Erstveröffentlichung: Message, 2/2004
Die US-Medien haben in der Irak-Berichterstattung versagt. Da sind sich Medienjournalisten einig. Strittig ist jedoch, ob journalistische Normen oder patriotische Gefühle der Hauptgrund dafür waren.
Der 11. September hat die westliche Welt traumatisiert – und den amerikanischen Journalismus paralysiert und in einen Trance-Zustand versetzt, aus dem er erst nach dem dritten Golfkrieg, aber immerhin rechtzeitig vor der nächsten Präsidentschaftswahl zu erwachen scheint. Jedenfalls stellt er wieder selbstkritische Fragen – nachzulesen in den beiden wichtigsten US-Fachzeitschriften für Journalisten, dem «Columbia Journalism Review» und dem «American Journalism Review» (AJR).
In ihrer Rückschau sind sich beide Titel in der Bewertung der amerikanischen Irak-Berichterstattung einig: Die Medien, zumal die Fernseh- Networks, haben die Regierung Bush mit Samthandschuhen angefasst, statt notwenige, kritische Fragen zu stellen. Die genauere Analyse, warum das so war, unterscheidet sich dagegen beträchtlich.
Beide Magazine rufen zunächst einen besonders peinlichen Einzelfall in Erinnerung, der illustriert, worum es im Ganzen ging: 94 Reporter seien Anfang März letzten Jahres im Weissen Haus zusammengekommen. Präsident Bush gab allein und zur Prime time eine Pressekonferenz, in der er neuerlich seinen Krieg gegen den Terror erläuterte und behauptete, Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen, und diese Waffen seien eine direkte Bedrohung für die USA. Bei dieser Pressekonferenz, so hat der «Columbia Journalism Review» nachgezählt, habe Bush in 52 Minuten 13 mal al-Kaida und die Attacken des 11. September erwähnt. Kein einziger Journalist habe die damit unterstellte Verbindung zwischen dem Irak und der Terrororganisation in Frage gestellt. Dabei hatte zuvor sogar die CIA Zweifel daran geäussert, dass sie bestehe. Ähnlich seien bereits Monate vor dem Krieg in Dutzenden von Artikeln und Sendungen Nachkriegs-Szenarien entworfen worden – aber kaum eine dieser Geschichten habe sich den vielfältigen und plausiblen Komplikationen gewidmet, in die Amerika nach dem Ende der Kampfhandlungen hineingezogen werden würde. Das habe sich erst geändert, als der Präsident selbst das Thema auf die Agenda gesetzt habe.
Der «American Journalism Review» hob hervor, dass auf dieser Pressekonferenz 30 Fragen gestellt worden seien. Keine einzige davon habe sich auf die Probleme in Amerika selbst bezogen, etwa auf das ausufernde Haushaltsdefizit, die steigenden Ölpreise, die rapide wachsende Arbeitslosigkeit oder die dramatischen Preiserhöhungen bei Medikamenten. Wenn es einen Verlierer dieser Abendveranstaltung gegeben habe, so sei er das Pressekorps des Weissen Hauses gewesen. Das Journalisten-Pack scheine «vollkommen domestiziert» worden zu sein, wird ein Beobachter zitiert.
Beim Versuch zu erklären, warum die US-Medien sich eher als Schosshündchen der Regierung gerierten, statt ihrer angestammten Rolle als Watchdogs und Wadlbeisser gerecht zu werden, scheiden sich jedoch die Geister – wobei beide Analysen sich eher sinnfällig ergänzen als wechselseitig ausschliessen.
Für Brent Cunningham, den Managing Editor des «Columbia Journalism Review», ist die Objektivitätsnorm die Achillesferse des amerikanischen Journalismus. Diese Norm verpflichte eben Journalisten nicht nur auf Unparteilichkeit und Fairness, sondern verführe auch zur Faulheit. Statt Nachrichten gründlich auszurecherchieren und zu einem tieferen Verständnis von Sachverhalten zu gelangen, würden Journalisten obsessiv den Aktualitäten hinterherjagen und im Zweifelsfall, um ausgewogen zu sein, eine ungeprüfte Behauptung gegen eine andere stellen. Die Objektivitätsnorm verleite dazu, offiziellen Stellen zu viel Glauben zu schenken, weil das der einfachste und schnellste Weg sei, zum «Er sagte…»- und zum ergänzenden «Sie sagte…»-Statement zu kommen und somit eine Meldung auszubalancieren.
Dem Medienanalysten Andrew Tyndall zufolge seien von den 414 Beiträgen, die die drei Networks NBC, ABC und CBS in der Zeit vor Kriegsbeginn von September 2002 bis Februar 2003 ausgestrahlt hätten, fast alle auf Quellen im Weissen Haus, im Pentagon und im State Department rückführbar. Nur 34 Geschichten – also gerade einmal acht Prozent – seien anderen Ursprungs gewesen.
Die PR-Maschinerie, die bereits im frühen zwanzigsten Jahrhundert die Welt des objektiven Journalismus aufgemischt habe, sei inzwischen «zu einem Spin-Monster herangereift, das so allgegenwärtig ist, dass fast jedes Wort, das ein Reporter offiziell erfährt, vorher zurechtgebogen und poliert» werde, meint Cunningham. Unter solchen Rahmenbedingungen sei die in den Redaktionen als heilig hochgehaltene Norm der Fairness verkommen zur «skrupulösen Passivität», zu einer stillschweigenden Übereinkunft, eine Geschichte «nicht mehr so zu beschreiben, wie sie sich zuträgt, sondern wie sie präsentiert und zurechtgestutzt wird.»
Die Objektivitätsnorm versage auch, wenn es darum gehe, den Kontext eines Geschehens journalistisch zu erläutern: «Wann zum Beispiel ist es relevant, in einem Artikel über die Massenvernichtungs-Waffen des Irak herauszuarbeiten, dass die USA Saddam Hussein dabei behilflich gewesen sein dürften, seine Waffenarsenale in den 80er Jahren aufzubauen. Soll man das jedes Mal erwähnen? Oder gar nicht?» Die Objektivitätsnorm gebe keine Antwort auf solche Fragen.
Zu guter Letzt hinterlässt Cunningham mit seinem Frontalangriff auf die Objektivität freilich eher Ratlosigkeit. Zwar fasst der Beitrag, festgemacht an aktuellen Beispielen, geschickt zusammen, was auch in der Kommunikationswissenschaft seit Jahrzehnten zu diesem Thema hin und her gewälzt wurde. Die Frage, was an die Stelle von Objektivität treten könnte, bleibt jedoch ungeklärt. Die Antwort findet sich womöglich am Anfang des Beitrags – und erinnert frappant an ein berühmtes Churchill-Zitat zur Demokratie: «Die Objektivitätsnorm hat aus einigen guten Gründen überdauert. Der wichtigste ist wohl, dass sie durch nichts Besseres ersetzt werden konnte.»
Das «American Journalism Review» folgt dagegen dem konventionelleren Erklärungsmuster. Dort wird herausgearbeitet, wie ganz Amerika nach den Terrorattacken des 11.September von einer Woge des Patriotismus erfasst wurde. Die Regierung habe sich von dieser Welle tragen lassen und zugleich von der Schwäche der Opposition profitiert. Einschüchternd hätten aber auch die vielen rechtslastigen Radio- und Kabel-TV-Talksendungen gewirkt, in denen seit Jahren gegen die angeblich linksliberalen Medien Stimmung gemacht worden sei. «Der amerikanische Journalismus ist regelrecht foxifiziert worden», so wird der frühere Washingtoner Büroleiter von CNN, Frank Sesno, zitiert, um den wachsenden Einfluss des ebenfalls rechtslastigen Nachrichtenkanals Fox zu umschreiben, der Rupert Murdoch gehört.
Hinzugekommen seien aber noch andere Faktoren: Nach dem Ende des Kalten Kriegs habe das Pressekorps im Weissen Haus an Prestige eingebüsst. Es seien dort heute weniger erfahrene und auch weniger talentierte Journalisten tätig als früher, meint Mark Halperin, Politik- und Nachrichtenchef beim Network ABC. Der Präsident und seine Mitarbeiter wüssten ausserdem, wie sehr die Öffentlichkeit inzwischen den Medien misstraue – auch deshalb könne die Regierung die Journalisten «übergehen und plattwalzen».
Immerhin, es gibt auch Stimmen, die aus dem Konzert ausscherten: Der parteiunabhängige Council for Excellence in Government hat vergleichend die Medienberichterstattung über das jeweils erste Regierungsjahr der Präsidenten Ronald Reagan, Bill Clinton und George W. Bush untersucht. – und festgestellt, dass in allen drei Fällen die Präsidenten schlecht weggekommen sind. Robert S. Lichter, Präsident des Center for Media and Public Affairs, das die Inhaltsanalyse erstellt hat, gelangt zu dem Schluss, die Medien gingen alle Präsidenten hart an.
Rachel Smolkin, die Autorin des AJR-Berichts, wendet an diesem Punkt allerdings zu recht ein, dass es zu unterscheiden gelte zwischen angemessener Skepsis und ungerechtfertigtem Negativismus. Clinton, so lässt sich ihr Argumentationsgang zusammenfassen, ist auch das Opfer eines Schlüsselloch-Journalismus geworden, der sich viel mehr für persönliche Verfehlungen der Prominenz als für Politik interessiert. Mit seinen Affären sei Bushs Vorgänger ein gefundenes Fressen für die Medien mit ihrem Appetit für einfache Geschichten gewesen. «Die Clinton-Skandale», so wird ein früherer Präsidenten-Gehilfe und heutiger Fox-Mitarbeiter zitiert, «sind fassbar gewesen: Hat er seine Frau betrogen oder nicht, hat er unsaubere Immobiliengeschäfte getätigt oder nicht, hat er Paula Jones sexuell belästigt oder nicht». Dagegen sei es viel undankbarer und schwieriger, sich mit einem so komplexen Thema wie dem Krieg gegen den Terror auseinandersetzen zu müssen.
Versagt hätten die US-Medien auch, weil sie viel zu wenig aufgegriffen und diskutiert hätten, warum sich «die Franzosen, die Deutschen, die Chinesen, die Japaner und die Türken» so gänzlich anders zum Krieg gestellt hätten. «Es hat an gesunder Skepsis gegenüber der Regierung gefehlt», wird CNN-Vice President Sesno zitiert. Und der Herausgeber der «New Republic», Peter Beinart, fügt hinzu, bestimmte Aussagen seien so oft von Regierungsseite behauptet und wiederholt worden, dass die Medien sie schliesslich für bare Münze genommen hätten. Statt etwa vorsichtig zu umschreiben, der Irak könnte an Rüstungsprogrammen arbeiten, hätten die Medien vorschnell behauptet, der Irak «hat» oder «besitzt» bestimmte Waffen.
Weiterführende Literatur:
– Brent Cunningham, Rethinking Objectivity, «Columbia Journalism Review», July/August 2003
– Rachel Smolkin, Are The News Media Soft on Bush?, «American Journalism Review», October/November 2003
Schlagwörter:11. September, Irak-Berichterstattung, Irak-Krieg, Präsidentschaftswahl, USA