Russland: Analyse statt Propaganda

17. Juli 2015 • Internationales, Qualität & Ethik • von

Die englisch- und russischsprachige Website “The Intersection Project” will tiefgründige Analysen über die Situation in Russland bereitstellen. EJO hat mit dem Managing Editor über das neue Projekt gesprochen.

Anton Barbarshin ist Managing Editor des Intersection Projects

Anton Barbarshin ist Managing Editor des Intersection Projects

Der Konflikt in der Ukraine, die Militärparade Putins am 8. Mai oder auch die Sanktionen gegen Russland haben in den vergangenen Monaten die internationalen Schlagzeilen bestimmt. Russland ist wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Viele Medien wurden für ihre Berichterstattung in diesem Zusammenhang kritisiert – sie seien voreingenommen, würden nur an der Oberfläche kratzen oder Propaganda verbreiten. Eine neue Website will nun tiefergehende Analysen über die russische Politik, die Gesetzgebung, die Wirtschaft und deren Bedeutung für den Westen liefern: The Intersection Project. Lena Christin Ohm hat für EJO mit Anton Barbashin, dem Managing Editor des „Intersection Projects“, gesprochen.

 

EJO: Herr Barbashin, können Sie für unsere Leser erklären, was genau „The Intersection Project“ ist?

„The Intersection Project“ ist eine auf Analyse fokussierte Online-Plattform, die sich mit der russischen Innen- und Außenpolitik beschäftigt, die aktuelle Ereignisse und Trends diskutiert und auf Fakten basiert. Diese Seite hat absolut nichts mit Propaganda zu tun. Außerdem haben wir sowohl Autoren aus Russland als auch aus europäischen Nationen, aus den USA und allgemein aus dem Ausland. Unsere Artikel werden gleichzeitig sowohl auf Englisch als auch auf Russisch veröffentlicht. Deshalb ist unser Publikum logischerweise nicht nur die russisch-sprachige Welt, sondern auch die komplette Englisch-sprachige Welt.

EJO: Was ist das Ziel des „Intersection Projects“?

Wir wollen dem Russisch-sprachigen Publikum die Ansichten der westlichen Experten erklären: Wie sehen Sie Russland, wie sehen Sie die Probleme und welche Lösungsvorschläge haben Sie. Und das gleiche wollen wir unserer westlichen Leserschaft bieten: Wir wollen russischen Autoren eine Möglichkeit geben, ihre Ansichten mitzuteilen und dem westlichen Publikum zu erklären, wie Russland sowohl innen- als auch außenpolitisch tickt.

EJO: Sie erwähnten bereits, dass Ihre Seite absolut nichts mit Propaganda zu tun hat. Sind Sie schon beschuldigt worden, russische Propaganda zu verbreiten?

Ehrlich gesagt wurde uns bisher noch nicht vorgeworfen, russische Propaganda zu verbreiten, sondern uns wurde vorgeworfen, anti-russische Propaganda zu verbreiten. Das gehört halt zum Alltag dazu und daran muss man sich gewöhnen. Die große Mehrheit unserer Leser versteht, dass wir ihnen qualitativ-hochwertige Analysen bieten, die absolut nichts mit Propaganda zu tun haben – egal von welcher Seite.

EJO: Wie wurde eigentlich aus der Idee Wirklichkeit?

Wir hatten da sehr glückliche Umstände. Olga Irisova und ich hatten das Konzept für eine Online-Plattform, die russischen Autoren und Experten dabei helfen sollte, Kontakt zu einer westlichen Leserschaft aufzunehmen. Im zweiten Schritt wollen wir dann die Reaktionen der westlichen Experten-Gemeinschaft für die russische Öffentlichkeit übersetzen. Zur selben Zeit hatte das Zentrum für Polnisch-Russischen Dialog und Verständigung eine ähnliche Idee und so hatten wir die Möglichkeit, unsere beiden Konzepte miteinander zu vereinen und die Website tatsächlich zu erstellen.

EJO: Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe?

Die Seite ist natürlich nicht nur für eine Experten-Gemeinschaft. Wenn ich an unser Zielpublikum in der Englisch-sprachigen Leserschaft denke, fokussieren wir uns auf die, die schon ein minimales Verständnis für die Geschehnisse haben. Man könnte sie „bereits vorgebildete Leser“ nennen. Das gleiche gilt übrigens auch für die russische Seite.

EJO: Gibt es einen Unterschied dazwischen, wie die russischen und wie die englischen Artikel aufgenommen werden?

Am Anfang haben wir wirklich mehr Reaktionen von der Englisch-sprachigen Leserschaft erhalten, aber mittlerweile holt die russische Version unserer Seite auf. Wir haben jetzt fast ein Gleichgewicht zwischen beiden Seiten erreicht.

EJO: Welche Kriterien muss ein Autor bei Ihnen erfüllen?

Die spezielle Zugehörigkeit zu einem Fachbereich ist nicht das erste Kriterium, das wir uns ansehen. Es geht uns grundsätzlich um die Qualität der Analyse. Sollte ein potentieller Autor eine Idee vorschlagen, mit der wir nicht per se einverstanden sind, die aber starke Unterstützung in der wissenschaftlichen Gemeinde hat, logisch nachvollziehbar ist und gut durchdacht ist, dann sind wir froh darüber und veröffentlichen sie natürlich auch.

EJO: Sind Sie der Meinung, dass die Analyse in den Mainstream-Medien fehlt?

Es geht uns nicht darum, was die Mainstream-Medien machen oder nicht machen. Manchmal sind die Themen und Analysen einfach kompliziert und da braucht es keinen Journalisten, der sich mit dem Thema auseinandersetzt, sondern einen professionellen Experten und unser Job ist es dann, die Analyse in eine akzeptable und verständliche Sprache zu übersetzen.

EJO: Übersetzen Ihre Redakteure die Artikel bloß oder findet noch eine inhaltliche Redigatur statt?

Tatsächlich ist ein zentraler Punkt der Arbeit unserer Redakteure nicht nur die Übersetzung der Sprache, sondern die Übersetzung von Konzepten, so dass sie verstanden werden können. Wir arbeiten mit den Autoren an ihren Konzepten, wenn sie uns noch halbgar erscheinen. Es kann also von der Einreichung des Vorschlags über das Schreiben des Artikels und der Redigatur durchaus ein bis zwei Wochen bis zur Veröffentlichung des Artikels dauern. Wir sind dazu da, um mit den Autoren zu arbeiten und eben nicht nur das zu veröffentlichen, was sie uns liefern.

EJO: Sie erwähnten bereits, dass Sie vom Center für Polnisch-Russischem Dialog und Verständigung finanziert werden. Gibt es auch noch andere Spender oder Financiers?

Wir haben keine Werbung auf unserer Seite und alles ist kostenlos abrufbar. Im Augenblick kommt unsere komplette Finanzierung vom Center für Polnisch-Russischen Dialog und Verständigung, aber wir sind natürlich offen für neue Partnerschaften, für Spenden und wir suchen natürlich auch nach Organisationen oder Instanzen, die daran interessiert wären, unsere Projekt zu unterstützen.

EJO: Wo sehen Sie „The Intersection Project“ in der Zukunft?

Nun, wir haben sehr ambitionierte Ziele: Wir wollen der Ort sein, an dem Menschen suchen, wenn Sie Informationen über Russland finden wollen, wenn sie etwas über die aktuellen Diskussionen in Russland lesen wollen, wenn sie hören wollen, wie die russische Sichtweise auf russische Probleme und die russische Zukunft aussieht. Wir sind wirklich sehr ambitioniert und hoffen, dass wir in Zukunft ein noch breiteres Publikum erreichen werden.

 

 

 

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2 Responses to Russland: Analyse statt Propaganda

  1. Jochen Luhmann sagt:

    …das Interview ist so seltsam zurückhaltend beim Thema “Finanzierung”. Seltsam. Woher hat das “Center für Polnisch-Russischen Dialog und Verständigung” das Geld, um einen blog zu finanzieren, welcher Russland verständlich macht? Die Antwort liegt auf der Hand.

  2. Anja Boettcher sagt:

    Wenn man sich das Portal “Intersection” dann genau anschaut, dann beantwortet sich in der Tat die von Herrn Luhmann aufgeworfene Frage schnell: Hauptsponsor scheint der “European Council of Foreign Relations” zu sein, eine auf transatlantische Intiative gegründete Analogieorganisation zum “Council of Foreign Relations” in den USA zu sein, den Hermann Ploppa in seiner empirischen Untersuchung von Elitennetzwerk als “Mutter” dieser reizenden Organisationen bezeichnete, die dafür da sind, multilaterale Beziehungen unter das Kuratell einer winzigen, aber potenten Minderheit zu stellen, anstatt sie dem offenen Austausch von Bürgerbegegnungen souveräner Rechtsstaaten zu überlassen. Denn wie wenig Demokratie da heute drin ist, wenn unter dem Schlachtruf “Demokratie!” wieder mal die Messer gewetzt werden, das schält sich seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre für jeden wachen Demokraten immer deutlicher heraus.

    Dem entsprechen auch die Beiträge in “The Intersection”: Diese Darstellungen eines umfassenden & für die Bürger ganz Europas (inklusive Russlands) in der Tat bedrohlichen geopolitischen Konflikts kennen nur einen “odd man out”, einen ‘Schuldigen’: Russland. Gegenüber den geopolitischen Schachzügen der Gegenseite, vor allem der US-Machteliten, spielt das Portal nach inzwischen altbekannter Manier “Des Kaisers neue Kleider”. Analyse statt Propaganda? Eine empirisch gründliche Sammlung von Daten oder eine detailreiche Rekonstruktion der Beziehungen zwischen der Russischen Föderation und westlichen europäischen Staaten seit 1990 findet sich hier eben so wenig wie ein auch nur ansatzweise wissenschaftlich reflektiertes Modell zur fundierten Urteilsbegründung über diese Beziehung. Konzentriert wird hier stattdessen das standardisierte Narrativ reorganisiert, welches auch die sich zum epischen Hauptstrom addierenden Beiträge transatantischer Konzern- & Staatsmedien mantrahaft weben & wiederholen. Die Annahme, diese Textchen böten “Experten” oder irgendeinem komplex nachdenkenden Bürger Hintergrundwissen oder Orientierung ist lachhaft. Wer eine akademische Ausbildung nicht nur durchlaufen, sondern begriffen hat, wo wissenschaftliche Maßstäbe anfangen und wo sie eindeutig unterschritten werden, kann nur verächtlich mit der Nase rümpfen. Allenfalls bekommt hier der anpassungswillige journalistische Praktikant jenen narrativen Rahmen kompakt geboten, den er braucht, um sich sicher sein zu können, dass seine Artikel auch in den Redaktionszentralen von Springer oder Bertelsmann nicht anstößig erscheinen und dem Anschlusspraktikums somit nichts im Wege steht.

    Als Steuerzahlerin und EU-Bürgerin protestiere ich hiermit entschieden dagegen, dass für eine derartige bodenlose Propagandamühle meine Steuergelder verschleudert werden. Das ist mehr als nur schamlos! Angesichts eines derart plump durchschaubaren Unterfangens ist der im Portal an die Russische Föderation adressierte Vorwurf, sich geistig nur im abgeschlossenen Raum ideologischer Selbstbespiegelung zu bewegen nur eines: selbstentlarvend.

    Menschen aber mit etwas Bildung und vor allem fundierten Fremdsprachenkenntnissen dagegen halten sich lieber den Kopf frei, lesen wirklich international und nehmen zur Kenntnis, was Menschen außerhalb der selbstverschuldeten Unmündigkeit der ideologischen Selbstbeschränkung jener Zirkel, die unter dem Label des “Westen” eines entkernten, seiner Substanz beraubten Rests von vierhundert Jahren europäischer Geistesgeschichte huldigen, denken. Impulse, die die Welt voran bringen, mögen sich in Menschen aller Länder und aller sozialen Schichten regen: Diejenigen aber, die ihren Geist in die Kasernierung der intellektuellen Ödnis transatlantischer Thinktank-Programme eingezwängt haben, werden sicherlich nicht dazu gehören.

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