Trump, Brexit, die AfD: Populisten und Reaktionäre sind auf dem Vormarsch. Wichtig für ihren Erfolg: die Schaffung von Gegenöffentlichkeiten im Internet. Doch wie genau nutzen diese Kräfte digitale Medien für sich? Und ist das Internet wirklich „an allem schuld”? Ein Blick in die Forschung gibt Antworten.
Donald Trump, die FPÖ, die AfD und der Brexit: In vielen westlichen Demokratien scheinen rechte, nationale und reaktionäre Kräfte auf dem Vormarsch. Folgt man der öffentlichen Diskussion ist der Schuldige für diese Entwicklung schnell ausgemacht – es ist natürlich das Internet.
Wurde selbiges früher vor allem von DenkerInnen und Bewegungen aus dem linken und liberalen Lager als Katalysator für Demokratie und Freiheit gesehen, ist die Mehrheitsmeinung heute das genaue Gegenteil: Sorgen über Social Bots, „Fake News“, Echokammern und psychologisches Microtargeting haben den Traum von besserer Vernetzung und neuen progressiven politischen Bewegungen abgelöst.
Was ist geschehen? Lagen die UtopistInnen der ersten Stunde so falsch? Während eine grundsätzliche Skepsis in Bezug auf die tatsächliche Rolle des Internets bei den angesprochenen politischen Großereignissen nötig bleibt (dazu später mehr), so lässt sich trotzdem nicht von der Hand weisen, dass das Internet ein Katalysator für politische Veränderung geworden ist. Allerdings sind es weniger progressive Kräfte, die aktuell davon profitieren. Stattdessen sind es oft insbesondere konservative und rechte Bewegungen, die das Internet als politische Plattform zur Zeit besonders erfolgreich nutzen.
Was sind digitale Gegenöffentlichkeiten?
Einer der ersten Autoren, die dieses Phänomen auch theoretisch aufgegriffen hat, ist der Sozialwissenschaftler Ralph Schroeder. Schroeder, der am Oxford Internet Institute forscht und lehrt, versteht in seiner Analyse die Öffentlichkeit als Arena, welche gekennzeichnet ist durch einen limitierten Vorrat an Aufmerksamkeit (Stichwort: Attention Economy). Die wird wiederum von einigen wenigen großen Medien dominiert. Als Gatekeeper für die Arena bestimmen sie in erheblichen Maße das, was diskutiert wird. Sie setzen die Agenda.
Verschiedene politische Ideologien wiederum versuchen Zugang zur öffentlichen Arena zu bekommen. Ihr Ziel: die Agenda der Medien und somit die öffentliche Agenda zu beeinflussen. Die öffentliche Arena ist jedoch aufgrund des limitierten Vorrats an Aufmerksamkeit als Nullsummenspiel zu verstehen. Vereinfacht gesagt bedeutet dies, dass nur einige wenige Akteure und politische Ideologien gleichzeitig in der öffentlichen Arena Platz finden können.
An dieser Stelle kommen die Gegenöffentlichkeiten ins Spiel. Das Konzept geht auf die linke Philosophin Nancy Fraser zurück und wurde ursprünglich als alternativer Diskussionsraum für marginalisierte gesellschaftliche Gruppen wie Arbeiter, Frauen oder Menschen mit Migrationserfahrung definiert. Schroeder überträgt dieses Konzept von der politischen Linken auf die politische Rechte und ins Internetzeitalter: Digitale Medien, so der Oxforder Forscher, bieten rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien eine Möglichkeit, digitale Gegenöffentlichkeiten zu erschaffen. Über diese Gegenöffentlichkeiten ist es wiederum möglich, die Gatekeeper – also traditionelle Medien – zu umgehen und sich somit letztlich einen Weg in die öffentliche Arena zu bahnen.
Ein Beispiel für solche Gegenöffentlichkeiten sind die „alternativen Medienseiten“ der Schwedendemokraten in Schweden, oder die Pendants in Österreich und Deutschland. Auch die Facebookseiten führender FPÖ-Politiker wie Heinz-Christian Strache können als eine Form von Gegenöffentlichkeit verstanden werden. In Abgrenzung und Opposition zu den bereits in der öffentlichen Arena vertretenen Ideologien entwickeln sich auf diesen Seiten politische Gegendiskurse. Mit genug Zeit verbreiten sich diese Diskurse und finden im „Idealfall“ mittelfristig Zugang zur öffentlichen Arena. Dies liegt oft daran, dass die alternativen Seiten entweder eine so große Reichweite entwickeln, dass sie selbst zu Gatekeepern der Arena werden, oder, indem traditionelle Medien beginnen, über sie zu berichten oder die dort vertretenen Gedanken in anderer Form thematisieren – was letztlich deren Verbreitung fördert.
Vier Strategien zur digitalen Gegenöffentlichkeit
Grundsätzlich lassen sich vier Strategien identifizieren, wie eine solche digitale Gegenöffentlichkeit geschaffen werden kann:
Erstens kann das Internet die Abhängigkeit von traditionellen Medien reduzieren, indem es politischen Akteuren oder Parteien die Möglichkeit gibt, durch soziale Medien oder Webseiten direkt mit ihren (potenziellen) Unterstützern zu kommunizieren. So konnte die AfD beispielsweise, während der sogenannten Flüchtlingskrise 2015, ihre Unterstützer auch abseits der großen Medien durch Facebook erfolgreich erreichen und mobilisieren.
Zweitens kann als hybride Strategie das Agenda Setting genannt werden, welche nur in Teilen auf Internetmedien beruht. Digitale Kanäle (zum Beispiel die oben genannten Facebookseiten der FPÖ) werden als Medium benutzt um die ursprüngliche Nachricht zu verfassen. Im Anschluss wird jedoch darauf vertraut, dass diese Nachricht von traditionellen Medien aufgegriffen wird und so ihren Weg in die öffentliche Arena und damit zu einem breiteren Publikum findet.
Drittens können rechte Bewegungen von einer rechten Medienszene wie im Internet profitieren, welche versucht, sich als alternative Nachrichtenquelle zu etablieren (alternative Nachrichtenseiten wie unzensiert.at sind hier ein gutes Beispiel). Ähnlich wie bei den ersten beiden Strategien profitiert dieser Ansatz von den im Internet verhältnismäßig geringen Kosten, wenn es darum geht Inhalte zu publizieren. Dezentrale Verbreitungswege tun dann oft ihr Übriges.
Viertens können digitale Medien einen Aktionsraum für politische „bottom up“Bewegungen darstellen, die sich ohne eine Koordination „von oben“ durch Parteien oder andere Akteure selbst organisieren. Im Prinzip handelt es sich hierbei um jene digitalen Graswurzelbewegungen, die einst von den Internetutopisten der ersten Stunden beschrieben wurden: nur eben im rechten politischen Spektrum (ein Beispiel sind rechte Gruppen auf Facebook).
Warum das Internet (trotzdem) nicht an allem schuld ist
Der Erfolg dieser Strategien ist allerdings immer auch vom Kontext abhängig. In Deutschland spielt das Internet aktuell noch eine deutlich geringere Rolle beim Nachrichtenkonsum als in den USA, während der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine sehr zentrale Stellung einnimmt. Digitale Gegenöffentlichkeiten von Rechts haben es damit zwangsläufig schwerer. Stattdessen sind reaktionäre und populistische Kräfte hierzulande noch stärker auf hybride Strategien wie das Agenda Setting angewiesen.
Zudem darf die potentielle Rolle des Internets bei politischen Großereignissen nicht überschätzt werden. Weitaus bedeutender sind immer noch strukturelle Faktoren und Langzeitentwicklungen wie zum Beispiel Globalisierungsängste, Fremdenfeindlichkeit oder Individualisierungstendenzen. In allen bekannten Beispielen von digitalen Gegenöffentlichkeiten konnten diese nur im Zusammenspiel mit diesen und anderen wesentlich wichtigeren Faktoren erfolgreich sein. Rechte digitale Gegenöffentlichkeiten haben ohne Zweifel eine nicht unbedeutende Rolle für die politische Etablierung Donald Trumps oder der AfD gespielt. Die eigentlichen Ursachen für den Erfolg dieser Akteure aber liegen tiefer und der starke Fokus der öffentlichen Diskussion auf das Internet lässt sich nach aktuellem Stand der Wissenschaft nicht halten.
Erstveröffentlichung: Hamburger Wahlbeobachter vom 8. Januar 2019
Dieser Beitrag ist auch auf der englischen EJO-Seite erschienen.
Schlagwörter:AfD, Brexit, digitale Gegenöffentlichkeiten, Nancy Fraser, öffentliche Agenda, Trump