Redaktionen und Berichterstattung: weniger divers als die Gesellschaft

19. Dezember 2023 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

Das Reuters Insitute hat eine neue Studie veröffentlicht, die Aufschluss darüber gibt, wie divers die Redaktionen großer Medienhäuser sind. Die Zahlen zeichnen das Bild vorherrschend weißer Führungsetagen – obwohl fehlende Diversität die Meinungsvielfalt, das Interesse an Medien und auch das Arbeitsklima beeinträchtigen kann.

Redaktionen profitieren von Diversität – daran fehlt es aber häufig trotzdem.

Der Artikel verwendet den Begriff Person of Color, im Plural People of Color.  Dieser bezeichnet Menschen, die in einer weißen Mehrheitsgesellschaft als nicht-weiß angesehen werden und deshalb Rassismuserfahrungen ausgesetzt sind. Es handelt sich um eine internationale Selbstbezeichnung, die auch die Studie des Reuters Institute verwendet.

Die Studie „Race and leadership in the news media 2023“ ist die vierte aus einer 2020 begonnenen Studienreihe. Fünf Länder verteilt über vier Kontinente schauten die Forscher sich dafür an: Brasilien, die USA, Großbritannien, Südafrika und auch Deutschland. Auf den dortigen Märkten wurden jeweils die zehn größten Online-, sowie die zehn größten Offline-Nachrichtenmedien untersucht.

Demnach sind 2023 insgesamt nur 23% der redaktionellen Führungspositionen in diesen großen Medienhäusern von People of Color besetzt, obwohl diese einen Anteil von 44% der Gesamtbevölkerung ausmachen. Klammert man Südafrika aus, sind es nur noch 11% bei einem Anteil von 31% an der Gesamtbevölkerung. Besonders in Brasilien ist die Schere zwischen Gesamtbevölkerung und Chefetage groß: In keinem untersuchten Medienhaus stehen People of Color an der Spitze, während diese fast 60% der Bevölkerung ausmachen.

Deutschland weist einen geringeren Anteil an People of Color an der Gesamtbevölkerung auf, in den untersuchten großen Medienunternehmen gibt es allerdings keine einzige redaktionelle Führungsposition, die von einer Person of Color besetzt ist.

In Südafrika erscheint der Anteil von People of Color in der Führungsebene von Top-Medien zwar erst einmal vergleichsweise hoch, gleichzeitig liegt er jedoch auch dort sichtbar niedriger als der Anteil an der Gesamtbevölkerung. So zeichnet sich auch hier bei genauerer Betrachtung eine Unterrepräsentation innerhalb der Führungsetagen ab.

Unterrepräsentation schadet Gesellschaft und Journalist:innen

Diverse Redaktionen tragen dazu bei, vielseitigen und differenzierten Journalismus lebendig zu halten. Nachrichten-Redakteure nehmen Einfluss darauf, welche Themen besonders in die Öffentlichkeit getragen werden, während andere eher im Hintergrund bleiben. Diese Entscheidungen wiederum werden auch von ihren eigenen Erfahrungen und Geschichten beeinflusst. Besonders hier sind vielseitige Hintergründe und Sichtweisen also wichtig, damit die Probleme, Lebensrealitäten und Geschichten verschiedenster Menschen in der Öffentlichkeit Platz finden.

Durch das Abbilden der Vielfalt von Menschen und Meinungen wird diese wiederum gefördert. Fehlen die Perspektiven einzelner Gruppen, schadet dies der Meinungsvielfalt in einer Gesellschaft. Unterrepräsentation kann außerdem dazu führen, dass bestehende Stereotypen und Vorurteile sich nicht auflösen, da Stimmen fehlen, die sie im öffentlichen Diskurs herausfordern. Unter all diesen Aspekten leiden am Ende auch Pluralismus und Demokratie. Menschen, die sich von den Medien schlecht repräsentiert fühlen, interessieren sich weniger für diese, was die gesellschaftliche und politische Beteiligung erschwert.

Aber nicht nur bei einer gesamtgesellschaftlichen Betrachtung zeigen sich die Probleme, die homogene Redaktionen verursachen: Auch die dort tätigen Journalist:innen, die gleichzeitig People of Color sind, leiden darunter. Eine Befragung unter brasilianischen Journalist:innen aus dem Jahr 2022 zeigt das deutlich: Sie berichten von Alltagsrassismus, davon, dass sie weniger ernstgenommen würden, von Schwierigkeiten, sich am Arbeitsplatz zugehörig zu fühlen. Auch die Themenauswahl sehen sie von der vorherrschend weißen Perspektive beeinflusst. Das führt nicht nur zu Frustration, sondern schadet im schlimmsten Fall der psychischen Gesundheit. Auch im Rahmen einer Untersuchung im Jahr 2021 berichteten britische Journalist:innen von Rassismuserfahrungen im Arbeitsalltag.

Gleichzeitig kann es auch aus einem ökonomischen Blickwinkel für Medienhäuser nachteilig sein, Diversität zu vernachlässigen, da so womöglich kaufkräftige Zielgruppen übergangen werden.

Trotz der Wichtigkeit von Diversität unter Medienschaffenden sorgen Diskriminierung und Vorurteile immer noch dafür, dass People of Color es weniger häufig in die Führungsetagen großer Medienunternehmen schaffen. Wie schon erwähnt bedingt dies nur noch mehr, dass diese Benachteiligung länger fortbestehen kann, da sie in der öffentlichen Debatte nicht immer genug in Frage gestellt wird oder überhaupt Aufmerksamkeit erfährt.

Das Problem scheint in Medienhäusern durchaus bekannt zu sein: Einer Umfrage aus dem Jahr 2022 zufolge finden weniger als die Hälfte der Führungskräfte von Nachrichtenmedien, dass ihr Unternehmen oder ihre Organisation mit Bezug auf ethnische Diversität eine gute Leistung zeigt. Etwas mehr als ein Drittel sagt sogar, die Leistung ihrer Organisation sei schlecht.

Studie des Reuters Institute zeigt langsame Entwicklung

Dass hier das Thema Diversität noch lange nicht abgeschlossen ist, bestätigt auch die Studienreihe des Reuters Institute: Insgesamt steigt die Anzahl von People of Color in Führungspositionen in den untersuchten Ländern zwar leicht an, das geht allerdings nur langsam voran. So lag der Gesamtanteil der Gruppe in den Führungsetagen großer Medien 2020 bei 18%, außerhalb Südafrikas bei 6%. Auch der Gesamtanteil an der Bevölkerung ist seitdem jedoch leicht gewachsen. Eine Entwicklung lässt sich besonders in Großbritannien erkennen: Hier sind 2023 das erste Mal People of Color an der Spitze großer Medienhäuser zu finden. In Deutschland dagegen ist die Lage seit Beginn der Studie unverändert: Keine Führungsposition in den untersuchten Medien ist von einer Person of Color besetzt.

Die Herausforderung, eine vielfältige Gesellschaft durch eine diverse Riege an Führungspersonal in den Nachrichtenmedien zu spiegeln, bleibt also weiter aktuell – und ein Thema, das die gesamte Mediengemeinschaft angeht.

 

Bildquelle: Pexels/https://www.pexels.com/de-de/foto/grauer-laptop-computer-auf-dem-tisch-eingeschaltet-699459/

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