konnten sich an die Medienquelle des Nachrichtenbeitrags korrekt erinnern. Dies dürfte daran liegen, dass sie von der Unmenge an Informationen auf Facebook abgelenkt werden. Dennoch zeigte sich, dass die Medienquelle ein relevantes Auswahlkriterium für die Nutzer darstellte – selbst wenn sie sich an diese nicht erinnern konnten. Der identische Nachrichtenbeitrag führte zu einer signifikant höheren Lesebereitschaft, wenn eine etablierte Qualitätszeitung als Quelle erkennbar war als bei einer Boulevardzeitung als Quelle. Dies spricht für eine gewisse Qualitätsorientierung der Facebook-Nutzer – zumindest wenn es um politische Nachrichten geht. War bei demselben Nachrichtenbeitrag eine unbekannte Online-Zeitung als Quelle angegeben, so wurde dieser eher ausgewählt als bei einer Boulevardzeitung als Quelle, wenn auch nicht so häufig wie derselbe Beitrag mit einer Qualitätszeitung als Quelle. Unbekannte Quellen scheinen bei den Facebook-Nutzern einen gewissen „benefit of the doubt“ zu genießen, was zwar gut für die Vielfalt der genutzten Quellen ist, aber gleichzeitig auch ein Einfallstor für die Verbreitung von Nachrichten unseriöser Medien sein könnte.

Das beschriebene Auswahlmuster bleibt auch gleich, wenn man die Merkmale der Person mitberücksichtigt, die den Beitrag empfohlen hat. Teilt also eine Person mit hohem Themenwissen und einer politisch ähnlichen Einstellung einen Beitrag, ist der Nutzer weiterhin eher bereit diesen zu lesen, wenn er von einer Qualitätszeitung stammt als von einem Boulevardblatt. Damit ist die Medienquelle auch auf Facebook (noch) ein relevantes Auswahlkriterium der Nutzer. Trotzdem darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch nicht beabsichtigte Kontakte durch geteilte Nachrichtenbeiträge vom Nutzer gerne dafür verwendet werden, es sich in der eigenen Echokammer gemütlich einzurichten und eher Empfehlungen von Facebook-Kontakten zu folgen, die ihnen persönlich und politisch nahestehen. Solange die Nutzer darüber hinaus aus eigenem Antrieb unterschiedliche Nachrichtenquellen nutzen, ist dies nicht weiter problematisch. Aber für die Teile der Bevölkerung, die von sich aus nur politisch einseitige (oder gar überhaupt keine) Nachrichtenmedien nutzen, stellen Nachrichtenempfehlungen in sozialen Netzwerken diesen Ergebnissen zufolge eben gerade keinen Ausweg aus der Echokammer dar.

Kaiser, J., Keller, T. R., & Kleinen-von Königslöw, K. (2018). Incidental news exposure on Facebook as a social experience: The influence of recommender and media cues on news selection. Communication Research (online first), 1-23, https://doi.org/10.1177/0093650218803529

 

Bildquelle: pixabay.de

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