Salon 5: Jugendreporter:innen und Medienkompetenz

4. August 2023 • Aktuelle Beiträge, Ausbildung, Qualität & Ethik • von

Jugendlichen eine Stimme geben, sie an Medien heranführen und ihnen die Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Demokratie nahebringen: das ist das Ziel von Salon 5.  Die Jugendredaktion des gemeinnützigen, unabhängigen Mediums Correctiv mit Hauptstandort in Bottrop bildet seit 2020 Jugendreporter:innen aus und gibt ihnen die Chance, hinter die Kulissen der Medienbranche zu blicken und ihre eigenen Themen in den Mittelpunkt zu stellen. Im Interview mit EJO-Redakteurin Johanna Mack erzählt Redaktionsleiterin Hatice Kahraman über ihre Arbeit, die Vision von Salon 5 und wie die Jugendlichen Medien wahrnehmen und gestalten.

Redaktion Salon 5. Bildquelle: Ivo Mayer / CORRECTIV

Johanna Mack: Was unterscheidet Salon 5 von anderen Formaten für eine junge Zielgruppe?

Hatice Kahraman: Der entscheidende Unterschied ist, dass bei Salon 5 die Jugendlichen selbst produzieren. Salon 5 ist ein junges Medium von und für junge Menschen zwischen 13 und 18. All diese Jugendreporter:innen, die bei uns produzieren, gehen auch tatsächlich noch zur Schule. Das besondere an Salon 5 ist, dass die Jugendlichen zu Jugendreportern ausgebildet werden, das heißt, wir zeigen ihnen das journalistische Handwerk; und dann können sie selbst ihre Nachrichten, ihre eigenen Themenwochen, Produkte oder Beiträge entstehen lassen.

Der Fokus liegt bei Salon 5 auf 13 bis 18-Jährigen, einer Zielgruppe, die für traditionelle Medien besonders schwierig zu erreichen ist, zugleich aber wegweisend für die Zukunft, da sich ihre Mediennutzung stark von der früherer Generationen unterscheidet. Wie die aktuelle KIM-Studie zeigt (wir berichteten), nutzen bereits 70% der 13-Jährigen in Deutschland, mit zunehmendem Alter steigend, regelmäßig und selbstständig das Internet; die Medienkompetenz allerdings hängt stark von der schulischen und familiären Situation ab.
Jugendredaktionen können eine Chance bieten, den Blick junger Menschen auf Medien, aber auch den Blick der Medien auf diese wichtige Zielgruppe zu schärfen. Salon 5 wird unter anderem von der Ruhr-Konferenz der Landesregierung NRW und der RAG-Stiftung unterstützt.

Hatice Kahraman leitet Salon 5, Jugendredaktion und Medienkompetenzzentrum von Correctiv. Sie hat nach ihrem Studium der Journalistik und Politikwissenschaften unter anderem für die dpa, den Spiegel und den WDR gearbeitet, dann bei Correctiv volontiert. Neben intensiver Arbeit mit verschiedenen Jugendredaktionen hat sie auch Erfahrung im Investigativjournalismus. Bildquelle: Ivo Mayer/CORRECTIV

Woher kam die Idee, sich auf genau diese Altersgruppe zu fokussieren?

Die Idee steckt schon im Namen: Salon 5 bezieht sich auf Artikel 5, Presse- und Meinungsfreiheit; und Salon, weil wir denken dass man tatsächlich auch zusammenkommen und sich austauschen muss, um Presse- und Meinungsfreiheit zu leben. Gerade diese Zielgruppe zwischen 13 und 18 kann von vielen Medien nur sehr schwierig erreicht werden, denn sie sind weder Kinder, das heißt, sie konsumieren nicht die Nachrichten ihrer Eltern, aber sie sind auch noch keine jungen Erwachsenen, die vielleicht fester im Leben stehen. Und gerade diese Zielgruppe wird einerseits häufig vergessen, ist aber andererseits auch schwer zu erreichen, weil sie auf anderen Medienplattformen ist. Die Idee von Salon 5 ist, jungen Menschen zu zeigen, warum Journalismus, Meinungs- und Pressefreiheit wichtig sind. Es geht gar nicht darum, dass alle danach in den Journalismus gehen und Reporter werden, es geht hauptsächlich darum, dass sie verstehen, warum Journalismus wichtig für die Demokratie ist.

Wie ist Euer Eindruck von den Jugendlichen, mit denen Ihr zusammenarbeitet: haben sie das Gefühl, angesprochen zu werden von den traditionellen Medien, fühlen sie sich abgehängt, oder sind sie ohnehin ganz woanders unterwegs?

Viele, die bei Salon 5 mitmachen, konsumieren tatsächlich gar keine normalen Nachrichten, so etwas wie die Tagesschau, und Zeitungen schonmal gar nicht. Häufig bekommen sie Informationen zum Beispiel durch TikTok oder Instagram. Und dabei ist es nicht nur wichtig, dass Medien, zum Beispiel Lokalmedien, auf diesen Plattformen vertreten sind, sondern es ist auch unglaublich wichtig, dass sie deren Sprache sprechen. Das heißt nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe. Ich glaube, es ist ein Vorurteil, dass junge Menschen nicht an Nachrichten interessiert seien. Sie wollen Nachrichten, aber sie wollen sie so, wie sie sie verstehen und wie sie für sie ansprechend sind.

Euer Hauptfokus liegt auf Radio, YouTube und Podcast, und Ihr bespielt verschiedene Social-Media-Kanäle. Warum diese Plattformen?

Eigentlich machen wir alles außer Schreiben. Wir machen Audio, Video, Bild, Stories… Wir wollen den Jugendlichen so viele Formate wie möglich anbieten, weil sie auch alle sehr unterschiedlich sind. Manche Jugendliche zum Beispiel sind extrem introvertiert und wollen lieber einen Podcast aufnehmen. Andere möchten vor die Kamera, moderieren, eine Reel-Reihe aufnehmen, auf TikTok… wir möchten den Jugendlichen verschiedene Möglichkeiten anbieten, damit sie ihre Persönlichkeiten auch zeigen können. Wenn wir uns auf nur ein Format spezialisieren würden, dann würden wir viele andere nicht erreichen. Deshalb haben wir so viele Formate, weil wir auch so viele verschiedene Jugendliche haben.

Wie läuft die Themenauswahl: Bringen die Jugendlichen Themen mit, oder werden sie von Euch kuratiert?

Wir haben einmal im Monat eine Themenkonferenz. Da kommen dann alle Jugendlichen zusammen und es ist ein Riesenevent. Diese Themenkonferenzen werden von den Jugendlichen selbst gestaltet. Das Ziel dahinter ist, an die Themen heranzukommen, aber wie sie das tun, entscheiden die Jugendreporter:innen selbst – wir hatten zum Beispiel ein Speed-Dating, wo sie ihre Themen mit denen der anderen matchen sollten, wir haben ein Spiel mit Memes gespielt; wir haben uns verschiedene Filme angeschaut. Wichtig ist, dass die Themen der Jugendlichen zum Diskurs kommen. Sie sagen, was ihnen wichtig ist, was sie stört, was sie bewegt. Und dann kommen sie ins Diskutieren und entwickeln Themen. Manchmal sind das Themen, die gerade aktuell sind, diesen Sommer zum Beispiel die Brände in Griechenland, Wahlen, oder etwas, das gerade auf TikTok passiert. Aber manchmal sind es auch Themen, die gar nicht aktuell sind, zum Beispiel alles rund um Schule, Bildungsgerechtigkeit und mentale Gesundheit. Es ist eine sehr bunte Mischung und das Coole ist, dass die Jugendlichen selbst ihre Themen nennen und umsetzen.

Bildquelle: Ivo Mayer / CORRECTIV

Merkt Ihr Besonderheiten bei der Art, wie die Jugendlichen ihre Themen angehen oder Umsetzen? Bei einigen Jungendformaten, wie z.B. Funk, wurde beobachtet, dass verstärkt subjektive Erzählformen vorherrschen, bei denen Einzelpersonen im Mittelpunkt stehen. Was beobachtet Ihr bei Salon 5?

 

Ich merke schon bei den Jugendlichen, dass sie z.B. in den Themenkonferenzen aus der Ich-Perspektive reden: Ich habe das Gefühl, ich habe das erlebt, ich rege mich über etwas auf. Aber wir bringen ihnen das journalistische Handwerk bei und sagen ihnen: Deine Meinung kann mit Fakten gestützt oder widerlegt werden. Das heißt, Recherche und Faktencheck stehen im Mittelpunkt. Dann merken die Jugendlichen im Prozess der journalistischen Arbeit, was Fakt und was Meinung ist. Wir unterscheiden da sehr klar und es ist uns wichtig, den Jugendlichen das mitzugeben. Gerade in Bezug auf TikTok ist es unglaublich wichtig, dass die Jugendlichen dies zu unterscheiden lernen – oft habe ich den Eindruck, dass ihnen gerade dort schwerfällt, Informationen und Desinformationen nicht zu vermischen.

Zu derartigen Themen bietet Salon 5 auch Workshops und Schulungen an für Jugendliche, Eltern und Schulen. Welchen Stellenwert hat das Thema Medienkompetenz in Eurer Arbeit?

Wir sehen uns tatsächlich als Medienkompetenzzentrum. Dies hat drei Säulen: Einmal die Ausbildung der Jugendreporter:innen. Wer bei uns mitmachen möchte, durchläuft ein Ausbildungsprogramm. Es gibt einmal im Monat einen Workshop, manche finden auch online statt. Die Workshops behandeln Themen wie Recherche, Faktencheck, Interviewführung, Auftreten vor der Kamera, Moderationstraining und so weiter. Alles, was sie brauchen, um bei Salon 5 mitzumachen. Das Tolle daran ist, dass sie immer einfach starten können: das Programm läuft durchgehend und man kann jederzeit einsteigen.

Eine weitere Säule ist, dass die Jugendlichen neben den Workshops noch eingearbeitet werden. Sie haben dann eine Eins-zu-eins-Betreuung, durch die sie noch einmal individuell gecoacht werden.

Die Betreuer:innen vor Ort, das ist ein Team aus aktuell 17 Festangestellten, darunter Redakteur:innen, Volontär:innen und studentische Hilfskräfte. Die sind unter anderem auch noch dafür da, für Schulen, Jungendeinrichtungen oder verschiedene Organisationen Workshops zu geben. Dabei geht es um Medienkompetenzfragen, oft zum Beispiel um Fake News, manchmal kommen Schulen auch mit einer bestimmten Themenidee zu uns und bitten uns, ihnen dabei zu helfen, dies medial umzusetzen. Oder sie möchten einmal pro Woche in die Redaktion kommen, um Podcasts aufzunehmen.

Kann Correctiv ein solches Programm für Jugendliche auch deshalb anbieten, weil es ein unabhängiges, gemeinnütziges Medium ist?

Ja, ein wichtiger Faktor bei Correctiv, einem Non-Profit-Medium, ist die Demokratieförderung. Für uns spielt es keine Rolle, wie alt Menschen sind oder was und wo sie arbeiten, sondern dass wir Demokratie erlebbar machen. Darauf weist auch schon der Name Salon 5 hin: wir kommen zusammen, setzen uns hin und reden über verschiedene Probleme. Man merkt dann, ich habe ein Problem und vielleicht hat jemand anders ein ähnliches; wir können drüber reden und vielleicht eine Lösung finden. Das bedeutet es, Demokratie erlebbar zu machen.

Wir haben Salon 5 im Jahr 2020, genau mit der Corona-Pandemie angefangen. Correctiv hatte schon vorher sehr viel zum Thema Demokratieförderung im Programm und dann kam die Idee, dies auch noch einmal speziell mit jungen Menschen zu machen.

Ihr sitzt hauptsächlich in Bottrop, aber Eure Podcasts kommen auch von anderen Orten…

Genau, wir haben einen Hauptstandort in Bottrop, da sitze ich gerade. Wir haben damals in Bottrop gestartet, dann aber gemerkt, A, das Angebot kommt sehr, sehr gut an und B, es gibt tatsächlich einen unglaublich großen Bedarf. Und dann haben wir zwei weitere Standorte eröffnet, einmal in Greifswald und einmal in Hamburg Bergedorf. Ziel ist, noch weitere Standorte zu eröffnen. Die Jugendlichen an den verschiedenen Standorten stehen miteinander im Austausch – zum Beispiel über das Thema Ost und West. Was erleben eigentlich Jugendliche an anderen Orten? Was sie zum Beispiel im Ruhrgebiet erleben, erleben vielleicht Greifswalder Jugendliche nicht so, haben dafür aber andere Erlebnisse und auch Gemeinsamkeiten.

Bildquelle: Ivo Mayer / CORRECTIV

Einmal im Jahr findet unser Sommercamp statt. Da treffen wir uns mit Jugendlichen aus ganz Deutschland an der Ostsee und machen Klimaberichterstattung. Sie sehen vor Ort, was der Klimawandel anrichtet, und berichten dann darüber. Zum Beispiel letztes Jahr hatten wir eine Moorwanderung. Moor ist total wichtig fürs Klima und dort haben die Jugendlichen das erste Mal gespürt, was trockenes oder nasses Moor ist. Durch die direkten, praktischen Erfahrungen, die sie dabei sammeln, können sie die Fakten selbst erleben und besser an andere Jugendliche weitergeben.

 

Wie kommen die Jugendlichen zu Euch?

Es gibt drei Wege, die die Jugendlichen zu uns führen. Dadurch, dass wir mit so vielen Schulen regelmäßig zusammenarbeiten, gibt es einige, die nach den Sommerferien oder nach einem Projekt sagen, sie möchten bei uns mitmachen. Ein anderer Weg ist durch Social Media. Wir schreiben immer, dass jeder bei uns mitmachen kann – wir haben auch kein Bewerbungsverfahren; man muss uns keine E-Mail schreiben – das ist so niederschwellig wie möglich. Der dritte Weg ist über Freunde. Die Redaktion ist ein bisschen wie ein Jugendhaus: Wir haben hier einen Kicker, eine Ecke zum Chillen – manche Jugendliche kommen auch, wenn sie gar nichts für die Redaktion tun möchten, um hier abzuhängen oder ihre Hausaufgaben zu machen. Dadurch bringen sie auch häufig ihre Freunde mit.

Erreicht ihr mit diesen Strategien verschiedene Gesellschaftsgruppen oder sind es am Ende doch diejenigen, die zum Beispiel durch das Gymnasium oder ein interessiertes Elternhaus ohnehin schon mehr Anknüpfungspunkte haben?

Was wir anders machen als andere Redaktionen ist, dass wir gezielt auf alle Schulformen zugehen. Dadurch erreichen wir auch wirklich Jugendliche aus allen sozialen Schichten. Wenn wir das nicht tun würden, würden hauptsächlich Gymnasiasten zu uns kommen, die zum Beispiel engagierte Lehrer haben. Aber dadurch, dass wir direkt alle Schulformen ansprechen, haben wir eine sehr diverse Redaktion, die auch mit sehr diversen Problemen konfrontiert wird. Wir haben nicht nur Jugendliche mit Akademikereltern, sondern auch solche mit arbeitslosen Eltern oder anderen Problemen zuhause.

Welchen Stellenwert hat Salon 5 im Rahmen von Correctiv?

Innerhalb von Correctiv hat Salon 5 eine sehr wichtige Rolle. Das ist tatsächlich bei ganz vielen Medien nicht so. Ich habe früher auch bei anderen Jugendredaktionen gearbeitet und das war immer eine kleine Spalte, ein kleines Team im Vergleich zum Hauptteam. Das ist bei Salon 5 überhaupt nicht so. Das sieht man zum einen an der Größe: Salon 5 ist fast so groß wie das Investigativteam oder das Faktencheckteam. Das hat zu tun mit den Hintergründen der Jugendredaktion: Correctiv priorisiert Bildungs- und Demokratieprojekte. Und es ist Chefsache: der Geschäftsführer und Gründer David Schraven hatte die Idee und er steht bis heute hundert Prozent dahinter und steckt viel Energie, Kreativität und Innovation da rein.

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