Eine Umfrage sorgt für Trubel: Der Journalismusnachwuchs der ARD wählt mehrheitlich grün. Doch warum die Aufregung? Die Linksverschiebung im Berufsfeld ist längst bekannt. Einige Argumente, warum sie auch relevant ist.
Im November 2020 veröffentlichte die Zeitschrift „journalist“ eine Analyse soziodemographischer Merkmale von Volontärinnen und Volontären der ARD. Mehr als die Hälfte der zu diesem Zeitpunkt aktiven ARD-Volontäre hatten an einer Umfrage teilgenommen, die unter anderem Geschlecht oder Migrationshintergrund des Journalismusnachwuchses erhob. Ein Element der Analyse jedoch sorgte für erheblichen öffentlichen Trubel: die Frage nach der Parteienpräferenz. Ein als konservativer Kommentator bekannter Journalist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung teilte auf Twitter das markante Ergebnis: Gemäß Umfrage würden fast 57,1 Prozent der ARD-Volontärinnen und -Volontäre die Grünen wählen, weitere 23,4 Prozent die Linke. Union und FDP gemeinsam kämen dagegen nur auf 3,9 Prozent der Stimmen.
Die öffentliche Reaktion war so hitzig wie vorhersehbar. Konservative Stimmen riefen triumphierend: „Aha, wir haben es doch schon immer gewusst! Das journalistische Herz schlägt grün-rot-rot!“. Auf der Gegenseite wurden Methodik, Repräsentativität und Aussagekraft der Studie in Zweifel gezogen. Ein Ausrutscher, so die eher linksstehenden Beobachter. Der Linkseinschlag des Journalismus sei eine konservative Chimäre.
Sowohl die Aufgeregtheit der Debatte wie auch die darin geäußerten Positionen lassen vermuten: Die Kommunikationswissenschaft, insbesondere die Journalismus-Forschung, weist ein Vermittlungsproblem auf. Denn niemand, der mit einschlägigen Berufsfeldstudien vertraut ist, kann ernsthaft von den Ergebnissen der Volontärsbefragung überrascht worden sein. Die Linksverschiebung im journalistischen Berufsfeld ist ein seit Jahrzehnten wieder und wieder bestätigter Befund. Linksverschiebung, wohlgemerkt, oder auch „Linksbias“, hier verstanden als eine Verschiebung gegenüber dem Bevölkerungsdurchschnitt. Ganz einfach formuliert: Journalistinnen und Journalisten stehen politisch im Durchschnitt etwas links der gesellschaftlichen politischen Mitte.
Im Folgenden soll argumentiert werden, dass diese politische Linksverschiebung im Journalismus real und vollkommen plausibel ist. Darüber hinaus soll eine Argumentation angeboten werden, wonach diese Linksverschiebung auch relevant ist, relevanter vielleicht, als in öffentlichen und Fachdebatten häufig zugestanden, weil sie sich auch in der Wahrnehmung eines inhaltlichen Biases journalistischer Berichterstattung niederschlagen kann. Eine Schlussfolgerung daraus wäre, dass die unzureichende Anerkennung einer Linksverschiebung im Berufsfeld Journalismus dazu führt, dass Öffentlichkeit und Forschung sich unnötig mit längst geschlagenen Schlachten befassen, statt eine empirisch gut dokumentierte Beobachtung zur Grundlage weiterführender Überlegungen zu machen.
Der Linksbias im Journalismus ist real – und plausibel
Eine beachtliche Vielzahl und Vielfalt empirischer Analysen im deutsch- und englischsprachigen Raum kommt zu dem Ergebnis, dass die politischen Haltungen von Journalistinnen und Journalisten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung etwas nach links verschoben sind. Etwas, wohlgemerkt, also nicht radikal. Dies zeigen Befragungen, die Parteipräferenzen, politische Selbstverortungen auf einer Links-rechts-Skala oder die Haltung zu spezifischen Themen und Anliegen erheben. Dieser klare Befund aus Befragungsstudien ist insofern beachtlich, als dass tradierte Objektivitätsnormen im Journalismus vermutlich eine soziale Erwünschtheit entfalten, die Journalisten ihre politischen Positionen eher als moderat berichten lassen sollten. Tatsächlich zeigen Alternativen zu Befragungen in der Tendenz einen stärkeren Linksbias, so etwa Untersuchungen von Parteispenden, oder, besonders interessant und markant, Analysen des Verhaltens von Journalisten auf Twitter.
Es ist seit Langem bekannt, dass Berufsfelder aus diversen Gründen überproportional stark Menschen einer bestimmten politischen Ausrichtung anziehen können. Diese Selbstselektion (Opt-in) wird häufig von einer zunehmenden politischen Homogenisierung des Berufsfelds begleitet aufgrund eines Ausscheidens jener, die sich politisch im Berufsfeld unwohl fühlen (Opt-out), sowie eine Präferenz der im Berufsfeld Tätigen, politisch konsonante Personen zu rekrutieren (Homophilie).
Zahlreiche Berufsfelder (wie auch Studienfächer) weisen folglich politische Biases in die eine oder andere Richtung auf – ziehen also überwiegend Personen an, die sich eher dem linken oder dem konservativen politischen Lager zurechnen. So zeigen beispielsweise diverse Erhebungen, dass die Berufsfelder der Polizisten und Soldaten einen Rechtsbias aufweisen, die Angehörigen dieser Berufsfelder im Schnitt also etwas rechts der (gesellschaftlichen) politischen Mitte stehen.
Was nun spricht dafür, dass das Berufsfeld des Journalismus einen linken Bias aufweist, statt etwa eines rechten?
- Betrachtet man die Soziodemographie des Berufsfeld, besteht der Journalismus überwiegend aus eher jungen, bildungsbürgerlichen, urbanen, akademisch gebildeten Menschen. David Goodhart würde sagen: klassische „Anywheres“, also Mitglieder eines kosmopolitisch orientierten, linksliberalen Milieus. Fast alle diese Eigenschaften haben in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Die ökonomische Krise macht das Berufsfeld in der Tendenz unattraktive für ältere (Quer-)Einsteiger, prekäre Beschäftigungsverhältnisse lassen ältere Berufsangehörige eher ausscheiden, etwa durch einen Wechsel in die PR. Das Berufsfeld hat sich zuletzt stark akademisiert. Journalisten weisen in der Regel einen geistes- oder sozialwissenschaftlichen Studienabschluss auf. Das Absterben des Lokaljournalismus führt zu einer Konzentration in den Metropolen. Die Demoskopie aber lehrt: jüngere Bürger stehen politisch links von älteren, Akademiker links von Nicht-Akademikern, und Urbane links von Ruralen.
- Die Kritik an den Mächtigen ist eine journalistische Berufsnorm, die große Zustimmung erfährt – etwa ein Drittel empfinden sie als sehr oder gar „extrem“ wichtig. Solche Normen, wie die Moral Foundations Theory zeigt, korrespondieren mit einer linken politischen Einstellung.
- Die ökonomische Krise des Journalismus lässt vermuten, dass materielle Motive eher nicht zum Eintritt in dieses Berufsfeld anregen. Materielle Motive sind jedoch bedeutender für die Berufswahl konservativer Personen, während links orientierte Personen eine stärkere Befriedigung aus politischem Aktivismus beziehen. Ein materiell wenig attraktives Berufsfeld mit einem Impetus zur Weltverbesserung sollte daher für linksorientierte Berufseinsteiger attraktiver sein, als für konservative.
- Die Kommunikationswissenschaft gilt in der einschlägigen US-amerikanischen Forschung als eine politisch besonders homogen linke Disziplin – selbst im Vergleich der politisch deutlich nach links tendierenden Sozial- und Geisteswissenschaften. Die Lage in Deutschland mag davon abweichen, aber vermutlich nicht fundamental. Damit soll nicht gesagt werden, dass hier eine Art Indoktrination der Studierenden stattfindet, der Umstand illustriert jedoch durchaus eine politische Selbstselektion im Fach.
Alle diese Umstände führen zu der Erkenntnis: Es wäre enorm überraschend und widerspräche diversen Forschungssträngen, wenn das Berufsfeld des Journalismus keinen Linksbias aufwiese. Darüber hinaus legen die oben genannten Argumente nahe, dass sich dieser Linksbias in den letzten Jahren und Jahrzehnten intensiviert hat und dass der Journalismus heute sowohl politisch linker positioniert als auch aktivistischer ist, als noch etwa vor 20 oder 30 Jahren.
Der Linksbias im Journalismus ist relevant
Während die Ausführungen zu Existenz und Plausibilität des Linksbias im journalistischen Berufsfeld wohl konsensfähig seien dürften, auch in der Kommunikationswissenschaft, dürfte der dritte Schritt der vorliegenden Argumentation sehr viel mehr Widerspruch auslösen. Ist es relevant, dass Journalistinnen und Journalisten politisch im Schnitt etwas links der gesellschaftlichen politischen Mitte stehen? Übersetzt sich also die politische Komposition des Berufsfeld auf dessen Leistung (Berichterstattung) und wiederum deren Wahrnehmung durch das Publikum? Tatsächlich ist die empirische Basis für diese dritte Annahme dünner als jene für die zuvor genannten.
Einige Argumente sprechen gegen eine Relevanz des Linksbias:
- Es ist bekannt, dass Journalisten mit größerer organisationaler Verantwortung weniger linke Haltungen aufweisen. Chefredakteure stehen zwar im Schnitt auch etwas links der Mitte, aber weniger stark als ihre Untergebenen. Das könnte implizieren, dass die einflussreichsten Journalisten oder diejenigen, die den Nachwuchs ausbilden, den Einfluss eher linker Einstellungen im Berufsfeld auf die journalistische Leistung abmildern.
- Verleger wiederum dürften in vielen Fällen in der politischen Mitte verankert sein, manche sogar möglicherweise etwas rechts davon. Wirken also auch sie moderierend auf den journalistischen Output?
- Das Publikum steht, eine tautologische Aussage, im Durchschnitt in der politischen Mitte bzw. etwas rechts des Berufsfelds. Da Journalisten ein möglichst großes Publikum erreichen wollen, könnte auch hier ein moderierender Effekt entstehen: Sie könnten ihre Berichterstattung ein Stück weit den Einstellungen ihrer Leserinnen und Leser anpassen.
- Untersuchungen (meist inhaltsanalytische) des journalistischen Outputs tun sich schwer, eine markante linke Verzerrung zu identifizieren. Dies liegt auch an der enormen Komplexität des Bias-Konzepts: Findet sich der Bias in der Auswahl der Themen, ihrer Vernachlässigung, ihrer Nennung, Kommentierung, Formulierung oder Illustration? Oder in allem ein bisschen?
Diesen, auch im Fach populären, Argumenten, können jedoch Gegenargumente entgegengehalten werden:
- Selbst Journalisten höherer Seniorität stehen etwas links der politischen Mitte. Sie mögen daher temperierend wirken, aber einen Bias vermutlich nicht völlig unterbinden. Aktuelle Fälle, wie etwa die Personalturbulenzen bei der New York Times, illustrieren, wie ein politisch stärker aktivistischer Journalismusnachwuchs traditionell moderierend wirkende Normen, wie Objektivität oder das Anhören „beider Seiten“ ganz explizit abstreift. Aktuelle kognitionspsychologische Forschung deutet zudem darauf hin, dass es Berufstätigen schwerfällt, ihre Haltung aus professionellen Entscheidungen herauszuhalten, selbst wenn starke Berufsnormen dies fordern. Dass dies auch auf Journalisten zutrifft, wurde wiederholt argumentiert und empirisch belegt.
- Es ist keineswegs klar, dass Verleger im Durchschnitt tatsächlich nicht auch links der politischen Mitte zu verorten sind. Die Debatte hierzu basiert weitgehend auf anekdotischer Evidenz. Vor allem aber bestehen auch hier gut etablierte Normen, die einen politischen „Durchgriff“ von Verlegern auf Redaktion und journalistischen Output moderieren könnten. Aufhorchen ließ vor einigen Jahren eine interne Befragung im als konservativ geltenden Verlagshaus Axel Springer, nach der die dort tätigen Journalisten mit überwältigender Mehrheit rot-grüne Wahlpräferenzen Dies weist nicht eben auf einen starken Einfluss der Verlegerin auf die politische Haltung einer Redaktion hin.
- Politische Biase in Berufsfeldern können unabhängig von den Präferenzen der Kundinnen und Kunden sehr persistent sein. Umso mehr, je politisch homogener das Berufsfeld (hier auch: je konsonanter die Berichterstattung) ist, denn dann fehlen dem Publikum die Ausweichoptionen. Selbstselektionseffekte und Homophilie im Berufsfeld erschweren auch die Etablierung von Alternativen, wie gescheiterte Versuche des Angebots eines konservativen Massenmediums illustrieren (zuletzt etwa der „Basler Zeitung“ in der Schweiz). Im Falle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks fehlen zumal marktbasierte Korrekturmechanismen. Tatsächlich zeigen Daten aus der Schweiz, dass Journalisten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wiederum etwas links ihrer bei privaten Medien arbeitenden Kollegen stehen.
- Aktuelle Forschung zur Verbreitung von Desinformation zeigt, dass diese häufig einem sozialen Zweck dient: Die Rezipienten verbreiten Inhalte demnach vor allem, um ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu signalisieren. Dieser Effekt dürfte Journalismusforschenden bekannt vorkommen, wurde doch in der einschlägigen Literatur die Neigung zur Kollegenorientierung im Berufsfeld vielfach thematisiert. Je politisch homogener aber das Berufsfeld ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass diese Koorientierung, dieser Wunsch nach Beachtung und Zugehörigkeit, zum Einzug von politischen Einseitigkeiten in der Verbreitung von Informationen führt.
- Es besteht eine auffällige Lücke zwischen der kommunikationswissenschaftlichen Schwierigkeit, einen Linksbias im journalistischen Output zu finden, und den Publikumswahrnehmungen. Eine sehr provokative Frage in diesem Zusammenhang wäre: Hat die politische Verortung der Disziplin möglicherweise einen Einfluss auf ihre Forschungsergebnisse? Stichwort: blinde Flecken. Darauf weist jedenfalls der Umstand hin, dass Analysen anderer Disziplinen und zum Teil automatisierte Analysen sehr viel eindeutiger einen linken Berichterstattungsbias identifizieren als manche kommunikationswissenschaftliche Inhaltsanalyse. Oder besteht die Schwierigkeit schlicht in der systematischen Erhebung eines so komplexen Phänomens wie eines inhaltlichen Biases, der immerhin die Berichterstattung und die Kommentierung umfasst, das Agenda Setting (einschließlich des Unterlassens von Berichterstattung), Framing und Priming, subtile sprachliche Cues und die Illustration? Inhaltsanalytische Erhebungen, die notwendigerweise auf sehr spezifische Aspekte der Berichterstattung fokussieren, kommen möglicherweise vorschnell zu dem Ergebnis, dass kein (allzu großer) Bias vorliegt, obwohl dieser im durch das Publikum rezipierten Gesamtkontext der Berichterstattung durchaus deutlich erkennbar ist.
Dies führt direkt zu einem bedeutsamen Argument für eine Relevanz des politischen Linksbias im journalistischen Berufsfeld: der Wahrnehmung seiner Leistung.
Ein unabhängiger Thinktank in den USA namens „Ad Fontes Media“ engagierte jüngst eine Reihe politisch heterogener Analysten, um basierend auf Inhaltsanalysen einer Selektion ihrer Berichte eine politische Verortung diverser Medienmarken vorzunehmen. Das markante Ergebnis: Die Analysten verorten nahezu alle massenmediale Marken links der politischen Mitte: CNN, ABC, NBC, BBC, Washington Post, New York Times, NPR und viele mehr. Dies entspricht Analysen, die die Publikumswahrnehmung in den Mittelpunkt stellen sowie Analysen, die eine politische Quellenverortung anhand von Publikumsinteraktionen in sozialen Medien vornehmen. Nach einer Umfrage des Pew Research Centers sprechen Anhänger der Demokraten zahlreichen Medienmarken ihr Vertrauen aus, Anhänger der Republikaner dagegen mehrheitlich nur einer: Fox News.
Diese Befunde sind bedeutsam, weil ihre sehr einhellige Verortung nahezu aller massenmedialer Angebote links der Mitte auf deren Output basiert, nicht auf der politischen Orientierung der dort beschäftigten Journalisten (Input). Sie stellen daher ein (weiteres) starkes Indiz dafür dar, dass die Annahme, der Linksbias im Berufsfeld schlage sich nicht auf den journalistischen Output nieder, nicht sehr plausibel ist.
Besonders eindrücklich, im US-Kontext, ist die fortlaufende Erhebung des Umfrageinstituts Gallup zum Medienvertrauen differenziert nach Parteienpräferenz. Demnach ist das Vertrauen der rechtsstehenden Befragten seit Jahrzehnten tiefer als jenes der linksstehenden, mit zunehmender Distanz.
Diese politisch asymmetrische Einstellung zu journalistischen Medien ist jedoch kein US-amerikanisches Phänomen. Eurobarometer-Daten zeigen ebenso, dass in Deutschland eher rechts der politischen Mitte stehende Befragte ein deutlich geringeres Vertrauen in „die Presse“ aufweisen als eher linksstehende. Gleiches gilt für TV und Radio. Dabei ist wichtig zu bedenken, dass das Vertrauen in Medien in einem positiven Zusammenhang steht mit ihrer wahrgenommenen ideologischen Nähe. Wenn also politisch Rechtsstehende ein geringes Vertrauen in „die Presse“ aufweisen, ist dies ein starker Indikator dafür, dass sie „die Presse“ als politisch feindselig wahrnehmen. Umgekehrt spricht ein höheres Vertrauen links der politischen Mitte für eine höhere wahrgenommene politische Konsonanz der medialen Inhalte.
Differenziertere Analysen, etwa des Instituts für Demoskopie Allensbach, zeigen dass die Unzufriedenheit des Publikums mit der medialen Berichterstattung sehr stark auf jene Anliegen fokussiert ist, die eher rechts stehenden Bürgerinnen und Bürgern am Herzen liegen, wie Migration, Euro-Rettung oder Brexit. Gemäß der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen ist auch das Vertrauen in die Berichterstattung zur AfD in Deutschland schwach ausgeprägt. Medienzynismus ist gemäß der Analyse auf der politischen Rechten stärker verbreitet als der politischen Linken.
Kann es angesichts der Fülle empirischer Evidenz zur Linksverschiebung im journalistischen Berufsfeld wirklich ein Zufall sein, dass der rechts der politischen Mitte stehende Teil des Publikums weniger zufrieden mit der Leistung journalistischer Medien ist als der linksstehende? Und umgekehrt: dass just jener Teil des Publikums, der politisch dem Median der Journalisten am nächsten steht, das höchste Medienvertrauen aufweist? Irren sich all jene Analysen, die eben doch einen linken Bias in der massenmedialen Berichterstattung finden? Oder ist es nicht deutlich plausibler, dass die politische Orientierung der Praktizierenden in der Berichterstattung durchschimmert, und dadurch eben einen Teil des Publikums eher zufrieden stellt als einen anderen?
Übrigens lassen sich ähnliche Phänomene auch am linken Rand des politischen Spektrums beobachten, also bei jenem Teil des Publikums, der politisch deutlich links vom journalistischen Median steht. Nur: die Anzahl Personen in diesem Spektrum ist erheblich kleiner als jene der Bürger, die politisch rechts von der journalistischen Mitte stehen. Daher dürfte die Publikumsunzufriedenheit auf der (ganz) Linken eine deutlich geringere politisch-medienökonomische Durchschlagskraft entfalten und auch weniger vernehmbar sein.
Implikationen für Forschung und Praxis
Wenn wir annehmen, dass der Linksbias im Berufsfeld Journalismus tatsächlich real, plausibel und relevant ist – also im journalistischen Output erkennbar und durch das Publikum wahrgenommen. Was ergibt sich daraus für die kommunikationswissenschaftliche Forschung zu so vielen uns derzeit umtreibenden Phänomenen?
- Alternative Medien: Studie um Studie zeigt, dass vor allem die politische Rechte, in Deutschland etwa Anhänger der AfD, alternative Medien – häufig qualitativ fragwürdige – nutzen. Dies korrespondiert mit der dominanten Position von Fox News im Medienkonsum konservativer Republikaner in den USA. Kann dieser Umstand wirklich überraschen, wenn nun mal politisch rechts Stehende eher unzufrieden mit dem etablierten massenmedialen Angebot sind? Rupert Murdoch gründete Fox News ausdrücklich, weil er eine Unzufriedenheit mit dem bestehenden Medienangebot unter Konservativen wahrnahm. Und der Erfolg gibt ihm recht. Wie der, keineswegs des Konservatismus verdächtige, Journalismusforscher Jeff Jarvis prägnant schrieb: „Establishment mainstream media are liberal. The vast majority of journalists are liberal. Journalism schools are liberal. Our failure to be honest and open about that is a key cause of the distrust that has overtaken news media, particularly from the right.” Mit anderen Worten: die Nutzung von “alternativen Medien” und die damit verbundene Empfänglichkeit für „Fake News“ auf der politischen Rechten kann als eine Folge nicht befriedigten Nachfrage nach politisch konsonanten Medieninhalten auf der Rechten verstanden werden.
- Desinformation / „Fake News“: Ebenso zeigen zahlreiche Studien, dass politisch rechts Stehende eher bereit sind, „Fake News“ zu glauben und zu verbreiten. Beides wiederum lässt sich unter der oben genannten Prämisse einfach erklären: Alle Mediennutzenden sind geneigt, politisch konsonanten Inhalten eher Glauben zu schenken. Politisch eher links Stehende finden diese Inhalte ausreichend häufig in den Massenmedien, politisch eher rechts Stehende seltener und suchen daher nach alternativen Quellen, die häufig von minderer Qualität sind, also zwar politisch konsonant aber kaum zuverlässig. Das Verbreiten von solchen „Fake News“ wiederum stellt eine Form von „Corrective action“ dar. Die wahrgenommene Unfairness eines großen Teils der journalistischen Berichterstattung wird (über-)kompensiert durch die Verbreitung von Gegennarrativen – auf der Rechten eher als auf der Linken.
- Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Warum kommt der öffentlich-rechtliche Rundfunk überwiegend von rechts unter Beschuss, etwa im Rahmen der jüngsten Debatte um eine Beitragserhöhung? Liberale und Konservative mögen schlicht eine Abneigung gegen Zwangsabgaben und einen überbordenden öffentlichen Sektor aufweisen, welche durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk symbolisiert werden, gewiss. Aber: Könnte es auch daran liegen, dass Journalistinnen und Journalisten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch etwas links der journalistischen Mitte stehen (und berichten) und die Inhalte dieser Medien daher das konservative Publikum überproportional häufig gegen sich aufbringen – zumal sie zu einer Finanzierung dieser Inhalte gezwungen sind?
- Polarisierung: Öffentliche Debatten werden zunehmend hitzig, gehässig. Fehlendes Medienvertrauen oder gar Medienzynismus tragen in diesem Zusammenhang zu einem Zerfall des öffentlichen Diskurses bei, zu zunehmendem Unverständnis zwischen den politischen Lagern. In den USA, mit ihrem Zweiparteiensystem, ist diese Entwicklung deutlicher als eine Polarisierung erkennbar als in Europa. Doch es lassen sich auch hierzulande korrespondierende Phänomene beobachten. Was bedeutet es in diesem Kontext, wenn das journalistische Berufsfeld immer akademischer, ideologisch homogener und aktivistischer wird? Ist nicht abzusehen, dass dies das Medienvertrauen auf der politischen Rechten weiter sinken lassen und den Erfolg qualitativ fragwürdiger „alternativer Medien“ weiter beflügeln wird? Lässt sich der weitere Zerfall des öffentlichen Diskurses wirklich aufhalten, wenn dieser bedeutsame Einflussfaktor weiter ausgeblendet oder negiert wird?
Fazit
Es soll hier keinesfalls argumentiert werden, „linke Journalisten“ seien eine, gar die Erklärung für alle Entwicklungen, die im Zeitalter der Digitalisierung den öffentlichen Diskurs herausfordern. Und: Die Unterscheidung zwischen „links“ und „rechts“ ist oft sehr plump, zumal in einem Mehrparteiensystem. Um aber auf die Reaktionen auf die eingangs erwähnte Befragung unter den ARD-Volontärinnen und -Volontären zurückzukommen: Es soll sehr wohl argumentiert werden, dass die öffentliche und akademische Debatte rund um die Rolle des Journalismus sachlicher, klarer und überzeugender geführt werden könnte, wenn eine so basale Feststellung wie ein politischer Bias im Berufsfeld nicht immer wieder von neuem behandelt werden müsste.
Das Berufsfeld selbst, aber auch die kommunikationswissenschaftliche Forschung könnte einen wertvolleren Beitrag zur Analyse und Überwindung mancher Dysfunktionen des (digitalen) öffentlichen Diskurses leisten, wenn der Widerwille gegen eine für sich genommen wenig erstaunliche empirische Erkenntnis fallengelassen würde. Hoffnungsvoll darf in diesem Zusammenhang der neu belebte Fokus von Praxis und Forschung auf die Vielfalt im journalistischen Berufsfeld stimmen. Eine Anregung wäre hier, statt nur auf demographische Vielfalt zu fokussieren, auch die politische Vielfalt nicht aus dem Auge zu verlieren. Jenseits des Atlantiks entstehen derzeit interessante akademische Initiativen, die die Bedeutung von „Viewpoint Diversity“ in der Beobachtung und Erklärung der Welt betonen. Und was für die Forschung gilt, gilt zweifellos auch für den Journalismus.
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