Medienforschung und Praxis in der Selbstblockade

10. April 2013 • Qualität & Ethik • von

Es ist, wie es ist: Auf beiden Seiten, der Medienforschung und den Redaktionen, gibt es seit Jahrzehnten Kommunikations-Barrieren. Wer gegen sie anrennt, mag sich inzwischen vorkommen wie Don Quijote, der nicht nur gegen die Windmühlenflügel des Forschungsbetriebs, sondern ebenso aussichtlos auch gegen die medialen Windmaschinen ankämpft.

Jetzt nimmt die Schweizerische Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft (SGKM) auf ihrer Jahrestagung neuerlich Anlauf: In Winterthur verhandelt sie zwei Tage lang die „Transdisziplinarität“: Im Dialog mit Medienpraktikern wie Roger de Weck, Generaldirektor der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft, und Norbert Neininger, Chefredakteur der Schaffhauser Nachrichten, sollen die Kommunikationswissenschaftler dazu bewegt werden, das zu tun, was sie erforschen und lehren: Sie sollen mehr kommunizieren – mit der Öffentlichkeit, mit Journalisten, vor allem jedoch mit Anwendern innerhalb und außerhalb des Medienbetriebs, die aus ihren Erkenntnissen Honig saugen könnten.

Das Anliegen ist nobel – denn natürlich sollte Journalismus- und Medienforschung, zumal wenn sie mit öffentlichen Geldern gefördert wird, auch einen Nutzen stiften. Es ist wohl kein Zufall, dass der Impuls von Vinzenz Wyss ausgeht. Der scheidende Präsident der Fachgesellschaft ist hauptberuflich an der Zürcher Hochschule Winterthur verankert. An sie hat die Universität Zürich vor Jahren die Journalistenausbildung und damit auch gleich noch die Journalismusforschung ausgelagert, um sich des studentischen Andrangs zu erwehren. Fachhochschulen haben stets mehr als die klassischen Universitäten den Kontakt zu Wirtschaft und Redaktionen gesucht. Obendrein zählt Wyss im deutschen Sprachraum zu jener Handvoll von Experten, die sich um Qualitätsmanagement im Journalismus kümmern – ein weiterer Fall von Don Quijoterie in einem Umfeld, wo ein tragfähiges Geschäftsmodell fehlt und „Qualität“ deshalb zur wohlfeilen und überstrapazierten Floskel geworden ist, um mit PR-Speak den Stellenabbau in den Redaktionen und die damit einhergehende Deprofessionalisierung im Journalismus zu kaschieren.

Doch damit sind wir bereits beim Kern des Problems: Auf beiden Seiten fehlt es an Anreizen und an gutem Willen, das an-und-für-sich Selbstverständliche zu tun. In den Redaktionen wurden nahezu flächendeckend ausgerechnet jene Stellen zuerst abgebaut, die einer professionelle Beobachtung der Medien, des Journalismus und – zumindest sporadisch auch – der Medienforschung dienten. Wenn Medien heute über Medien und Journalismus berichten, tun sie das absurderweise mit weit weniger Kompetenz, als wenn sie Nachrichten über Politik, Sport oder die Papstwahl verbreiten.

Aber auch die Wissenschaftler scheren sich wenig um Vermittlung. Die Arrivierten im Forschungsbetrieb hasten von Konferenz zu Konferenz, um dort in 15-Minuten-Slots vor ihresgleichen ihre Erkenntnisse vorzutragen. Der Nachwuchs steht unter wachsendem Druck, seine Forschungsergebnisse in „peer reviewed journals“ zu publizieren. Ob in solchen Fachzeitschriften die Früchte ihrer Arbeit von mehr als nur einer Handvoll weiterer Wissenschaftler zur Kenntnis genommen werden, interessiert kaum jemanden. Auch der Review-Prozess selbst, also die innerwissenschaftliche Qualitätskontrolle, wird zusehends absurder und löcheriger, je mehr solcher wissenschaftlicher Journals es gibt. Die Forschung verästelt und verselbständigt sich. Es fehlt sowohl an Forschern als auch an hinreichend qualifizierten Journalisten, die Erkenntnisse zusammenführen, gegeneinander abwägen und den Forschungsbetrieb kritisch begleiten.

Immerhin: Der Schweizer Nationalfonds hat jüngst mit seinem Agora-Programm ein erstes Zeichen gesetzt, dass das Problem erkannt ist. Im benachbarten Deutschland haben Stiftungen wie die Robert Bosch Stiftung, die Bertelsmann Stiftung, die Stiftung Volkswagenwerk und neuerdings die Stiftung des SAP-Mitbegründers Klaus Tschira sich wiederholt der Wissenschaftskommunikation und des Wissenschaftsjournalismus als Thema angenommen – allerdings meist viel zu eng begrenzt auf die mediale Berichterstattung über Naturwissenschaften, Medizin und Technik.

Dass gerade in der derzeitigen Medien- und Journalismuskrise der Medienforschung eine Schlüsselrolle beim Entdecken neuer Wege zukommen könnte, wollen vor allem die Medienpraktiker nicht wahrhaben. Umgekehrt gälte es allerdings wohl auch, die Medienforschung auf solche Themen hin zu fokussieren, die praxisrelevant sind und die Probleme der mediatisierten Zivilgesellschaft lösen helfen: Letztere gälte es, ohne die Pressefreiheit zu gefährden, vom sich auftürmenden Infomüll zu befreien und stattdessen angemessen mit „hochwertigem“ Journalismus zu versorgen, der professionellen Standards genügt, sich von wachsender PR-Abhängigkeit befreit und sowohl politisch als auch von Medien-Großkonzernen hinreichend unabhängig ist.

Doch selbst wenn diese Quadratur des Kreises gelänge, dann bliebe immer noch die Herausforderung, beide Seiten, Kommunikationswissenschaftler wie Redaktionen, dazu zu bewegen, das zu tun, was sie doch angeblich so besonders gut können: zu kommunizieren – aber eben miteinander statt gegeneinander oder aneinander vorbei.

Der Text ist in einer gekürzten Version am 9. April 2013 in der NZZ erschienen.

Bildquelle: Jan Krömer / Flickr

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