Eine Studie der Open Society Foundation for Albania (OSFA) gibt Einblicke in den Diskurs zwischen den beiden wichtigsten albanischen Politikern und in die Berichterstattung der fünf größten albanischen Zeitungen über kontroverse Themen wie Frauen, Religion und Minderheiten in Albanien.
In der Studie analysieren die Forscher der OSFA einerseits die Äußerungen der beiden wichtigsten Politiker – Premierminister Sali Berisha (Demokratische Partei) und Edi Rama (Vorsitzender der Sozialistischen Partei und damit Oppositionsführer) – übereinander und andererseits die Berichterstattung der fünf größten Zeitungen im Land – Panorama, Shekulli, Gazeta Shqip, Mapo und Gazeta Shqiptare.
Die Forschungsfragen lauteten: Wie reden Sali Berisha und Edi Rama übereinander in Bezug auf ihre Persönlichkeit, politische Bilanz und Ideologie? In welchem Ausmaß entsprechen die Äußerungen der Politiker und die Berichterstattung der Zeitungen ihren jeweiligen Ideologien (links und rechts)? Wie werden Frauen, Religion, Minderheiten, Institutionen und die Annäherung an die EU von den Politikern und Zeitungen thematisiert? Als Beobachtungszeitraum wählten die Wissenschaftler jeweils drei Monate vor und nach den Wahlen von 2009 und 2011 (in Albanien wird alle zwei Jahre gewählt). In diesen Phasen untersuchten sie alle fünf Tage je ein Exemplar der fünf genannten Zeitungen.
Um herauszufinden, wie die beiden Politiker öffentlich übereinander sprechen, untersuchte die Arbeitsgruppe der OSFA alle Pressemitteilungen der beiden Parteibüros aus dem Erhebungszeitraum. Die Analyse umfasste damit 246 Reden des Oppositionsführers Rama und 547 Reden des Premierministers Berisha, wobei jeweils mit Hilfe eines Computerprogramms dieselbe Wortanzahl untersucht wurde, um die unterschiedliche Redenzahl auszugleichen. Sie wurden auf Äußerungen in drei unterschiedlichen Kategorien untersucht: Charakter, politische Leistungen und Kontakte zu Institutionen und Wirtschaftsakteuren o.ä. Keiner der beiden beschrieb sein Gegenüber mit positiven Begriffen, stellten die Wissenschaftler fest.
Die Anzahl der negativen Äußerungen des linken Sozialisten-Führers gegenüber dem derzeitigen Premierminister (und Führer der Demokratischen Partei) stieg zwischen 2009 und 2011 an. Die Kritik an der Leistung des politischen Gegners machte aber insgesamt nur rund 50 Prozent der Kritik aus. Die restliche Kritik zielte auf unterstellte Charakterschwächen ab oder assoziierte das Gegenüber mit negativen Konnotationen. Die Zahl der negativen Äußerungen erreichte ihren Höchststand direkt vor und nach den Wahlen. „Generell beschrieben sich die Gegner immer dämonisierend, also nicht als Gegenüber, sondern als Feinde“, sagt Projektleiterin Adela Halo, Programmleiterin für Good Governance and EU-Integration bei der Open Society Foundation for Albania (OSFA). „Es ist wahrscheinlich, dass diese Diskurshaltung auch die Gesellschaft stark polarisiert.“
Um die ideologische Ausrichtung der Politiker sowie der verschiedenen Zeitungen zu analysieren, griffen die Forscher auf das Codebuch von Laver und Garry aus dem Jahr 2000 zurück, die typisch rechtes und linkes Vokabular nach Kategorien wie Institutionen, Recht und Ordnung, Umwelt, Sozioökonomie und Werte sortierten. Die Studie ergab, dass – mit Ausnahme der Kategorie Umwelt und bis zu einem gewissen Grad auch Institutionen –, der rechte Wortschatz den Diskurs sowohl der Politiker als auch der Zeitungen dominiert. Dies lässt nicht notwendigerweise stets auf eine rechte Haltung schließen: Rechtes Vokabular kann teils auch verwendet werden, um rechte Äußerungen zu kritisieren. Insgesamt deutet dies auf eine Gesprächskultur hin, in der mehr kritisiert wird als dass Alternativen genannt werden.
Die Studie liefert keine Interpretationen dafür, was es für die Gesellschaft bedeutet, dass selbst der sozialistische Politiker und die Zeitungen nur sehr wenig linkes Vokabular verwenden. Dazu wären weitergehende Untersuchungen nötig. Doch Adela Halo schätzt die Lage so ein: „Es gab bis 2011 keine politische Meinungsvielfalt.“ Erst im diesjährigen Wahlkampf würden sich die Sozialisten um Edi Rama trauen, mit offensichtlich linken Forderungen anzutreten, etwa nach einem gestaffelten Steuersystem, das reichere Bürger stärker belastet als ärmere. „Bisher gab es dagegen wenig Auswahlmöglichkeiten für die Bevölkerung“, sagt die Politikwissenschaftlerin. Sie sieht damit auch die Chance für die Gesellschaft beschränkt, sich fortzuentwickeln. So sei etwa im Bereich Justiz keinerlei linke Rhetorik zu finden. „Aber wissen wir, ob Straftäter nicht durch weniger striktes Durchgreifen und mehr soziale Arbeit viel besser wieder auf den richtigen Weg gebracht werden könnten?“, fragt Halo. Davon würde auch die gesamte Gesellschaft profitieren, nicht zuletzt durch sinkende Haftkosten. Ein Diskurs, der das anstoßen könnte, fehlt gänzlich.
Die Gründe für die fehlende linke Rhetorik sieht die Forscherin in der sozialistischen Vergangenheit des Landes. „In Albanien herrschte ein sehr hartes kommunistisches Regime, jeglicher Diskurs, der daran erinnern könnte, wurde nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vermieden, um keine Abwehrreaktionen der Bevölkerung zu erzeugen“, sagt Halo. Nach der Wende habe sich so zunehmend ein neoliberaler Wortschatz durchgesetzt; es sei darum gegangen, das Land wirtschaftlich aufzubauen.
Die Studie ermöglicht darüber hinaus wichtige Schlüsse zu politischen Diskursen über Frauen, Religion und Minderheiten in Albanien. Währen die Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen zwischen 2009 und 2011 anstieg, waren beleidigende Äußerungen gegen Minderheiten in der Berichterstattung 2011 kaum mehr zu beobachten. „Ein Lichtblick in einem insgesamt eher negativ konnotierten politischen Diskurs“, meint Halo. Themen wie politische Repräsentation von Frauen wurden mehr vom sozialistischen Parteichef diskutiert. Der Anführer der rechten Demokraten sprach mehr über Religion und Minderheiten. Im Gegensatz zu den Politikern diskutierte keine Zeitung die Frage politischer Repräsentation von Frauen in einem ähnlichen Ausmaß wie sonstige Fragen der Gleichstellung.
„Wenn das Thema aufkommt, dann meist auf Druck der EU oder anderer internationaler Institutionen“, erklärt Adela Halo. Die Rolle, die Frauen auch in der öffentlichen Berichterstattung zugedacht werde, sei nach wie vor die der Hausfrau, die politische und wirtschaftliche Herausforderungen nicht genauso gut stemmen könne, wie ein Mann. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass trotz einer gesetzlichen Quote von 30 Prozent Frauen auf den Wahllisten der Parteien nur 16 Prozent der albanischen Parlamentarier weiblich sind. Zwei der wenigen Ausnahmen sind die Ministerin für Europäische Integration und die Sprecherin des Parlaments. Die Strafen für Parteien, die gegen die Regelung verstoßen, sind sehr milde, weshalb diese sie gern in Kauf nehmen statt Frauen zu integrieren. „Albanien ist eine sehr patriarchalische Gesellschaft“, sagt Halo.
Im Gegensatz zur Gleichstellung schienen die EU und Europa insgesamt in allen Diskursen von Politikern und Zeitungen hohe Priorität zu haben. Doch während die EU generell häufig thematisiert wurde, waren die für eine Integration in die EU notwendigen Reformen nur sehr selten Thema. Eine Ausnahme bilden hier nur Wahlrechts- und Justizreformen.
Auch Diskurse über Institutionen war Teil der Analyse der OSFA. Kritik an der Integrität von Institutionen wurde in allen Zeitungen sowie vom sozialistischen Oppositionsführer Rama im zweiten Berichterstattungszeitraum vermehrt geübt, parallel wurde häufiger herausfordernde oder bedrohliche Sprache verwendet. Beim demokratischen Regierungschef Berisha war dieser Anstieg nur in der Kategorie Drohungen messbar. Es ist sehr bezeichnend, dass Rama und Berisha entweder selbst Institutionen angreifen oder sich dies gegenseitig vorwerfen. „Wenn es jedoch darum geht, Alternativen zum bisherigen, stark korrupten System vorzuschlagen, kommen von keiner der Parteien nennenswerte Ideen“, sagt die Forscherin. Es gebe kaum Aussichten, die korrupten Zustände zu verbessern. „Das Thema ist extrem aufgeheizt, auch innerhalb der Gesellschaft, doch gleichzeitig bleibt es ein großes Fragezeichen, wie sich daran etwas ändern soll“, so Halo.
Basisversion auf Englisch von Adela Halo.
Übersetzung der Basisversion aus dem Englischen von Tobias Jochheim.
Überarbeitet und mit Zitaten Halos ergänzt von Karen Grass.
Original-Artikel auf Albanisch: Karakteristika të ligjërimit politik në Shqipëri.
Schlagwörter:Adela Halo, Albanien, Diskurs, Edi Rama, Gazeta Shqip, Gazeta Shqiptare, Mapo, Open Society Foundation for Albania, OSFA, Panorama, Sali Berisha, Shekulli