Der Fernsehsender von Premierminister Edi Rama ist zur wichtigsten offiziellen Informationsquelle über die Pandemie geworden.
Der erste Fall von Covid-19 in Albanien wurde am 8. März 2020 bestätigt. Aber schon vorher, zu einer Zeit, als die Coronavirus-Epidemie noch auf China beschränkt schien, hatten die albanischen Medien über albanische Studierende berichtet, die sich in China aufhielten und versuchten, nach Hause zurückzukehren. Als das Coronavirus im benachbarten Italien, wo schätzungsweise 400.000 Albaner leben, zu wüten begann, begannen die Medien Bedenken darüber zu äußern, ob es denn überhaupt möglich wäre, zu verhindern, dass das Virus Albanien erreicht.
Von dem Moment an, als Albaniens erster Covid-19-Fall registriert wurde, verhängte die Regierung drastische Schutzmaßnahmen. Grund dafür sind die Nähe des Landes zu Italien – zu dieser Zeit das europäische Epizentrum der Pandemie – und der schlechte Zustand der öffentlichen Gesundheitsinfrastruktur Albaniens. Seitdem sind Schulen, Bars, Restaurants und Geschäfte geschlossen, nur Supermärkte und Apotheken sind noch geöffnet. Der öffentliche Verkehr wurde eingestellt, und die Menschen mussten eine Sondergenehmigung für die Benutzung ihres eigenen Autos beantragen. Am 15. März erklärte Albanien alle seine Landgrenzen bis auf weiteres für geschlossen. Polizei und Armee patrouillieren auf den Straßen und überwachen die Einhaltung der neuen Regeln.
Am 25. März rief die Regierung den Ausnahmezustand aus und bezeichnete die Ausbreitung von Covid-19 als „Naturkatastrophe“. Am 16. April verabschiedete das Parlament neue harte Maßnahmen, die von Regierungskritikern als unverhältnismäßig und verfassungswidrig bezeichnet wurden. Dazu gehören Änderungen des Strafgesetzbuches, die Gefängnisstrafen von bis zu acht Jahren für Träger von Infektionskrankheiten vorsehen, die die Quarantäne- oder Isolationsvorschriften nicht einhalten und andere anstecken. Premierminister Edi Rama verteidigte die neuen Strafen und erklärte, sie seien eine notwendige Voraussetzung für eine zukünftige Lockerung des Lockdowns. Bis zum 20. April waren in Albanien 584 Fälle von Coronavirus bestätigt worden, wobei 26 Todesfälle auf die Krankheit zurückgeführt wurden.
Alles steht im Schatten der Corona-Berichterstattung
Seit dem Ausbruch der Pandemie in Albanien steht die Berichterstattung ganz im Zeichen des Corona-Virus. Rund um die Uhr liegt der Schwerpunkt auf der Pandemie, mit regelmäßigen Nachrichten und Eilmeldungen aus dem Gesundheitsministerium und dem Isolierkrankenhaus, in dem die Patienten behandelt werden. Andere Themen werden so gut wie gar nicht mehr von den Medien aufgegriffen; selbst bedeutsame Ereignisse wie die Ankündigung der Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen am 24. März und der Sturz der Regierung in Kosovo (wo ethnische Albaner die Bevölkerungsmehrheit stellen) am folgenden Tag wurden völlig von der Corona-Berichterstattung überschattet.
Auch die Fernseh-Talkshows zur Hauptsendezeit, die zu den meistgesehenen Sendungen in Albanien gehören, konzentrieren sich ganz auf die Corona-Krise. Medizinische Fachkräfte treten in diesen Sendungen regelmäßig als Gäste auf, ebenso wie Angehörige der großen albanischen Diaspora, insbesondere diejenigen, die in besonders vom Virus betroffenen Ländern wie Italien, Spanien, Großbritannien, Deutschland und den USA leben. Da in der Berichterstattung über diese Länder, vor allem Italien und Spanien, der Schwerpunkt auf den Todesopfern liegt, bleibt wenig Sendezeit für lösungsorientierte Beiträge, wobei zumindest eine Reihe von Initiativen von Albanern zur Unterstützung ihrer Mitbürger eine gewisse Aufmerksamkeit erhalten haben.
Einige Medien haben sich auch bemüht, die Auswirkungen der Krise auf marginalisierte und gefährdete Gruppen wie ältere Menschen und die Roma-Gemeinschaft hervorzuheben.
Forderungen nach einem Rettungspaket für die Medien
Die Regierung hat die Anwesenheit von Publikum in TV-Sendungen verboten; Talkshows dürfen nur einen Gast haben. Einige Unterhaltungsprogramme wurden bis auf weiteres ausgesetzt, was Bedenken hinsichtlich der Arbeitsplatzsicherheit der dort Beschäftigten aufgeworfen hat. Die albanische Journalistengewerkschaft hat gefordert, den Mediensektor in ein finanzielles Rettungspaket für Unternehmen einzubeziehen, aber die Regierung hat sich bisher geweigert, dem zuzustimmen.
Feindseligkeit gegenüber den Medien
Das Verhältnis zwischen der albanischen Regierung und den Medien ist aufgrund des umstrittenen Anti-Verleumdungs-Gesetzes, das im Dezember 2019 vom albanischen Parlament verabschiedet wurde und als Bedrohung für die Pressefreiheit angesehen wird, weiterhin angespannt. Wie problematisch das Verhältnis ist, zeigt eine Sprachmitteilung des Premierministers vom 12. März an Millionen von Mobiltelefonnutzern, in der er die Öffentlichkeit aufforderte, zu Hause zu bleiben, sich die Hände zu waschen – und sich vor den Medien zu schützen. In einer späteren Textversion dieser Nachricht hieß es dann, die Albaner sollten sich vor Fake News in Acht nehmen.
Kooperation mit dem Institut für öffentliche Gesundheit
Die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt RTSH ist ihrem öffentlichen Auftrag gerecht geworden, indem sie mit der „RTSH-Schule“ einen neuen Fernsehsender ins Leben rief, der Bildungsinhalte für Gymnasiasten bereitstellt, die nun zu Hause lernen. Mehrere andere Fernsehsender kooperieren mit dem Institut für öffentliche Gesundheit, um Aufklärungs-Clips über das Virus und Hygienemaßnahmen zu produzieren und auszustrahlen.
Obwohl in den Medien im Großen und Ganzen die Verhängung der strikten Schutzmaßnahmen befürwortet wird, kritisieren einige Journalisten die Vorliebe des Premierministers Rama, drastische Worte zu wählen – er verwendet oft Begriffe wie „Krieg“, „Tod“ und „Deserteur“ – und fordern, dass er sich stärker auf die Wirtschaft konzentriert und generell einen optimistischeren Ton wählt. Rama ist auch in die Kritik geraten, weil er mit seinen Auftritten in seinem eigenen Fernsehsender ERTV und seinen täglich live übertragenen Statements die öffentliche Kommunikation monopolisiert hat. Eine Umfrage des Medien-Watchdog Citizens Channel ergab, dass Rama zwischen dem 9. und 31. März insgesamt 1423 Minuten bzw. 24 Stunden auf dem Bildschirm zu sehen war. Dies zeige, dass ERTV zur wichtigsten offiziellen Informationsquelle über die Coronavirus-Pandemie geworden sei.
Verpasste Gelegenheit?
Obwohl die gegenwärtige Krise den Medien eine gute Gelegenheit geboten hätte, das Bewusstsein für das Problem der Fake News zu schärfen und die Medienkompetenz zu fördern, sind die meisten Medien das Thema nur zögerlich angegangen. Faktencheck-Organisationen wie Faktoje decken jedoch unermüdlich Falschnachrichten auf und auch bei Euronews Albanien gibt es eine tägliche Sendung für die Überprüfung von Fakten.
Die Pandemie hat auch gezeigt, dass es in Albanien dringend notwendig ist, Journalisten besser auf die Berichterstattung über Naturkatastrophen vorzubereiten, um ihnen ein besseres Verständnis für Ethik mit auf den Weg zu geben und sie im Umgang mit persönlichen Daten zu sensibilisieren.
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