Medien: Integration durch interkulturelle Kompetenzen

5. Dezember 2014 • Ausbildung, Qualität & Ethik • von

Im Integrations-Diskurs wie in der Auslandsberichterstattung sind sie gleichermaßen wichtig: interkulturelle Kompetenzen. Für Journalisten wird diese Fähigkeit immer relevanter. Im EJO-Interview erzählt Marlies Klamt, Film- und Publizistikwissenschaftlerin, was mit dem Erwerb dieser Kompetenzen in und mit den Medien bewirkt werden kann.

Interkulturelle Kompetenzen ist mittlerweile ein gängiges Schlagwort in unserer Multi-Kulti-Gesellschaft. Aber was verbirgt sich überhaupt hinter diesem Begriff?

Generell bedeutet interkulturell kompetent zu sein, dass man sich bewusst ist, was an unserer Wahrnehmung, unseren Empfindungen und unserem Handeln kulturell geprägt ist – und zwar sowohl auf sich bezogen als auch auf andere. Darüber hinaus zählt dazu, dass man dies reflektiert und es in der Kommunikation, im Handeln und in der Interaktion mit Menschen anderer kultureller Prägung wieder abrufen kann und mit einbezieht. Es ist also die Fähigkeit, sich der kulturellen Komponente in unserer Alltagswelt und im Leben gegenwärtig zu werden und sie angemessen und erfolgreich in die Kommunikation mit einzubeziehen.

Welche Rolle spielen Medien und Journalisten dabei, für ein solches interkulturelles Verständnis und Handeln in der Gesellschaft zu sorgen?

Man kann natürlich sagen, dass Medien und Journalisten die Funktion haben, für ein interkulturelles Verständnis zu sorgen. Aber erst einmal würde ich voran stellen, dass sie die Aufgabe haben, dafür zu sorgen, dass es nicht zu interkulturellen Missverständnissen kommt. Das heißt, dass man in der Medienberichterstattung darauf achtet, bei Themen wie Integration oder Migration genauso sorgfältig zu recherchieren wie in anderen Bereichen. Journalistinnen und Journalisten sollten sich Fachwissen aneignen und dann auch auf dieser Grundlage berichten – zum Beispiel im Hinblick auf Begrifflichkeiten. So sollten sie bei der Berichterstattung über Straftaten immer Ziffer 12, Richtlinie 12.1 des Pressekodex anwenden: Wenn es das Verständnis des Falls nicht erfordert, sollte die Nationalität von Straftätern nicht genannt werden. Nur weil es kein deutscher Straftäter ist, muss die Nationalität deswegen nicht eher genannt werden, wenn es mit dem Fall nichts zu tun hat.

Bezogen auf den Integrations-Diskurs in Deutschland heißt das für Journalisten, dass es wichtig ist, dass sie interkulturell kompetent sind?

Ja, auf jeden Fall. Interkulturelle Kompetenz im Journalismus führt zu einer Qualitätssteigerung, sollte als Teil der journalistischen Professionalität betrachtet werden und in diesem Rahmen auch in die Ausbildung von Journalistinnen und Journalisten integriert werden.

Handelt es sich für die Journalisten bei interkultureller Berichterstattung eher um eine inhaltlich-konkrete oder eher um eine prozedurale Aufgabe?

Ich glaube das ist beides: Interkulturelle Kompetenz im journalistischen Bereich kann man sich zum einen durch Wissen und Recherche erarbeiten. Zum anderen betrifft es eine Sensibilität, die sich zum Beispiel in der Vorsicht beim Interpretieren einer Statistik zeigt, die „die Ausländer“ betrifft. Ist die Rede von Armutsflüchtlingen aus Rumänien, sollte der Journalist prüfen, ob das auch wirklich Armutsflüchtlinge sind. Und, was das Schwierige ist, dass man auch mal versuchen sollte, sich die Begrenztheit seiner Perspektive bewusst zu machen und einen Perspektivwechsel vorzunehmen – gerade, wenn man der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft angehört. Und das trifft auf die große Mehrheit der Journalisten und Journalistinnen in Deutschland zu.

Sie haben das gerade auch schon kurz angesprochen: Eine stereotypisch-negative Berichterstattung findet mitunter statt. Spielt es dabei auch eine Rolle, welchen kulturellen Hintergrund die Journalisten haben?

Das spielt auf jeden Fall eine Rolle. Es wird auch immer wieder bemängelt, zum Beispiel von der Gruppe der Neuen deutschen Medienmacher, die mehrheitlich aus Journalisten und Journalistinnen mit Migrationshintergrund bestehen, dass es viel zu wenig Journalisten gibt, die selbst einen Migrationshintergrund haben. In Deutschland hat jede fünfte Person einen Migrationshintergrund, aber nur jeder fünfzigste Journalist. Das zeigt schon, dass es da ein Missverhältnis gibt. Personen, die durch ihren eigenen Hintergrund interkulturelle Kompetenzen mitbringen, haben die Berichterstattung betreffend schon von Vornherein eine andere Perspektive und vielleicht auch eine höhere Sensibilität in diesem Bereich. Deshalb gib es in der letzten Zeit immer mehr Versuche, Personen mit Migrationshintergrund in die Medienberufe zu holen. Der WDR hat mit der Talentwerkstatt WDR grenzenlos ein Programm, mit dem versucht wird, Menschen mit Migrationshintergrund zu rekrutieren. Die RTL-Journalistenschule macht das auch. In der ARD und dem ZDF gibt es jetzt Tagesschau- und heute-Sprecher, die einen Migrationshintergrund haben. Es passiert also etwas. Dennoch sind es derzeit zu wenige Leute, die einen Migrationshintergrund haben und in den Medien arbeiten – und das nicht nur in den Redaktionen, sondern auch in den Führungsebenen.

Wie stellt sich denn die Situation der Migranten in den Redaktionen dar? Berichten die Journalisten mit Migrationshintergrund nur über Migrationsthemen?

Man sollte Menschen mit Migrationshintergrund nicht nur auf diese Themen abstellen, denn deren Kompetenzen sind nicht nur wichtig, wenn es primär um Integrations- und Migrationsthemen geht. Es passiert allerdings oft, dass sie als Expertinnen und Experten für diese betrachtet werden und vor allem in diesem Bereich eingesetzt werden. Was aber auch vorkommen kann, ist, dass ihnen eine fehlende Distanz unterstellt wird und man sie diese Themen gar nicht bearbeiten lässt.

Welche positiven Effekte kann es haben, wenn die interkulturelle Berichterstattung funktioniert? Wenn also Mediennutzer der kulturellen Minderheit ein positives Rollenbild in den Medien erfahren und die breite Bevölkerung ein realistisches Bild über Zuwanderer und multikulturelle Gesellschaft bekommt?

Zum einen kann das zu mehr Verständnis in der Gesellschaft generell führen. Es kann ein positives Bild bewirken über Mitmenschen, die die weiße Mehrheitsgesellschaft bisher als fremd empfunden hat. So, dass sie diese Mitmenschen als Teil der gesamten Gesellschaft begreift. Es kann dafür sorgen, dass das lange ignorierte und heute oft kritisch betrachtete Bild von Deutschland als Einwanderungsland positiv besetzt wird.

Zum anderen betrifft es eine wirtschaftliche und auch eine rechtliche Komponente. Zeitungen, Fernsehen und Radio berichten schließlich nicht für eine homogene Mehrheitsgesellschaft, sondern das öffentlich-rechtliche Fernsehen sollte beispielsweise seinem Auftrag nachkommen und für alle Menschen berichten. Wenn Menschen mit Migrationshintergrund in den Medien berichten oder Journalistinnen und Journalisten allgemein mehr interkulturelle Sensibilität mitbringen, kann ein positiver Effekt sein, dass sich die ethnischen Minderheiten mehr von der Berichterstattung angesprochen fühlen.

Es hat sich parallel eine mediale Alternative für Menschen mit Migrationshintergrund entwickelt. Stichwort Ethnomedien, also Medienangebote, die sich vorrangig an zugewanderte Gruppe richten. Können diese interkulturell integrativ sein? Oder wirken sie gettoisierend?

Nun bin ich selbst Teil der weißen Mehrheitsgesellschaft. Aber würde ich mich in den Medien nicht wiederfinden, würde ich mich auch fragen: Was soll ich machen, außer mir mein eigenes Medium zu schaffen? Wenn die Medien, die es schon gibt, keine positiven Identifikationspunkte bieten und die Menschen nur lesen, wie schlecht die Gruppe dargestellt wird, der sie sich zugehörig fühlen oder von außen zugerechnet werden, dann ist es eine ganz natürliche Bewegung. Es geht darum, eigene Medien zu entwickeln, die rezipiert werden können, ohne, dass man sich schlecht fühlen muss.

Abseits des Integrations-Diskurses und der Inlandsberichterstattung: Welche Rolle spielen interkulturelle Kompetenzen auch bei der Auslandsberichterstattung?

Es ist noch einmal besonders schwierig, wenn Journalistinnen und Journalisten von Deutschland aus in andere Länder entsandt werden. Sie kommen in Kontakt mit Situationen und Verhaltensweisen, die sie nur schwer einschätzen können. Dadurch entsteht in besonderem Maße eine Gefahr der Fehlinterpretation. Es ist deshalb wichtig, dass man sich neben einer umfangreichen Vorbereitung den Folgen der eigenen Sozialisation bewusst wird. Man muss erkennen, dass man – trotz des besten Willens – immer durch eine bestimmte Brille blickt, die man nie ganz absetzen kann. Aber es geht auch um die Einsicht, dass es sinnvoll ist, sich interkulturelle Kompetenzen anzueignen und zu versuchen einen Perspektivwechsel vorzunehmen.

Aktuell auf die Ukraine-Krise bezogen: Ist das ein typisches Beispiel dafür, dass die eigene kulturelle Brille zu fest sitzt?

Ich würde schon sagen, dass die Berichterstattung da noch differenzierter werden kann.

Vielen Dank für das Interview.

Zur Person:

Marlies Klamt ist Film- und Publizistikwissenschaftlerin und forscht zu den Themen Diskriminierung und Medien. Sie ist ehrenamtlich und freiberuflich im Bereich der Antirassismusarbeit und Interkulturalität aktiv. Zudemarbeitet sie am Journalistischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität.

 Bildquelle: HDValentin/flickr.com

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