Schubsen am Futtertrog

17. September 2018 • Qualität & Ethik • von

Beim „Nudging“ geht es darum, Verhaltensweisen so „anzustupsen“, dass der Betroffene es möglichst nicht merkt. 

Anton Hunger, der langjährige Kommunikationschef von Porsche, bringt es auf den Punkt: Selbst die zahlreicher werdenden Investigativ-Ressorts der Medien hängen am „Futtertrog für den Journalismus“. Ihre Recherchen werden hinter den Kulissen oftmals von cleveren „Kommunikationsmanagern“ (neudeutsch), sprich: von Öffentlichkeitsarbeitern ferngesteuert. Und wenn es ein Berichterstattungsfeld gibt, wo sich Profi-Journalisten gerne bedeckt halten und sich fast schon den mafiösen Gesetzen der Omertà verpflichtet fühlen, dann ist es die Berichterstattung über PR und die Beziehungen der Journalisten zu ihr: Sie „findet selbst in den aufklärungsbemühten Medien weitgehend nicht statt“, resümiert Hunger in seinem Band, das seine Kolumnen aus dem „medium magazin“ zur Beziehungskiste zwischen der Journaille und ihren Einflüsterern zusammenführt.

Er gibt so den Anstoß, noch etwas intensiver über das nachzudenken, was die Verhaltensökonomen Richard Thaler und Cass Sunstein als Nudging bezeichnet haben: Es geht darum, Verhaltensweisen so „anzustupsen“, dass der Betroffene es möglichst gar nicht merkt. Dass genau das tagtäglich und mannigfach im Journalismus geschieht, wollen Journalisten nicht so recht wahrhaben, hat bereits vor geraumer Zeit ein Forscherteam um Thomas Koch (damals noch Universität München, heute Universität Mainz) herausgefunden.

Intensiver mit Nudging beschäftigt sich Dirk Helbing (ETH Zürich). Auch ihn fasziniert der Vorschlag, mit solchen kleinen Schubsern Gesundheit, Wohlfahrt und Glücksgefühle der Menschen positiv zu beeinflussen. Das klassische Beispiel ist das Selbstbedienungsrestaurant: Werden dort gesunde Nahrungsmittel ganz vorne positioniert, lädt der hungrige Kunde sie sich aufs Tablett und verzichtet dann weiter hinten auf die überzuckerte Süßspeise. Man nennt diese Form der Verhaltenssteuerung auch „liberalen Paternalismus“ – „liberal“, weil ja letztlich jeder selbst entscheidet, was er isst, und „paternalistisch“, weil eine unsichtbare benevolente „Vaterfigur“ durch die Anordnung des Speisenangebots vorentscheidet, was gefuttert werden soll.

Genau nach diesem Prinzip funktionieren seit mehr als einem Jahrhundert Journalismus und PR – und das macht es zu einer spannenden Herausforderung, Erkenntnisse der Nudging-Forschung auf Redaktionsarbeit anzuwenden. Da sind wir allerdings erst ganz am Anfang. Helbing jedenfalls hat sich bisher nicht gezielt mit Journalismus befasst, macht aber darauf aufmerksam, dass die Formel vom „liberalen Paternalismus“ ein Etikettenschwindel ist. Es ist ja in der Tat keineswegs garantiert, dass  die Verhaltenssteuerung von außen immer wohlwollend erfolgt, um unseren inneren Schweinehund zu besiegen. Helbing jedenfalls ist überzeugt, dass sich in Zeiten von Big Data aus gelegentlichen noblen Schubsern längst subtile Methoden alltäglicher Verhaltensmanipulation entwickelt haben: Wir werden Tag für Tag „genudged“ – und zwar mit personalisierter  Information und Desinformation, die in der digitalisierten Welt ganz speziell auf jeden von uns zugeschnitten ist, unter Nutzung personalisierter Daten, die bislang meist ohne unser Wissen und ohne Zustimmung von uns gesammelt wurden.

Helbing spricht von Massenüberwachung und „big nudging“ in Kombination mit „big personal data“, was gewiss absichtsvoll an Orwells „Big brother is watching you“ erinnern soll. Nicht nur er sieht durch diese Praktiken „unsere Demokratie, unsere Selbstkontrolle und unsere menschliche Würde unterminiert“. Der aufklärerische, investigative Journalismus hätte genau hier seine Bewährungsprobe zu bestehen. Zu befürchten ist allerdings, dass auch er weit mehr „genudged“ wird, als uns lieb sein kann. Die Redaktionen sind abhängig vom „Spoonfeeding“ der Konzern- und Politstrategen. Diese konkurrieren zwar auch gegenseitig um mediale Aufmerksamkeit. Für Normalmenschen wirken sie indes unsichtbar im Hintergrund, füttern Journalisten löffelweise aus dem Futtertrog mit Nachrichten und beeinflussen so unser aller Wissen und Entscheidungen tagtäglich neu. „Der Bedeutungsverlust des Journalismus, vielmehr der Verlust der Deutungshoheit, führt offensichtlich dazu, dass Medien kein gesteigertes Interesse daran haben, die Rolle der PR für das Nachrichtengeschäft wahrhaftig darzustellen“, fasst Anton Hunger zusammen. Das war freilich auch früher nicht anders. Solange das so ist und bleibt, laufen nicht nur wir Mediennutzer Gefahr, manipuliert zu werden. Auch die Journalisten selbst werden gestupst und herumgeschubst.

Lesetipps:

Dirk Helbing: Nudging – the Tool of Choice to Steer Consumer Behavior? Or What? www.researchgate.net/publication/324605693_Nudgingthe_Tool_of_Choice_to_Steer_Consumer_Behavior_Or_What

Anton Hunger: Der Futtertrog für den Journalismus, Edition Oberauer: Salzburg 2018 

Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist 8-9/2018

Bildquelle: pixabay.com

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