Seit dem Beginn des Krieges gegen die Ukraine ist die Pressefreiheit in Russland noch stärker eingeschränkt. Eine unabhängige journalistische Berichterstattung ist fast unmöglich. Doch wie konnte es so weit kommen und wie kommen die Russen jetzt noch an unabhängige Nachrichten?
Anfang März zündete Russlands Präsident Wladimir Putin die nächste Eskalationsstufe der Repressionen gegen Medienhäuser, Journalistinnen und Journalisten. Im Schnellverfahren verabschiedete der Kreml ein Gesetz, das für die Verbreitung von „Falschnachrichten“ über das russische Militär Geldstrafen und bis zu 15 Jahre Haft vorsieht (Art. 207.3). Der Krieg gegen die Ukraine darf zudem in den Medien weder als „Angriff“ noch als „Krieg“ benannt, sondern soll als „militärische Sonderoperation“ bezeichnet werden. Das Gesetz richtet sich nicht nur gegen einheimische Journalistinnen und Journalisten, sondern auch gegen Korrespondentinnen und Korrespondenten ausländischer Medien. So sperrte Russland beispielsweise die Seiten der Deutschen Welle mit dem Vorwurf, dass der Auslandssender Falschnachrichten verbreiten würde.
„Wir erleben seit vielen Jahren zunehmende Repressionen gegen russische Journalisten und Journalistinnen. Ständig leben sie mit dem Damoklesschwert, zum ausländischen Agenten ernannt zu werden. Ihnen drohen Gerichtsverfahren, ihnen drohen Geldstrafen, ihnen drohen Haft“, sagte Katja Gloger, Vorstandsmitglied der Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) am 4. März in den Tagesthemen. Durch das Gesetz werde das Damoklesschwert jetzt auch auf ausländische Korrespondentinnen und Korrespondenten ausgeweitet, erklärte sie und ergänzte mit großer Sorge: „Und das ist schon eine neue Qualität, die uns sehr sehr beunruhigen muss und möglicherweise ein Zeichen dafür ist, dass sich das autoritäre, das repressive Regime von Putin doch mehr und mehr zu einem diktatorischen wandelt.“
Als Reaktion auf dieses neue Gesetz stellten viele ausländische Medien ihre Berichterstattung aus Russland vorübergehend ein. Auch die ARD und das ZDF verzichteten zum Schutz ihrer Korrespondentinnen und Korrespondenten auf eine Berichterstattung aus Russland. Mittlerweile haben die beiden Sender ihre Berichterstattung wieder aufgenommen. Über die kriegerischen Handlungen gegen die Ukraine berichten sie aber vorerst von anderen Standorten. Das neue Gesetz des Kremls zeigt, wie skrupellos Putin und sein Regime gegen Medienhäuser, Journalistinnen und Journalisten vorgehen und die Pressefreiheit im Land immer stärker eingrenzen.
Presse ist schon lange nicht mehr frei
In der Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ (ROG, 2022) befindet sich Russland auf Platz 150 von 180 Ländern. Auch die internationale Menschenrechtsorganisation „Freedom House“ gibt Russland in ihrem „Freedom House-Index“ bei der Frage „Gibt es freie und unabhängige Medien?“ null von vier Punkten.
Seit Putins Amtsantritt im Jahr 2000 hat sich die Medienlandschaft in Russland stark verändert. Bereits in seiner ersten Amtszeit nahm er die Fernsehsender unter staatliche Kontrolle. Er zerschlug die Konzerne privater Medienmogule und eignete sich deren Sender an. Leitende Posten wurden mit Kremlanhängern besetzt. So machte er das Fernsehen zu einem zentralen und abhängigen Pfeiler seiner Macht.
Gesetze schränken Journalisten ein
Bereits im Oktober 2013 berichteten Reporter ohne Grenzen in ihrem Lagebericht „Der Kreml auf allen Kanälen – Wie der russische Staat das Fernsehen lenkt“ über Einschränkungen der Pressefreiheit. So wurden mit Beginn der dritten Amtszeit Putins im Mai 2012 einige Gesetze verabschiedet, die die Freiheit von Journalisten weiter einschränkten. Seit Juli 2012 ist „Verleumdung“ unter Art. 128.1 wieder ein Strafbestand. Das erhöht die Gefahr, wegen kritischer Medienberichte verklagt zu werden. Inzwischen werden auch Verrat von Staatsgeheimnissen Art. 283 wie auch Spionage Art. 276 per Gesetz strenger bestraft. Im Jahr 2013 kamen weitere Gesetze dazu, die die Medienfreiheit einschränkten und unter Strafe stellten, wie z.B. in Art. 13.21 (Verlinkung zu http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_34661/b3bffad0175dec251d8e790ab33bf4816b20d57b/) die Verwendung von Schimpfwörtern in Medien. Dies gilt sowohl für Journalisten als auch für Interviewpartner und veröffentlichte Leserkommentare. Auch die Beleidigung religiöser Werte wird bestraft. Das Problem: Die Gesetze sind sehr offen formuliert. Für die Medienhäuser und Journalisten ist nicht klar, was unter den jeweiligen Tatbestand fällt. Die russische Medienaufsichtsbehörde „Roskomnadsor“ entscheidet von Fall zu Fall.
Die permanente Angst vor Strafen führt zu häufiger Selbstzensur der russischen Medien. „Nur wenige Redakteure – zumeist in kleineren Sendern mit überschaubarem Publikum – versuchen, Grenzen auszuloten und in ihren Sendungen von der vorgegebenen Linie abzuweichen. Prominente Fernsehgesichter, die sich zumindest gelegentlich offen gegen das Regime stellen, kann man an einer Hand abzählen“, heißt es schon 2013 in einem Bericht von Reporter ohne Grenzen.
Eine weitere Einschränkung besteht durch das russische Gesetz über „ausländische Agenten“, welches im November 2017 auf Medienhäuser ausgeweitet wurde. Demnach müssen sich Medienhäuser als „ausländische Agenten“ registrieren, wenn sie finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten. Der Begriff „ausländische Agenten“ ist in Russland sehr negativ konnotiert und wird häufig mit Spionage in Verbindung gebracht. Deshalb wird das Ansehen vieler Medienhäuser beschädigt, Sponsoren springen ab und die Medien bekommen finanzielle Sorgen. Die Medienhäuser müssen sich in ihren Beiträgen öffentlich als „ausländische Agenten“ kennzeichnen, sonst drohen Geldstrafen. Auch müssen sie regelmäßig Berichte über ihre Finanzen vorlegen. 2019 wurde das Gesetz auf einzelne Journalistinnen und Journalisten ausgeweitet. Es dient dem Kreml dazu, unabhängige Medien und regimekritische Personen noch mehr unter Druck zu setzen.
Soziale Medien als Chance?
Noch immer ist das Fernsehen die Hauptinformationsquelle der Russinnen und Russen. Dies zeigte, die im Mai 2021 vom Lewada-Zentrum, Russlands größtem unabhängigen Meinungsforschungsinstitut, veröffentlichte jährliche Studie zur Medienlandschaft. Demnach bezieht 62 Prozent der russischen Bevölkerung ihre Nachrichten aus dem Fernsehen. Die Studie zeigt aber auch, dass der Anteil derjenigen für die Fernsehen, die Hauptnachrichtenquelle darstellt, gesunken ist, denn vor ein paar Jahren waren es noch 90 Prozent. Gleichzeitig ist die Bedeutung von Internetquellen und sozialen Netzwerken stark gewachsen. YouTube nutzen 37 Prozent der Bevölkerung, Instagram 34 Prozent, TikTok 16 Prozent und WhatsApp 64 Prozent. Das Vertrauen in soziale Netzwerke (21%) und Onlinepublikationen (23%) ist dagegen immer noch gering.
Im Gegensatz zum Staatsfernsehen boten die Sozialen Medien in den vergangenen Jahren Platz für regierungskritische Stimmen und Blogger. Die Videos des Regierungskritikers Alexej Nawalny oder des einzigen unabhängigen Fernsehsenders „TV Dorschd“ wurden millionenfach geklickt. Im Zuge eines neuen Mediengesetzes wurden nun auch Youtube, Facebook, Twitter und Instagram gesperrt. Dadurch wird es für die russische Bevölkerung immer schwieriger, an unabhängige Nachrichten zu gelangen.
Informationen über Tor-Browser, VPNs und Telegram
Anfang März wurde auch die Verbreitung des unabhängigen Radiosenders „Echo Moskwy“ und des einzigen unabhängigen Fernsehsenders „TV Dorschd“ verboten. Die unabhängige Zeitung „Nowaja Gaseta“ entschied sich, aus Angst vor den Repressionen nicht mehr über den Krieg zu berichten.
Doch welche Möglichkeiten gibt es jetzt noch an unabhängige Nachrichten zu gelangen? Viele Russinnen und Russen versuchen gesperrte Medienseiten über den Tor-Browser oder über VPNs trotzdem zu erreichen. Mit den geschützten Netzwerkverbindungen kann verschlüsselt im Internet gesurft werden. Anleitungen für die Installation der VPNs gibt es online. Allerdings wird es auch dort immer schwieriger, an unabhängige Informationen zu gelangen. Bereits im September des vergangenen Jahres wurden einige VPN-Anbieter blockiert (Verlinkung zu: https://www.nzz.ch/technologie/russland-koppelt-sein-internet-ab-wie-funktioniert-das-ld.1674416). Telegram ist noch eine Möglichkeit, um an unabhängige, nicht-staatlich kontrollierte Nachrichten zu gelangen. Der Messenger-Dienst ist für die Regierung schwierig zu kontrollieren.
Das russische Onlineportal „Meduza“ versucht weiterhin unabhängig über den Krieg zu berichten. Die Journalistinnen und Journalisten berichten aus dem Exil aus Orten in Europa und Asien. Allerdings drohen dem Portal finanzielle Engpässe, denn die 30.000 russischen Unterstützer dürfen ihnen kein Geld mehr überweisen. Deshalb hat das Onlineportal jetzt einen Spendenaufruf gestartet. Internationale Medien, wie zum Beispiel „Krautreporter“ unterstützen das Crowdfunding.
Es gibt also kleine Hoffnungsschimmer. Doch die russische Medienlandschaft ist fest in der Hand des Kremls. ROG-Vorstandsmitglied Katja Gloger konstatiert in den Tagesthemen: „Wer heute als Journalistin oder als Journalist in Russland arbeitet, ist ein sehr mutiger Mensch, wenn er unabhängig berichten will.“
- Juli 2012: Die Duma nimmt den umstrittenen Paragrafen zur Verleumdung (Art. 128.1) wieder ins Strafgesetzbuch auf.
- November 2012: Verschärfung des Gesetzes über Landesverrat und Spionage. Unter Landesverrat fallen nun „sämtliche Handlungen, die die Sicherheit des Landes gefährden“.
- April 2013: Neues Verbot, Schimpfwörter in den Medien zu benutzen. Dies gilt sowohl für Journalisten als auch für Interviewpartner und Leserbriefe.
- November 2017: Medienunternehmen, die ganz oder teilweise aus dem Ausland Gelder erhalten, müssen sich öffentlich als „ausländische Agenten“ kennzeichnen. Sie müssen regelmäßig Berichte über ihre Finanzen vorlegen.
- Dezember 2019: Auch einzelne Journalisten und Blogger können jetzt als „ausländische Agenten“ eingestuft werden, wenn sie für nicht in Russland registrierte Medien arbeiten oder aus dem Ausland finanziert werden
- März 2022: Die Verbreitung von „Falschinformationen“ über den Einsatz des russischen Militärs in der Ukraine wird unter Strafe gestellt. Der Krieg darf weder „Krieg“ noch „Invasion“ genannt werden und soll als „militärische Spezialoperation genannt werden. Youtube, Twitter, Facebook und Instagram werden gesperrt, verschiedene unabhängige Medien verboten.
Der Text ist im Rahmen des „Seminars internationale Mediensystem und journalistische Kulturen“ am Institut für Journalistik der Technischen Universität Dortmund entstanden.
Quellen:
ARD-Tagesthemen (04.03.22). Abgerufen von https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ard-zdf-moskau-101.html
ARD Tagesschau.de (11.03.22). ARD und ZDF wieder in Moskau. Abgerufen von https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ard-zdf-moskau-101.html
Alexej Nawalny (2022). Youtube-Kanal. Abgerufen von https://www.youtube.com/c/%D0%90%D0%BB%D0%B5%D0%BA%D1%81%D0%B5%D0%B9%D0%9D%D0%B0%D0%B2%D0%B0%D0%BB%D1%8C%D0%BD%D1%8B%D0%B9/videos
Deutsche Welle (2022). Russland sperrt Seiten der Deutschen Welle Abgerufen von https://www.dw.com/de/russland-sperrt-seiten-der-deutsche-welle/a-61014826)
Freedom House (2022). Freedom House Index – Russland. https://freedomhouse.org/country/russia/freedom-world/2022
Lewada-Zentrum (2021). Russische Medienlandschaft. https://www.levada.ru/2021/08/05/rossijskij-medialandshaft-2021/Meduza (2022). Defend the Truth. https://save.meduza.io/eu
NZZ (2022). Russland kapselt sich vom Internet ab: Wie funktioniert das?. abgerufen von https://www.nzz.ch/technologie/russland-koppelt-sein-internet-ab-wie-funktioniert-das-ld.1674416
Reporter ohne Grenzen (2013). Der Kreml auf allen Kanälen. Wie der russische Staat das Fernsehen lenkt. https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/images/Kampagnen/Sotschi/ROG-Russland-Bericht-2013_web.pdf
Reporter ohne Grenzen (2021). Rangliste der Pressefreiheit. https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/rangliste-2021
Russisches Konsultant (2022). Strafgesetzbuch der Russischen Förderation. Abgerufen von http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/4df6a62e584819a84c46d4a4e4600cb9eefe7956/
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