Gewöhnlich interessieren sich für die Berichterstattung über den Bankensektor nur Aktionäre und Investoren, weshalb sie meist auf den hinteren Seiten der Zeitungen ihren Platz findet. In den vergangenen Jahren aber hat es die Bankenindustrie – hauptsächlich mit negativen Schlagzeilen – sehr oft auf die Titelseiten geschafft.
Gemeinsam mit Prime Research, einem Unternehmen für strategische Kommunikation, hat sich das Reuters Institute for the Study of Journalism in einer Studie mit der Frage beschäftigt, ob die Berichterstattung über den Banken- und Finanzsektor in Europa fair und angebracht war.
Das Forscherteam analysierte, wie Leitmedien aus Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Italien zwischen Januar 2007 und Dezember 2013 generell über die Banken- und Finanzindustrie, aber auch über einzelne Banken berichteten. Es nahm damit die Berichterstattung vor und nach dem Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank Lehmann Brothers im Jahr 2008 unter die Lupe. Insgesamt wurden 140.000 Artikel kodiert und ausgewertet.
Die oft gehörten Behauptungen, dass Finanzjournalisten zwischen 2007 und 2013 extrem negativ gegenüber der Bankenindustrie eingestellt gewesen wären und es darauf angelegt hätten, die Bankenindustrie schlecht zu machen, entsprechen laut den Studienautoren nicht der Wahrheit: Trotz des Ausmaßes der Finanz- und Wirtschaftskrise sowie der Anzahl der aufgedeckten Bankenskandale hatte nur ein Viertel (25 Prozent) der untersuchten Artikel einen „negativen“ Ton. Fast genauso viele Beiträge (24 Prozent) hatten laut der Forscher einen „positiven“ Ton. In drei Prozent der Artikel kamen negative und positive Aspekte vor und knapp die Hälfte der Berichterstattung wurde als „neutral“ bewertet.
Die Studienautoren stellten zudem fest, dass mit steigender Anzahl an Artikeln über eine Bank auch der Ton der Berichterstattung negativer wurde. Banken, über die am meisten berichtet wurde, erzeugten auch die größte Anzahl schlechter Nachrichten.
Am stärksten nahm die Finanzberichterstattung im ersten Quartal des Jahres 2008 zu. Im Vergleich zum Vorjahr stieg sie um 30 Prozent; Auslöser waren die Notverkäufe mehrerer US-Banken. Einen weiteren Höchststand erreichte sie im dritten Quartal des Jahres 2012 mit der Aufdeckung zahlreicher Bankenskandale.
„Wenn alles gut verläuft, scheinen die Medien auch sehr daran interessiert, gute Nachrichten zu bringen. Über die Royal Bank of Scotland wurde sehr gut berichtet, bevor sie in Schwierigkeiten geriet. Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass die Medien ihre Rolle weder darin sehen, den Banken in schlechten Zeiten den Rücken zu stärken, noch übermäßig kritisch zu sein“, sagt Robert G Picard, Forschungsleiter des Reuters Institute.
Ein zentrales Ergebnis der Studie scheint wenig überraschend: Wenn eine Bank große Verluste erleidet, finanziell instabil oder in Skandale und gerichtliche Untersuchungen verwickelt ist, macht sie negative Schlagzeilen. Bedeutender dürfte jedoch die folgende Feststellung sein: Auch wenn das Interesse der Medien nach einiger Zeit nachlässt, kann einer Bank dieses negative Image noch Monate oder sogar Jahre anhaften.
Es wurde die Berichterstattung über die Finanz- und Bankenindustrie folgender Zeitungen untersucht: Financial Times, The Times (Großbritannien); Frankfurter Allgemeine Zeitung, Handelsblatt (Deutschland); La Repubblica, La Stampa (Italien); Le Monde, Les Echos (Frankreich); Wall Street Journal Europe, Financial Times Europe, International Herald Tribune/International New York Times, The Economist (Europäische Publikationen).
Zudem wurde die Berichterstattung über einzelne Banken folgender Medien untersucht: The Times, Financial Times London, Wall Street Journal Europe, Financial Times Europe, The Economist, Daily Telegraph, International Herald Tribune, Financial News, The Banker, Reuters, Breakingviews.
Meera Selva ist eine der Autorinnen der Studie ,Media coverage of banking and financial news‘. Das Reuters Institute for the Study of Journalism gehört zum EJO-Netzwerk. Eine frühere Version dieses Beitrags (auf Englisch) wurde am 29. April 2014 auf der Website des RISJ veröffentlicht.
Übersetzt aus dem Englischen von Tina Bettels
Bildquelle: EU Social / Flickr Cc
Schlagwörter:Bankenkrise, Deutschland, Europa, Finanzjournalismus, Frankreich, Großbritannien, Reuters Institute for the Study of Journalism