MEDIA Lab: Infotainment für junge Leser

17. Juni 2015 • Medienökonomie, Redaktion & Ökonomie • von

Ein Forscherteam hat den deutschsprachigen Zeitungsmarkt untersucht. Vor allem junge Leser wollen demnach unterhalten werden – am besten gratis.

Lesen junge Menschen Zeitung? Bei der jungen Leserschaft ist der Einbruch bei den deutschen Regionalzeitungen drastisch.

Lesen junge Menschen Zeitung? Bei der jungen Leserschaft ist der Einbruch bei den deutschen Regionalzeitungen drastisch.

Sterben Tageszeitungen die Leser weg? Diese Frage treibt Zeitungsverleger – nicht nur in Deutschland – intensiv um: Auflagenschwund und die Krise des tradierten Finanzierungssystems lassen zivilgesellschaftliche wie politische Stimmen laut werden, um Zeitungen als Institution der Demokratie zu schützen.

Jetzt liefert das Forschungsteam Jörg Hagenah, Birgit Stark und Erwin Weibel aus Deutschland und der Schweiz eine zeit- und ländervergleichende Studie zum Zeitungslesen im deutschsprachigen Raum. Besonders aufmerksam betrachten sie dabei die Effekte von Gratiszeitungen auf den Zeitungsmarkt. Obschon Deutschland, Österreich und die Schweiz jeweils als „Zeitungsländer“ mit hoher Verbreitung der Tagespresse gelten können, werden doch bemerkenswerte Unterschiede sichtbar. Die hohe Bedeutung der Lokal- und Regionalpresse ist typisch für Deutschland. Boulevard- und überregionale Zeitungen machen hier – anders als in der Schweiz und in Österreich – nur einen geringeren Anteil der Nutzung aus. Anders bei den Gratiszeitungen: In der Schweiz sind sie mit 20 Minuten und Blick am Abend – ähnlich wie in weiten Teilen Europas – ein etabliertes Angebot. In Österreich sind die beiden Gratisblätter noch vergleichsweise frisch am Markt. Vor allem in der Hauptstadt ringen sie der marktbeherrschenden Kronen Zeitung Leser ab. In Deutschland haben Verleger den Marktzutritt von Gratiszeitungen erfolgreich abgewehrt. Die Sorge, die kostenlose Lektüre in der Bahn gehe zu Lasten der Abonnement-Zeitung, hat sie in Köln mit aller Macht gegenhalten lassen.

Hat dieser Kampf genutzt und die Leserschaft erhalten? Die vorliegenden Daten stimmen skeptisch. Der mit Abstand drastischste Einbruch der Leserschaft findet sich bei den deutschen Regionalzeitungen. Bei jungen Leserinnen und Lesern ist die Reichweite binnen 10 Jahren von 52 auf 37 Prozent gesunken. Boulevard- und überregionale Zeitungen haben sich auf niedrigerem Niveau gehalten. In der Schweiz hat der Erfolg von 20 Minuten den Markt beträchtlich durcheinander gewirbelt. Das Gratisangebot geht einerseits zu Lasten der traditionellen Boulevardzeitungen. Zugleich – und das erscheint bemerkenswert – hat sich die Reichweite von Tageszeitungen insgesamt erhöht. Das Infotainment-Angebot der Gratisblätter erreicht damit vor allem eine jüngere Leserschaft, die andernfalls ganz aufs Lesen verzichten würde. Ob sie langfristig Informationsangebote der Verlage zu schätzen wissen, muss sich noch zeigen. Deutlich ist jedoch, dass allein Abwehrstrategien den Bedeutungsverlust der Zeitung nicht stoppen können.

Erstveröffentlichung: Der Tagesspiegel am 07.Juni 2015

Bildquelle: Karsten Seiferlin/flickr.com

 

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