Westliche Mediensysteme, unter ihnen besonders Printmedien, sind immer stärker von einer ökonomischen und strukturellen Medienkrise bedroht: Eklatante Einsparungen im redaktionellen Bereich führen zu einer Ressourcenarmut, die sich nachweislich auf die publizistische Qualität von Medientiteln auswirkt.
Die massenmediale Berichterstattung über Wissenschaft ist ebenfalls von diesen Auswirkungen betroffen. Das wiegt schwer, denn wissenschaftlichem Wissen kommt ein zentraler Stellenwert in modernen Gesellschaften zu.
Generell zeigt sich, dass die wissenschaftliche Deutungshoheit seit den 1960er Jahren zunehmend mit Legitimationsproblemen zu kämpfen hat und das System Wissenschaft stärker problematisiert wird. Gründe dafür liegen erstens in einem Wertewandel, innerhalb welchem die wissenschaftlich-technische Verfügbarmachung zunehmend skeptischer beurteilt wird (was sich z.B. in der Diskussion zu Gentechnologie niederschlägt).
Zweitens haben durch die Loslösung der Medien aus der Parteipresse in den 1960er Jahren prinzipiell fortschrittsoptimistische Weltanschauungen in der öffentlichen Kommunikation an Bedeutung verloren. Drittens und besonders bedeutsam für die verstärkten Reputationsprobleme wissenschaftlicher Institutionen sind die neuen Selektions- und Interpretationslogiken der gegenwärtigen Mediengesellschaft.
So zählt es zur Funktionslogik der ökonomisch orientierten Mediensysteme, Probleme und Bedrohungen, insbesondere aber auch die Risiken wissenschaftlicher Forschung ins Zentrum massenmedialer Berichterstattung zu rücken. Die beschriebenen Entwicklungen haben zur Konsequenz, dass wissenschaftliches Wissen unter Bedingungen der krisenbedingten Ressourcenarmut im redaktionellen Bereich ihren Nimbus der Deutungshoheit verliert und die Wissenschaft zunehmend mit akzentuierten Reputationsrisiken konfrontiert wird.
Der vermutete öffentliche Problematisierungsdruck auf das System Wissenschaft wird in unserer Studie mithilfe einer Inhaltsanalyse Schweizer Leitmedien aller Mediengattungen aus historischer (1945-2013)* und gegenwartsbezogenen Perspektive (2009-2013)** empirisch überprüft (Eisenegger/Gedamke 2013). Innerhalb der langfristigen Untersuchung kann eine Zunahme an problematisierend-skandalisierender Berichterstattung über das Handlungssystem Wissenschaft gezeigt werden. Die gegenwartsbezogene Analyse ergibt hingegen ein zweigeteiltes Bild: Einerseits lässt sich eine Berichterstattung beobachten, die weitgehend unhinterfragt auf die Inhalte der Wissenschaft abstellt und stark vermeldenden, wertfreien Charakter hat. In dieser Berichterstattung kommen verstärkt Kurz- und Agenturmeldungen vor.
In Zeiten einer strukturellen Medienkrise und Ressourcenarmut wird Wissenschafts-PR massenmedial also gerne und zumeist unkritisch übernommen. Andererseits lässt sich feststellen, dass medial nur dann journalistische Ressourcen in Form bewertender Eigenleistung und/oder Recherche aktiviert werden, wenn die Möglichkeit besteht, Wissenschaft zu problematisieren oder sogar zu skandalisieren. In diesem Kontext sind sowohl umfangreichere, als auch kritischere Berichte zu verzeichnen. Diese erhöhte journalistische Eigenleistung ist insbesondere bei Fernsehnachrichten und Abonnementszeitungen (on- und offline) zu verzeichnen.
Insgesamt kann mit der Untersuchung gezeigt werden, dass die mediale Thematisierung von Wissenschaft einem zwiespältigen Grundmuster folgt. Einerseits hat es das Wissenschaftssystem unter Bedingungen knapper Ressourcen im Journalismus einfacher, mit seinen Inhalten Medienaufmerksamkeit zu erhalten. Andererseits zeigt sich eine verstärkte Tendenz, die Wissenschaft in spezifischen Themenkontexten in allen Medien gleichläufig zu problematisieren oder gar zu skandalisieren. Die Problematisierung der Wissenschaft durch Medien fokussiert sich insbesondere darauf, wissenschaftliche Professionalität moralisch zu hinterfragen (z.B. Plagiatsfälle an Universitäten), ihre ökonomischen und politischen Unabhängigkeit, ihre gesellschaftlichen Relevanz und schließlich auch ihre Werturteilsfreiheit anzuzweifeln. Gesamthaft ist das Wissenschaftssystem dadurch einer erhöhten Reputationsvolatilität ausgesetzt.
Daraus leitet sich ab, dass die mediale Thematisierung von Wissenschaft immer mehr einer Logik folgt, wonach wissenschaftliches Wissen als vorläufiges, ungesichertes Wissen erachtet wird und die wissenschaftlichen Wissensproduzenten verstärkt um ihren Ruf bangen müssen. Da der Ruf von Wissenschaft damit gleichzeitig stärker im öffentlichen Raum mitverhandelt wird, zwingt dies die Wissenschaftsakteure zur Reaktion, sich häufiger öffentlich zu äußern. Aus diesem, sich wechselseitig verstärkenden Aufschaukelungsprozess leitet sich ab, dass die Wissenschaft weiterhin sehr präsent in der Medienöffentlichkeit bleiben wird. Es zeigt sich hier ein folgenreicher Medialisierungseffekt, welcher die Wissenschaft zwingt, ihre mediengerichtete Kommunikation weiter zu professionalisieren und dafür auch die entsprechenden Ressourcen bereit zu stellen.
*Leitmedien in historischer Untersuchung: Neue Zürcher Zeitung (Qualitätspresse), Tages-Anzeiger (Forumszeitung), Blick (ab 1960, Boulevardzeitung), Vaterland (ab 1991/1996 ersetzt durch die Folgeorgane Luzerner Zeitung bzw. Neue Luzerner Zeitung) sowie Tagwacht (ab 1993 ersetzt durch das Folgeorgan Berner Zeitung).
**Leitmedien in gegenwartsbezogener Untersuchung: Mittellandzeitung, Basler Zeitung, Berner Zeitung, Die Südostschweiz, Neue Luzerner Zeitung, Neue Zürcher Zeitung, Tages-Anzeiger, Blick, SonntagsBlick, 20 Minuten, NZZ am Sonntag, Der Sonntag, SonntagsZeitung, Weltwoche, DRS1 Echo der Zeit, DRS1 Rendez-Vous, Radio Argovia Nachrichten, Radio 24 News, SF1 10vor10, SF1 Tagesschau, Tele M1 Aktuell, Tele Züri News, NZZ Online, tagesanzeicher.ch, Blick.ch, 20minuten.ch; 24 heures, Le Temps, Tribune de Genève, Le Matin, Le Matin Dimanche, 20 minutes, La 1ère Le 12h30, Lausanne FM Journal, RTS Un Journal, Léman Bleu Journal, 24heures.ch, Tribune de Genève Online, Lematin.ch, 20minutes.ch; Corriere del Ticino, Il Caffè, Rete Uno Radiogiornale 12.30, Radio 3iii Radiogiornale, LA1 Telegiornale Sera, Tele Ticino News.
Literatur:
Mark Eisenegger & Susanne Gedamke (2013): Wissenschaft in den Medien. Zur Logik medialer Wissenschaftsthematisierung. In: medien & zeit, 4/2013, S. 34-44.
Bildquelle: Screenshot nzz.ch vom 11. Juli 2014
Schlagwörter:Berichterstattung, Medienkrise, Schweiz, Wissenschaft, Wissenschafts-PR