Journalisten-Konzentration in Brüssel

12. Dezember 2008 • Ressorts • von

Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung

Auslandberichte im deutschsprachigen Raum.

Dem jüngst erschienenen Handbuch «Deutsche Auslandskorrespondenten» ist zu entnehmen, dass deutsche Zeitungen, Magazine und Rundfunksender über 860 regelmässig liefernde Korrespondenten ausserhalb der Landesgrenzen beschäftigen. Auch lehrt ein vergleichender Blick, dass der Anteil der Auslandsnachrichten in deutschen und schweizerischen Blättern grösser ist als in angelsächsischen. In der Regel sind sie auch prominenter placiert.

Existenziell für einen Kleinstaat
Die ebenso breite wie intensive auswärtige Kulturberichterstattung, die bei einigen deutschsprachigen Qualitätsblättern sogar von eigenen Kulturkorrespondenten geleistet wird, findet in der angelsächsischen Tagespresse kein Pendant. Hier wirken wohl verschiedene kulturspezifische Traditionen. Für die Schweiz gilt nach Ansicht des Zürcher Universitätsprofessors Kurt Imhof ohnehin, dass sie als kleines Land, das von grossen Nachbarn umgeben ist, schon aus existenziellen Gründen auf eine sorgfältige Beobachtung des Geschehens ausserhalb der Landesgrenzen angewiesen ist.

Nun ist der Unterschied zwischen der angelsächsischen und der deutschsprachigen Auslandsberichterstattung aber nicht so einfach zu beschreiben, wie es die genannten Zahlen nahelegen. Auch im deutschsprachigen Raum ist längst nicht alles Gold, was glänzt. So geriet in diesem Frühjahr das ZDF unter den Beschuss eigener Auslandskorrespondenten. Sie monierten eine zunehmende Verflachung der Auslandsberichterstattung.

Ulrich Tilgner, langjähriger ZDF-Korrespondent im Nahen Osten, sah keine Arbeitsmöglichkeit mehr für sich im Sender. Unabhängige Auslandsberichterstattung werde in Nischen abgedrängt, politische Vorgaben zwängten den Reporter vor allem in den Kriegs- und Krisenregionen, in denen deutsche Soldaten eingesetzt sind, auf eine regierungsnahe Linie. Insgesamt zähle nicht mehr das Wissen des Korrespondenten, sondern das redaktionelle «Design», das den Stücken verpasst werde. Kurz, knapp und oberflächlich sei das, weshalb Tilgner beim ZDF seinen Vertrag nicht verlängerte und nun vor allem fürs Schweizer Fernsehen arbeitet, wo er bessere Arbeitsbedingungen sieht.

Kritik an der Ignoranz der Redaktionen
Das Handbuch «Deutsche Auslandskorrespondenten» liefert weitere Hinweise für eine kritische Betrachtung der Auslandsberichterstattung. Der Hauptteil des Bands, der von einer Gruppe von Kommunikationswissenschaftern herausgegeben wurde, ist der Beschreibung des Arbeitsplatzes an 18 Standorten gewidmet. Bei allen Unterschieden, die der geografischen Lage, dem jeweiligen Anstellungsverhältnis und den politisch-gesellschaftlichen Verhältnissen des Standorts geschuldet sind, werden Ähnlichkeiten erkennbar: Gegenstand wiederkehrender Klagen ist die angebliche Ignoranz der Heimatredaktionen, die sich nach Ansicht der Korrespondenten die Agenda viel zu sehr von den Nachrichtenagenturen bestimmen lassen.

Deutlich wird die immense Aufgabe der Korrespondenten, die in Lateinamerika, Afrika und Südostasien räumlich riesige Gebiete mit unterschiedlichen Sprachen, Kulturen und politischen Systemen zu betreuen haben. Die traditionelle Nachrichtengeografie gilt weiterhin: Westeuropa und Nordamerika werden kontinuierlich beobachtet, während die Dritte Welt zu jener Peripherie gehört, aus der vorzugsweise in Kriegs- und Krisenzeiten berichtet wird.

Riesige Ansammlung in Brüssel
Erstaunlich ist allerdings die Ressourcenvergeudung an einigen Orten. So zählt das Handbuch in Brüssel mit 167 Personen die grösste Ansammlung deutscher Auslandberichterstatter, ohne dass der Medienkonsument von diesem journalistischen Bataillon eine sonderlich beeindruckende Leistung geboten bekäme. Vielleicht liegt das auch daran, dass sich annähernd die Hälfte der EU-Korrespondenten als Propagandisten der europäischen Idee versteht und keine Lust auf investigative Recherchen spürt. Schliesslich ist viel Unzufriedenheit zu spüren über die Dauerbeschäftigung mit Routineberichten über die offiziöse Politik. Für Hintergrundstücke sei zu wenig Zeit und Platz. Was davon im Einzelfall auf die Trägheit des Korrespondenten, was auf die Einfallslosigkeit der Redaktion zurückzuführen ist, kann ein Aussenstehender kaum beurteilen.

Moderne Techniken haben die Arbeitsbedingungen verändert. So braucht es fürs Fernsehen heute keine grossen Teams mehr, was einen neuen, oft sehr an dramatischen Geschichten interessierten Typus des Auslandsreporters auf den Plan gerufen hat. Und wer seine Tätigkeit aufs Zusammenfassen der Meldungen aus den Medien des Gastlandes beschränkt, der hat vermutlich wirklich das Internet zu fürchten, aus dem der Heimatredaktor dieselben Informationen gewinnen kann. Gerade in Krisenzeiten weiss manchmal die Redaktion mehr als der Korrespondent vor Ort. Jörg Ambruster, ehemaliger ARD-Nahostkorrespondent, schildert, wie er 2005 aus Kairo live über einen Terroranschlag berichten musste und dabei nur die Informationen aufsagen konnte, die ihm zuvor die Hamburger Tagesschau-Redaktion gegeben hatte.

Die Vorstellung, allein «räumliche Nähe liefere eine qualitativ bessere Berichterstattung», ist eben, wie Thomas Knüwer, Medienbeobachter des Handelsblatts, jüngst mit Blick auf den Journalistenauflauf bei US-Wahlparteitagen feststellte, ein Irrglaube. Das taugt zur Erzeugung des schönen Scheins grosser Authentizität und schärft vielleicht das Markenprofil der Medien. Zur Verbreitung von Weltwissen ist das zu wenig.

Oliver Hahn / Julia Lönnendonker / Roland Schröder (Hg): Deutsche Auslandskorrespondenten. Ein Handbuch. UVK, Konstanz 2008.

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