„Lasst uns Polen angreifen“: Wie russische Medien über die „Zapad-2025“-Manöver berichteten

27. Oktober 2025 • Internationales, Top • von

Illustrator: Miko Rode. Copyright: Miko Rode/ Re:Baltica

„Lasst uns Rzeszów angreifen, so wie Israel Doha angreift!”, schrieb Alexander Kots, Inhaber des Telegram-Kanals „Kotsnews” (@sashakots) und Militärkorrespondent der „Komsomolskaja Prawda”, am 10. September. Mindestens fünf weitere russische Militärblogger – die sogenannten „Z”-Kanäle – teilten diesen Beitrag.

Kots ist einer der bekanntesten Kriegsblogger Russlands mit über einer halben Million Followern. Die polnische Stadt Rzeszów spielt eine zentrale Rolle bei den westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine. Auch wenn es sich nur um Rhetorik handelt, zeigt die Tatsache, dass ein Kanal mit einer halben Million Followern offen zu einem Angriff auf Polen aufrufen kann, wie weit russische Propagandaakteure gehen können.

Um die in Russland verbreiteten Narrative über „Zapad-2025“ zu verstehen, analysierte Media IQ in Zusammenarbeit mit Re:Baltica vom 1. bis 16. September 2025 die Berichterstattung in den russischen Massenmedien und „Telegram“-Kanälen – darunter Nachrichtenagenturen (TASS, RIA Novosti, Interfax), Printmedien (Izvestia, Kommersant, Vedomosti, RBC), den Militärfernsehsender Zvezda TV und über 55 „Telegram“-Kanäle – von offiziellen bis zu radikalen.

„Zapad-2025“ in Kürze

– Zeitraum: 12. bis 16. September 2025 an 41 Orten in Russland und Weißrussland.

– Streitkräfte: Etwa 100.000 Soldaten (7.000 in Belarus) und 10.000 Einheiten militärischer Ausrüstung.

– Thema: Offiziell defensiv, aber mit Übungen zum taktischen Einsatz von Atomwaffen und Raketen (z. B. Iskander-M, Oreshnik).

– Bedeutung: Erste große gemeinsame Manöver seit der vollständigen Invasion Russlands in der Ukraine.

– Präzedenzfall: Nach dem letzten „Zapad”-Manöver hielt Russland Truppen in Weißrussland, um von dort aus die Invasion 2022 zu starten.

Die drei Ebenen der russischen Propaganda

Der Kern: Offizielle Position des Staates

Im Zentrum stehen staatliche Behörden und offizielle Medien. TASS, RIA Novosti und der Fernsehsender des Verteidigungsministeriums geben die Position der Regierung wortwörtlich wieder. Ihr Ton ist neutral, der Inhalt entspricht der offiziellen Linie Moskaus.

Am 10. September zitierte TASS den stellvertretenden Vorsitzenden des Föderationsrates, Wladimir Dschabarow, im Fernsehsender Rossiya-24: „Polen riskiert schwerwiegende Konsequenzen“, nachdem das Land beschlossen hatte, seine Grenze während der Manöver zu schließen. Dies ist keine Äußerung eines Bloggers, sondern eine offizielle Drohung in diplomatischer Sprache. RIA Novosti betonte am 13. August die Transparenz: „Minsk hat internationale Beobachter zu Zapad-2025 eingeladen; Einladungen wurden an alle 56 OSZE-Mitglieder verschickt.“

Am 8. August verbreitete dieselbe RIA Novosti jedoch eine Verschwörungstheorie: „Die Ukraine und Polen werden versuchen, die Übungen zu stören, sagt eine Quelle.“ Anonyme Quellen, konkrete Anschuldigungen und Angstmacherei. Der Kernzweck besteht darin, einen Rahmen zu schaffen, den andere ausfüllen und verstärken können.

Der zweite Kreis: Kontrollierte Kritiker

Zu dieser Ebene gehören halbunabhängige Medien – Komsomolskaja Prawda, Iswestija, Kommersant, RBC – und prominente „Telegram“-Blogger wie Rybar, Военный Осведомитель (milinfolive) und sashakot. Diese können geringfügige Kritik zulassen (5–10 % der Inhalte), während sie das Regime insgesamt unterstützen.

So veröffentlichte Izvestia (17. September) beispielsweise den Artikel „Flanks Lifted: Why NATO Reacts Nervously to Zapad-2025” (Flanke gehoben: Warum die NATO nervös auf Zapad-2025 reagiert). Trotz analytischer Vorwände stellte er den Westen als panisch dar. Die Erzählung: Russisch-weißrussische Manöver erschreckten europäische Staats- und Regierungschefs und legten Spaltungen zwischen der EU und den USA offen.

Kommersant (16. September) titelte „Der Feind ist besiegt, der Sieg gehört uns”. In seiner Beschreibung wurden die Übungen zu einem heroischen Epos, das technische Überlegenheit und Einsatzbereitschaft projizierte. Die Übungen wurden nicht als Routineübungen dargestellt, sondern als Weitergabe von Kampferfahrung – eine direkte Verbindung zwischen dem Krieg in der Ukraine und den Vorbereitungen auf einen möglichen Konflikt mit der NATO. Selbst die Beruhigung in Bezug auf Atomwaffen – „rein im Rahmen der Ausbildung“ – erinnerte die Leser subtil daran, dass Russland über Atomwaffen verfügt.

Telegram-Kanäle wie Военный Осведомитель kritisierten den Einsatz von „Su-32“-Flugzeugen und veralteten BMD-2-Fahrzeugen. „Nach Angaben des Verteidigungsministeriums wurden bei der Ausbildung Kampferfahrungen aus der ‚Sonderoperation‘ genutzt. Anscheinend handelt es sich um dieselben Erfahrungen aus den ersten Monaten des Jahres 2022, als mehrere Su-34-Flugzeuge verloren gingen, nachdem sie frontal in die Luftabwehrsysteme der Ukraine geschickt worden waren, und viele Piloten getötet oder gefangen genommen wurden”, schrieb der Kanal an einem anderen Tag.

Der Zweck der begrenzten Kritik ist, den Eindruck zu vermitteln, dass Blogger Insider sind und im Gegensatz zu bürokratischen Generälen die „wahre Wahrheit” sagen. So wird die Illusion von Pluralismus geschaffen, während gleichzeitig die Rekrutierung von Soldaten für den Krieg Russlands in der Ukraine gefördert wird.

Die Peripherie: Eiferer und Radikale

Kleinere „Telegram“-Kanäle, die oft von überzeugten Anhängern der Kreml-Ideologie betrieben werden, bedienen sich einer emotionalen und gewalttätigen Rhetorik.

Beispiele:

  • zeleniy_krai (5. September): „Dieser polnische Clown Tusk droht Belarus mit ‚Sondermaßnahmen’ – die NATO hat seit Januar 14 Manöver in der Nähe unserer Grenzen abgehalten!”
  • September: „Bringt unsere Iskander nicht zum Lachen! Die Polen sahen Raketen 100 Meter von ihrer Grenze entfernt und rannten weinend zur NATO.”

Die Rolle dieser Kanäle besteht darin, das Publikum zu radikalisieren und einen emotionalen Hintergrund zu schaffen. Wenn Randstimmen zu Angriffen auf Polen aufrufen, wirkt die „defensive Haltung“ der offiziellen Medien im Vergleich dazu moderat.

Die Unterschiede zwischen diesen Ebenen sind kein Zufall, sondern bewusste Strategien. Durch die Verbreitung derselben Fakten auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichem Tonfall können möglichst viele Menschen erreicht werden – von denen, die offiziellen Informationen vertrauen, bis zu denen, die nach einer „alternativen Sichtweise“ suchen.

Die rhetorische Entwicklung

Die Kampagne in den russischen Medien verlief in vier Phasen.

Zunächst gab es eine Testphase mit zurückhaltendem Ton, um die Reaktion des Publikums zu beobachten.

Am 4. September tauchten Spionagegeschichten auf – z. B. repostete SIL0VIKI aus Белорусский силовик über „einen polnischen Spion, der beim Sammeln von Informationen über Zapad-2025 erwischt wurde“. “ Abstrakte Gespräche über „westliche Provokationen“ konkretisierten sich in der Gestalt eines bestimmten „polnischen Spions“. Für die wachsende Spannung – „das Vaterland ist in Gefahr, der Feind steht vor den Toren“ – wurde ein „Beweis“ gefunden. Der Kanal RVvoenkor fügte sofort hinzu: „Dies ist nicht der erste Fall von Spionage seitens Polens.“

Die zweite Phase kann als explosive Aggression charakterisiert werden. Die Entscheidung Polens, am 12. September seine Grenze zu schließen, löste Empörung aus. Die Medien stellten es so dar: „Polen gerät in Panik → provoziert → beschuldigt Russland → folgt NATO-Befehlen”.

Die dritte Phase war voller technischer Beschreibungen mit kontrollierter Kritik. Medien wie Vedomosti und Interfax konzentrierten sich auf operative Details. Halbunabhängige „Telegram“-Kanäle fügten milde Kritik an veralteter Ausrüstung oder der belarussischen Verteidigung hinzu.

Am 16. September erfolgte die letzte Phase mit einem emotionalen Höhepunkt. Putins Besuch auf dem Mulino-Übungsgelände dominierte die Berichterstattung. Das staatliche Fernsehen zeigte einen zehnminütigen Beitrag; Telegram explodierte. In einem der Kanäle erzielte das Video des Kremls, in dem die Ausrüstungszahlen genannt wurden, 1,65 Millionen Aufrufe.

Fast alle analysierten „Telegram“-Kanäle betonten Putins Uniform. Bezeichnenderweise wiederholten am 16. September praktisch alle Kanäle und Medien gleichzeitig die von Putin genannte Zahl – „100.000 Soldaten“. Diese Zahl tauchte innerhalb eines Tages 47-mal in verschiedenen Quellen auf und verwandelte eine ungefähre Schätzung in eine „unbestreitbare Tatsache“.

Sechs zentrale Narrative

  1. Demonstration der Stärke der Verbündeten: Einheit und Bereitschaft Russlands und Weißrusslands.
  2. Nukleare Abschreckung: als defensiv dargestellt, impliziert jedoch Drohungen.
  3. Die NATO als Aggressor: NATO-Manöver = Kriegsvorbereitung; russische Manöver = Verteidigung.
  4. Die Ukraine als Provokateur: verantwortlich für regionale Instabilität.
  5. Technologische Überlegenheit.
  6. Übungen als Deckmantel: Andeutung, dass diese eine neue Offensive verschleiern könnten, um durch anhaltende Unsicherheit eine psychologische Abschreckung zu erzielen.

Unterschiede zur belarussischen Berichterstattung

Die belarussischen Staatsmedien zeigten diplomatische Zurückhaltung – „Frieden“, „Verteidigung“ und Vermeidung der Nennung von Zielländern. Die russischen Medien schlugen eine andere Richtung ein. Ein auffälliger Unterschied war die Thematisierung von Atomwaffen: Belarus sprach von „Abschreckung“, während russische Medien die Diskussion über einen möglichen Einsatz normalisierten – und so die öffentliche Akzeptanz allmählich „aufwärmten“.

So agierten belarussische Medien als „gute Polizisten“ – diplomatisch und friedliebend –, während russische „Telegram“-Kanäle die Rolle der „bösen Polizisten“ spielten und sagten, was offizielle Medien nicht aussprachen.

Dieser Text erschien zuerst am 20. Oktober 2025 bei Re:Baltica.

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