Das Leben der Plastikenten

27. November 2012 • Ressorts • von

Die Wirtschaftspresse hat sich gewandelt wie kaum eine andere Mediengattung. Francine Jordi weiß das.

Im Jahr 2000 verkaufte Gerhard Isler seine Finanz und Wirtschaft an den Medienkonzern Tamedia. Er hatte die Zeitung, die zweimal pro Woche erscheint, von seinem Vater geerbt. Tamedia bezahlte Isler die aus heutiger Sicht horrende Summe von sechzig Millionen Franken. Auch die NZZ-Gruppe hätte die FuW gerne übernommen und bot mit.

Heute ist man bei der NZZ noch so froh, dass man das Wirtschaftsblatt damals nicht bekommen hat. Die aktuelle Situation der FuW ist für Tamedia-Präsident Pietro Supino „unbefriedigend“. In der Wortwahl von Verlegern heißt unbefriedigend miserabel.

Medienmärkte ändern sich permanent, das ist nichts Neues. Es gibt schrumpfende Märkte, wie jener der bezahlten Tageszeitungen. Es gibt expandierende Märkte, wie jener am Sonntag. Es gibt stabile Märkte beim Radio-konsum. Selbst in diesem volatilen Umfeld ist die Wirtschaftspresse ein Sonderfall. Es gibt kaum eine andere Mediengattung, die in den letzten zwölf Jahren derart extreme Höhen und Tiefen durchlief.

Zur Illustration hüpfen wir nochmals kurz ins Jahr 2000 zurück. Es war die Zeit, als jede Apothekerin und jeder Abwart Aktien kaufte. Sie kauften Tech-Titel und Derivate. Der Kaufrausch sollte später als Internet-Blase in die Geschichte der Finanzmärkte eingehen. Die Finanz und Wirtschaft schwamm wie eine Plastikente zuoberst auf diesem Börsenstrom. Jede Woche gewann das Blatt 150 neue Abonnenten. Die Auflage sprang auf 55 000 Exemplare. Heute ist es noch die Hälfte davon.

Es war das Schlaraffenland. Die Wirtschaftszeitung Cash verkaufte gar 72 000 Exemplare – es gibt sie nicht mehr. Das Magazin Bilanz hatte eine Auflage von gegen 60 000 – heute sind es noch 37 000. Die Handelszeitung verdiente Geld wie Heu – und wurde vom deutschen Axel-Springer-Verlag zu einem horrenden Preis gekauft. Dann war der Börsenboom vorbei. Die Apothekerin und der Abwart kauften keine Aktien mehr, sie kauften nun Appartements. Die Wirtschaftsblätter waren keine Selbstläufer mehr. Die Redaktionen mussten überlegen, wie sie sich im veränderten Marktumfeld positionierten. Dazu eine kurze Bestandsaufnahme der heutigen Big Three.

Die Finanz und Wirtschaft ist nüchtern. Unter ihrem Chef Mark Dittli ist sie ein klassisches Anlegerblatt geblieben. Substanziell gemacht. Wenn ich mich für die Eigenkapitalrenditeziele des Glencore-CEO interessiere, gibt es nicht viel Besseres. Die Frage ist bloß, ob ich mich für die Eigenkapitalrendite von Glencore interessiere. Die Bilanz ist elegant. Unter ihrem Chef Dirk Schütz liefert sie gutrecherchierten, profunden, aber auch unterhaltenden Lesestoff aus Chefetagen und Hinterzimmern. Professionell gemacht. Ich schreibe gelegentlich auch eine Kolumne für die Bilanz – das allein schon beweist den guten Geschmack der Redaktion.

Die Handelszeitung ist pointiert. Unter ihrem Chef Beat Balzli ist sie eine Art Poltergeist der Wirtschaftsszene. Engagiert gemacht. Gern legt sie sich mit der Elite an, etwa mit UBS-Chef Sergio Ermotti. Wäre man etwas böse, würde man sie als Manager-Glückspost bezeichnen. Aber man ist ja nicht böse. Bei allen drei Blättern, in unterschiedlicher Intensität, zeigt sich der generelle Wandel des Wirtschaftsjournalismus seit dem Jahr 2000. Sachfragen rückten in den Hintergrund. Personenfragen wurden wichtig. Nüchterne Wirtschaftsnews haben beim Publikum nur noch wenig Resonanz. Wirtschaftsblätter sind eine Art People-Magazine geworden.

Francine Jordi, Urs Rohner, Roger Federer, Severin Schwan, Melanie Winiger, Carsten Schloter. Der Unterschied ist nicht mehr allzu groß.

Erstveröffentlichung: Weltwoche Nr. 47 / 2012

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