Mehr Fakten statt Populismus in der EU-Berichterstattung

8. April 2024 • Aktuelle Beiträge, In eigener Sache • von

Dieser Beitrag ist Teil der COPE-Reihe.

Die Berichterstattung über europäische Themen darf nicht mit Propaganda für oder gegen die EU verwechselt werden. So wie die Berichterstattung über schwere Fälle von Missmanagement in Unternehmen nicht gleichbedeutend ist mit einer pauschalen Ablehnung von Kapitalismus und Demokratie, ist die europäische Integration eine Realität, die erforscht, untersucht und hinterfragt werden muss – aus der kritischen Perspektive des unabhängigen Journalismus. Das Aufzeigen von Fehlentwicklungen ist die beste Chance, die Funktionsweise der EU zu verbessern.

Foto: Wikimedia Commons

Die Tendenz des populistischen Journalismus, die europäische Integration generell abzulehnen, anstatt über konkrete Probleme und mögliche Verbesserungen zu berichten, wirkt zersetzend. Weder Demokratie noch Kapitalismus sind ideale Systeme, und die EU ist es auch nicht. Nur indem Fehlentwicklungen öffentlich thematisiert und debattiert werden, kann man ihnen begegnen. Es stimmt schon: Die EU ist kompliziert, ihre Institutionen sind schwer zu durchschauen, und noch schwieriger ist es, darüber in einer Weise zu berichten, die so attraktiv ist, dass ein großes Publikum sich dafür interessiert. Die Vereinfachung, Dramatisierung und Dämonisierung “Brüssels”, der EZB oder einzelner Mitgliedstaaten mag spannender erscheinen als eine nüchterne, auf Fakten basierende Berichterstattung über europäische Themen. Aus kurzfristigem medienökonomischem Kalkül kann es als vorteilhaft erscheinen, starke Meinungen zu äußern, ohne konkrete Fakten zu recherchieren: Vordergründige Skandalisierung erregt Aufmerksamkeit und ist billig zu produzieren. Das führt jedoch auf einen gefährlichen Weg: Es braucht immer stärkere Reize, um das Publikum bei der Stange zu halten. So bekommt die Empörung immer mehr Raum – die „Lärmspirale“ dreht sich weiter.

In nationalen Medien, gerade in großen Mitgliedstaaten wie Deutschland, ist es meist der jeweilige Mitgliedsstaat, der explizit oder implizit als Referenzrahmen der Berichterstattung dient. Das ist oft nicht angemessen. Entwicklungen in anderen Ländern werden vernachlässigt, anstatt ihre berechtigten Interessen, Präferenzen und Sorgen zu berücksichtigen. Der Journalismus sollte parallele Entwicklungen in verschiedenen EU-Ländern im Blick haben, denn mutmaßlich werden sie von strukturellen Kräften getrieben, die Europa insgesamt bewegen. Wer diese Entwicklungen ignoriert, spielt den Nationalpopulisten in die Hände. Die Berichterstattung sollte die Auswirkungen von einzelstaatlichen Entscheidungen auf andere EU-Länder berücksichtigen. Nur so lassen sich gemeinsame Herausforderungen erkennen und Lösungen auf EU-Ebene finden, die bislang von der Nichtexistenz einer europäischen Öffentlichkeit behindert werden.

Empirische Analysen deuten darauf hin, dass dieser Prozess der Europäisierung der Berichterstattung im Gange ist. Aber es geht zu langsam voran. Auch außereuropäische Medien, die über die EU berichten, erliegen zuweilen der populistischen Versuchung. Dass Europa nicht zu Rande kommt und letztlich zum Scheitern verurteilt ist, ist seit Jahrzehnten ein Kehrvers der Berichterstattung gerade angelsächsischer Medien. Bislang jedenfalls haben sich alle Vorhersagen über einen bevorstehenden Zusammenbruch der EU oder des Euroraums als falsch erwiesen. Ein häufiger Irrtum besteht darin, die Einzigartigkeit der europäischen politischen Integration und das Ausmaß der bereits erreichten Integration zu ignorieren.

Für die weitere politische Integration der EU ist eine Transnationalisierung der öffentlichen Debatten eine Voraussetzung. Ein gemeinsamer Medienraum ist das missing link der europäischen Integration. Es gibt keine grenzüberschreitenden europäischen Massenmedien, und das wird wohl noch lange so bleiben. Aber es gibt Hoffnung – sofern nationale Medien zunehmend eine europäische Perspektive einnehmen.

 

Quelle:

Müller, H. (2023). Challenging Economic Journalism. Covering Business and Politics in an Age of Uncertainty. Palgrave Macmillan. https://doi.org/10.1007/978-3-031-31030-0

 

 

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