Wie jetzt beim Spiegel hatte auch die Schweizer Blick-Redaktion versucht, die Personalpolitik „von oben“ zu verhindern. Während man sich beim Spiegel gegen den Bild-Mann Nikolaus Blome als neuen stellvertretenden Chefredakteur gewehrt hat, gab es bei der Boulevardzeitung Blick Versuche, Chefredakteurin Andrea Bleicher zu halten.
Weltwoche-Kolumnist Kurt W. Zimmermann aber zeigt sich recht froh darüber, dass sie ihren Posten räumen muss – denn „schnell wurde klar, dass Bleicher es nicht konnte“. Ein Nachtrag:
Es war Anfang Februar, und Ringier-Chef Marc Walder freute sich über einen gelungenen PR-Coup bei seinem Boulevardblatt. „Noch nie“, sagte er damals, „habe ich so viele positive Schlagzeilen über den Blick gelesen.“ Der gelungene PR-Coup Walders war die Wahl einer Chefredakteurin. Mit Andrea Bleicher, 39, stand im Februar erstmals eine Frau an der Spitze des Blicks. Die Medien jubelten zur Gender-Premiere. „Frauen blicken anders“, applaudierte feministisch der Tages-Anzeiger. Eine „historische Dimension“, bewunderte geschichtsbewusst die Basler Zeitung.
Nun, sechs Monate später, ist Bleicher bereits wieder abgehalftert. René Lüchinger wird nächster Chefredakteur des Blicks, wie die NZZ am Sonntag als Erste korrekt vermeldete. Er ist früherer Chefredakteur von Facts und Bilanz und heute Kommunikationsberater sowie freier Autor der Weltwoche. Der schnelle Sturz Bleichers ist ein hübsches Boulevardstück zum Thema Außenwirkung und Innenwirkung.
Gegen außen spielte Bleicher mit Verve ihre Rolle als PR-Geschöpf. Kaum im Amt, parlierte sie in den Medien spaltenweise über ihr Frausein, ihre Karriere, ihre Kinder und ihren Ex. Solche Selbstdarstellung ist ungewöhnlich im Gewerbe. Unter Boulevardiers gilt die Regel, dass man zwar ungehemmt über das Leben der anderen schreibt, das eigene Leben aber unter dem Deckel hält. Gegen innen griff der externe PR-Effekt nicht. Schnell wurde klar, dass Bleicher es nicht konnte.
Tatsächlich wunderte man sich im Haus zunehmend über den einfallslosen Stil der ersten Blick-Frau. Banale Unfälle und Verbrechen waren ihr wichtigstes Gestaltungskonzept. Ihre Zeitung wurde zum Verbrecheralbum der Beliebigkeit. Der Raser vom Donnerstag brachte es freitags auf Seite eins, der Felssturz vom Freitag war samstags die Aufmachung.
Das ist nicht zeitgemäß. Guter Boulevard ist heute Concept Art. Er muss die Stimmungen, Farben und Töne dieser Gesellschaft beschreiben, und besser noch, die Stimmungen, Farben und Töne vorwegnehmen, am besten, kurz bevor die Gesellschaft sie erkennt und die dazugehörigen Akteure thematisiert. Dafür braucht es ein politisches und gesellschaftliches Flair. Ganz gut machen das etwa die deutsche Bild-Zeitung und die britische Daily Mail. Sie sind Concept-Art. Hier ist die Chronik der laufenden Ereignisse, also Raser und Felsstürze, allenfalls eine Randnotiz. Die Blätter fokussieren stattdessen auf die latente Stimmungslage der Nation. Der Stammtisch diskutiert nicht über kurzfristige Raser und Felsstürze. Er diskutiert über langfristige Themen, also über die Banken, die Immigration und den Body von Michelle Hunziker.
Boulevard, das macht ihn schwierig, kann nicht aus der Tagesaktualität leben. Er muss eigene Themen suchen und besetzen. Der ersten Frau beim Blick gelang das aus Mangel an Erfahrung nicht. Ringiers CEO Walder sah es genauso und begann schon im Frühsommer mit konkreten Nachfolgegesprächen. Nun zahlte sich aus, dass er die Neue vorsichtigerweise nur als „interimistische“ Chefin angekündigt hatte. Bleichers schlichte Blattmache führte natürlich auch kommerziell nicht nach oben. Am Kiosk verkauft das Blatt werktags oft nur noch 40.000 Stück. Insgesamt sind es, mit Abos, weniger als 190.000 Exemplare. Das ist die Hälfte der besten Zeiten. Get abstract: Für eine Rufmord-Theorie ist kein Platz. Die erste Blick-Chefredakteurin ist nach kürzester Zeit wieder weg. Sie ist nicht weg, weil sie eine Frau war.
Erstveröffentlichung: Die Weltwoche Nr. 33 / 2013
Schlagwörter:Andrea Bleicher, Blick, Boulevard, Frau, René Lüchinger